"Mit beiden Punkten liegt das Europäische Parlament grundlegend falsch", schreibt Puttrich in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Dienstag). Schon aus Respekt vor der Gewaltenteilung seien parlamentarische Kommentierungen von Entscheidungen unabhängiger Gerichte bedenklich. "Über den Atlantik hinweg bekommt dies jedoch den anmaßenden Charakter einer gesellschaftpolitischen Belehrung, gegen die man sich im umgekehrten Fall vermutlich lautstark verwahren würde", so Puttrich.
Konkurrenz zu innerstaatlichen Akteuren
Eine einheitliche europäische Wertentscheidung müsse von allen Gesellschaften der Europäischen Union mitgetragen werden. In den Gesellschaften der EU sei ein Konsens über die gesetzliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen aber "nicht erkennbar", fügt die hessische Europaministerin hinzu.
Derzeit bemühe sich die Bundesregierung, den in der Abtreibungsfrage erreichten Kompromiss in Frage zu stellen. Dies zeigten die Debatten um ein Werbeverbot für Abtreibungen bis hin zur Abschaffung des Paragrafen 218 überhaupt. "Dabei werden die Vertreter, die sich für den Erhalt bestehender Lösungen aussprechen, nicht selten in die Reihe reaktionärer Hardliner in den USA gestellt; der Schwangerschaftsabbruch hingegen wird als gesellschaftliches 'Normal' quasi zum jederzeit verfügbaren Lifestyle-Eingriff (v)erklärt", so Puttrich, die auch dem CDU-Bundesvorstand angehört.
Aus ihrer Sicht sei der Schutz des ungeborenen Lebens ein so hohes Gut, dass eine objektive Beratung der Frau "richtig und auch zumutbar ist". Puttrich fragt: "Sollte dieser gesellschaftliche Konsens wirklich durch ein europäisches 'Grundrecht auf Abtreibung' aufgekündigt werden?" Auf ein gefühltes amerikanisches Extrem - die Aufhebung des Grundrechts auf Abtreibung durch das oberste US-Gericht Ende Juni - dürfe nicht mit einem gegenteiligen Extrem reagiert werden. Man könne nur davor warnen, "dass sich das Europäische Parlament weiter berufen fühlt, neue gesamteuropäische Werte zu definieren, und sich so als Konkurrenz zu innerstaatlichen Akteuren inszeniert".