Anglikanerprimas Justin Welby leitet die Lambeth-Konferenz

Ein spannender Typ für einen so hohen Kirchenposten

Den Erzbischof von Canterbury kennt man aus Historienfilmen - als zumeist eitlen Potentaten, der mit den Mächtigen kungelt und über Steuern, Krieg und Frieden mitentscheidet. Hier kommt einer, der so ziemlich anders ist.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Justin Welby, anglikanischer Erzbischof von Canterbury / © Paul Haring (dpa)
Justin Welby, anglikanischer Erzbischof von Canterbury / © Paul Haring ( dpa )

Am Freitag (29. Juli) wird Justin Welby, 105. Erzbischof von Canterbury, Ehrenoberhaupt von 77 bis 85 Millionen anglikanischen Christen weltweit, in Canterbury die Lambeth-Konferenz eröffnen, das höchste Beschlussgremium der durchaus zerstrittenen anglikanischen Weltgemeinschaft. Zwar Primas der Staatskirche von England, hat er jedoch als "Primus inter pares" (Erster unter Gleichen) keine Weisungsbefugnis für die anderen Nationalkirchen; hat keine anderen Machtmittel als sein Wort und den Appell an die Vernunft.

"Eher ein Scherz"

Seine Gewänder und seine Mitra wirken manchmal ein bisschen zu groß - und seine Bewerbung als Kirchenoberhaupt, so verriet er beim Amtsantritt 2013, sei "eher ein Scherz" gewesen. Doch Justin Welby zeigt sein Format, wenn er spricht. Denn der 66-Jährige hat viel Erfahrung. Nicht als Bischof - das ist er erst seit 2011. Aber Lebenserfahrung.

Welby ist ein spannender Typ, ein kirchlicher Quereinsteiger. Der Jurist, Öl-Manager und Familienvater wurde erst 1993 zum Priester geweiht. Der frühere Finanzexperte des Konzerns "Elf Aquitaine" steht für Realitätssinn, rasche Auffassungsgabe und Weltläufigkeit. Die Berufsausbildung makellos: Schulabschluss in Eton; Jura und Geschichte in Cambridge und Dublin; Managerposten in Paris und London zur Finanzierung von Ölförderprojekten in Nigeria.

Karriere als Seelsorger

Der Unfalltod seiner kleinen Tochter, eines seiner sechs Kinder, brachte ihn der Religion näher. 1989 die radikale Umorientierung: Theologiestudium, Priester und Dekan der Kathedrale von Liverpool. Welbys Karriere als Seelsorger weist auch Stationen in sozialen Brennpunkten auf. Bis heute schätzt man dort sein gewinnendes Wesen, seine Freundlichkeit und Überzeugungskraft.

Welbys einstige Managerkarriere bedeutet keine ideologische Nähe zum Finanzsektor; im Gegenteil. Im britischen Oberhaus sitzt er im Ausschuss für Bankenaufsicht. Eine Kappung von Banker-Boni lehnt er ab: Solche Rasenmähermethoden wisse die Branche mit Sicherheit zu umgehen. Stattdessen richtete er in seinem Londoner Amtssitz ein "Kloster auf Zeit" für angehende Finanzmanager ein. Diese Art von Gemeinschaft solle ihnen Gelegenheit geben, Ethik und Philosophie zu studieren, zu beten und zu arbeiten, gründlich über die eigene Person und Motivation nachzudenken.

Zweifel an Gott

Solch anpackendes Denken schützt freilich auch ein Kirchenoberhaupt nicht vor Zweifeln an Gott. Die äußerte Welby 2015 nach den islamistischen Anschlägen von Paris - und begründete auch das autobiografisch: Gerade dort hätten er und seine Frau ihre glücklichste Zeit erlebt.

Viele Menschen sind immer noch der Meinung, Führungspersonen dürften nie Schwäche zeigen oder Verletzungen einräumen. Welby macht es anders, und zwar konsequent. Depressionen, Kuckuckskind und eine Disposition für Alkoholismus: Welcher Prominente würde diese ganze Packung veröffentlichen? 2019 sprach der Primas zum Welttag der seelischen Gesundheit offen über seinen Kampf gegen Depressionen. Er habe 2018 erkannt, dass er Hilfe brauche - auch wenn das nicht einfach gewesen sei.

Weitere Transparenzoffensive

Und das war keineswegs Welbys einzige Transparenzoffensive. Mit reifen 60 Jahren erfuhr er 2016 durch einen DNA-Test, dass er der uneheliche Sohn eines Privatsekretärs von Ex-Premier Winston Churchill ist. Das Oberhaupt von Englands Staatskirche als Resultat eines Seitensprungs unter Alkoholeinfluss? Der Primas nahm die Sache souverän - und erntete großen Respekt.

Es sei "eine völlige Überraschung" gewesen zu erfahren, so Welby, dass sein biologischer Vater nicht Gavin Welby, sondern der 2013 gestorbene Anthony Montague Browne war, von 1952 bis 1965 rechte Hand Churchills. Seine Erfahrung sei aber typisch für viele Menschen, vor allem für solche aus Familien mit Schwierigkeiten und Suchtproblemen.

Vorbehaltlos räumt der Bischof ein, dass seine Eltern Alkoholiker waren und seine Kindheit "chaotisch". Seine Mutter, Lady Williams of Elvel, sei aber seit 1968 trocken. Schon beim Amtsantritt 2013 hatte Welby offengelegt, dass er seine Ehefrau Caroline auf seinen Alkoholkonsum schauen lasse. Kinder von Alkoholikern seien erwiesenermaßen stärker suchtgefährdet als andere. Er schätze "sehr einen Drink"; doch trinke er nie allein. Für einen Toast auf die Lambeth-Konferenz wird er wohl ausreichend Gesellschaft finden.

Quelle:
KNA