Jildah ist einer von Gazas letzten christlichen Künstlern

Ikonenschreiben ist "wie Poesie"

Wenn Naser Abdallah Jildah den Brennkolben in die Hand nimmt, vergisst er alles um sich herum. Dann existiert nur noch die Ikone, die unter seinen Händen entsteht. In Gaza ist er der Einzige seines Fachs.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Ikonenmaler Naser Abdallah Jildah arbeitet an einer seiner Brandmalerei-Ikonen / © Andrea Krogmann (KNA)
Ikonenmaler Naser Abdallah Jildah arbeitet an einer seiner Brandmalerei-Ikonen / © Andrea Krogmann ( KNA )

Sicher gleitet die Hand von Naser Abdallah Jildah über das Holz. Immer wieder führt der Christ den Kolben entlang der Bleistiftzeichnung, bis die Brandspur seinen Gefallen findet. "Von außen nach innen, vom Groben zum Detail", erklärt der Künstler seine Arbeitsweise. In der Luft liegt der Geruch leicht angesengten Holzes. Mit der Prophetin Hanna ist Jildah bereits zufrieden. Jetzt sind die Konturen des heiligen Josef dran, bis sich schließlich viele Arbeitsstunden später die ganze Szene dem Betrachter erschließen wird: Der greise Simeon, die Heilige Familie, die Prophetin Hanna, die Präsentation Jesu im Tempel, wie sie im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums geschildert wird.

Technik selbst angeeignet

Eigentlich ist Naser Abdallah Jildah Kunstlehrer. Von montags bis donnerstags und samstags unterrichtet er die Schülerinnen und Schüler der katholischen Holy-Family-Schule auf dem Gelände der Pfarrei in der Altstadt von Gaza. Ein Zufall machte aus Jildah einen Lehrer. "2009 kam der damalige Pfarrer Georges auf mich zu, weil eine Marienstatue zerbrochen war. Ich habe sie für ihn repariert. Am nächsten Tag lud er mich ein, Kunst zu unterrichten." Jildah nahm an, und bereut es bis heute nicht: "Wenn ich Kinder sehe, die mit Freude Kunst machen, macht mich das glücklich."

Der Ikonenmaler Naser Abdallah Jildah / © Andrea Krogmann (KNA)
Der Ikonenmaler Naser Abdallah Jildah / © Andrea Krogmann ( KNA )

Der tägliche Weg zur Schule führt den Christen durch die verwinkelten Gassen seiner Kindheit. Hier, in der Altstadt von Gaza, einen Steinwurf von der griechisch-orthodoxen Kirche, zwei Häuser entfernt von seinem heutigen Zuhause, ist er 1959 geboren - damals, als die Zahl der Christen noch fünfstellig war. Jetzt ist Jildah einer von rund 800 Christen im Gazastreifen, einer der letzten christlichen Künstler - und der einzige Ikonenschreiber.

Heute arbeitet er fast immer mit Holz. Doch auch eine Madonna mit Kind, in schwarzen Marmor gemeißelt, ist unter den Werken, die im Wohnzimmer der Familie auf ihre Betrachter warten. Ein bisschen wie die Jungfrau zum Kind kam auch Jildah zum Marmor. Er sei Mitte 20 gewesen und habe in Jaffa gearbeitet, erinnert er sich an die Zeit, als Gaza noch nicht von Israel abgeriegelt war. "Damals kam ein Russe mit einem marmornen Bild des heiligen Johannes vorbei." Jildah war fasziniert von der Kunst, bekniete den Künstler, er möge ihn in das Handwerk einführen, erfolglos. 29 Tage später hatte er sich die Technik selbst angeeignet.

"Wenn ich Ikonen schreibe, vergesse ich alles um mich herum"

Ikonen unterdessen lernte der Vater von vier Kindern bei einem Italiener auf Besuch in Gaza "schreiben und lieben" - gemeinsam mit seinem Sohn Abdallah. Die erste Ikone aus Naser Abdallah Jildahs Hand - ein Christus im traditionellen Stil - hat einen Ehrenplatz in der Sammlung. Ihr Gegenstück, Abdallahs erste Ikone, hat der 24-Jährige mit zum Theologiestudium nach Rom genommen: Nach Jahrzehnten ist Nasers Sohn die erste Priesterberufung aus dem Gazastreifen. Fotos an der Wand zeigen Abdallah mit seinem geistlichen Begleiter, dem Pfarrer von Gaza, Gabriel Romanelli, bei einer Audienz beim Papst.

Gerne hätte auch Naser Abdallah Jildah seinen Sohn begleitet. "Aber seit 14 Jahren habe ich von Israel keine Ausreisegenehmigung mehr aus dem Gazastreifen bekommen", sagt der palästinensische Christ, nicht mal zu den Oster- oder Weihnachtsfeiertagen, wenn viele der Christen aus dem abgeriegelten Landstrich nach Jerusalem oder in die besetzten palästinensischen Gebiete fahren dürfen.

Stattdessen setzt er sich nach der Arbeit mit einem Stück Holz und dem Brandkolben auf die Terrasse unweit seines Elternhauses. "Wenn ich Ikonen schreibe, vergesse ich alles um mich herum", sagt er; selbst die Zigaretten, deren rote Schachtel durch die Tasche seines weißen Kurzarmhemdes schimmert. "Ikonenschreiben ist für mich wie Poesie."

Jildahs Motive sind Heilige und Bibelgeschichten. Seine Religion sei seine Botschaft. "Ich möchte sie sichtbar machen, damit die Menschen sie nicht nur als Texte in der Kirche aufbewahren." In eine Hamsa, das nahöstliche Schutzzeichen gegen den bösen Blick, kalligraphierte er in den arabischen Gottesnamen "Allah" ein verstecktes Kreuz. "Muslime lieben die Darstellung, das Kreuz fällt ihnen gar nicht auf", schmunzelt der Künstler.

Quelle:
KNA