Angesichts einer drohenden weltweiten Hungerkrise hat das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" eine Wende in der Agrarpolitik gefordert. "Wenn wir über Weizen sprechen, muss man sehen, dass viele Lebensmittel im Moment noch in Tank und Trog landen", kritisierte Präsidentin Dagmar Pruin am Mittwoch im RBB-Sender Radio Eins. Um Millionen Menschen vor dem Verhungern zu retten, müssten die reichen Industrieländer sofort mehr Mittel bereitstellen.
Ukraine-Krieg sei nicht Auslöser
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei nicht Auslöser der Hungerkrise, habe sie aber verschärft, betonte sie. Weltweit hätten bereits 2021 mehr als 800 Millionen Menschen gehungert, 150 Millionen mehr als vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Der Krieg sei ein weiterer Inflationstreiber. Länder, in denen viel Weizen konsumiert werde und die abhängig vom Import aus der Ukraine und Russland seien, habe der Krieg überdies besonders schwer getroffen.
In armen Ländern seien die stark steigenden Preise für Lebensmittel, Dünger, Diesel und Strom zum Teil lebensbedrohlich, fügte Pruin hinzu. Die Klimakrise sei - neben bewaffneten Konflikten und den Folgen der Pandemie - der größte Hungertreiber. Immer länger andauernde Dürren sowie Überschwemmungen führten dazu, dass Ernten ganz oder teilweise verloren gingen und das Vieh verende.
Weizen für die Tierhaltung
Pruin verwies darauf, dass 60 Prozent des Weizens, der in Deutschland angebaut werde, für die Tierhaltung bestimmt seien. Viele Produkte, die zur Ernährungssicherung beitragen könnten, landeten zudem in Bio-Kraftstoffen. Deshalb müsse überdacht werden, was davon für Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden könne.
Forderung nach Agrarwende
"Wir brauchen eine Agrarwende", forderte Pruin. Sie kritisierte auch Subventionen und Lebensmittelexporte, mit denen Länder des globalen Südens abhängig gemacht würden.
Die evangelische Hilfsorganisation plädiere daher für einen agrarökologischen Ansatz. So müsse in Ländern des globalen Südens vor Ort das angebaut werden, was unter den klimatischen Bedingungen gut möglich sei. "Das ist niemals primär Weizen. Das sind Sorten, die vor Ort besser wachsen und keine Schädlingsbekämpfungsmittel brauchen", sagte Pruin. So könnten die Menschen in den betroffenen Ländern selber für Ernährungssouveränität sorgen.
Aktueller Jahresbericht
"Brot für die Welt" leistete im vergangenen Jahr laut aktuellem Jahresbericht Entwicklungsarbeit mit mehr als 1.800 Projekten in fast 90 Ländern - vorwiegend in Afrika und Asien. Das Hilfswerk erhielt 63,6 Millionen Euro Spenden und Kollekten. 2020 waren es mit 76,8 Millionen Euro deutlich mehr, was den Angaben zufolge auch mit dem Jubiläumsjahr 2019 zusammenhing. Das Hilfswerk wird auch über kirchliche und Bundesmittel finanziert. Insgesamt standen 2021 rund 312 Millionen Euro zur Verfügung - mehr als 90 Prozent davon flossen in die Hilfsprojekte.