Das Referendum in Kansas galt als Gradmesser, an dem sich die Stimmung der US-Amerikaner nach dem wegweisenden Abtreibungsurteil des Obersten Gerichts vom Juni ablesen lässt. Die konservative Mehrheit des Gerichts hatte die seit einem halben Jahrhundert geltende liberale Rechtsprechung kassiert und die Zuständigkeit für die Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen wieder den einzelnen Bundesstaaten überlassen. Nun besteht in den USA ein rechtlicher Flickenteppich, der je nach Bundesstaat Abtreibungen nahezu vollständig verbietet oder weitgehend freigibt.
Deutliche Zurückweisung der Verfassungsänderung
In Kansas stand ein Gerichtsurteil des Bundesstaates einem Verbot im Weg, das die republikanische Mehrheit im Parlament angestrebt hatte. Deshalb brachten die Gesetzgeber ein Referendum über eine Verfassungsänderung auf den Weg, die ein solches Verbot ermöglichen sollte. Die katholische Kirche unterstützte das Vorhaben in dem ländlich geprägten Kansas. Allen voran Erzbischof Joseph Naumann, der zu den Wortführern der Abtreibungsgegner in der US-Bischofskonferenz gehört.
Als das Ergebnis am Dienstagabend feststand, hielt sich Naumann bedeckt. Die deutliche Zurückweisung der Verfassungsänderung mit 59 zu 41 Prozent in einem Bundesstaat, den Donald Trump 2020 mit 15 Prozent Vorsprung gewonnen hatte, verschlug offenbar manchem die Sprache. Selbst in tief republikanischen Wahlkreisen gab es bestenfalls knappe Mehrheiten für eine Verfassungsänderung. Dagegen verzeichneten die Wahllokale in Städten und Vororten einen massiven Andrang. Die Demokraten erkennen darin einen guten Vorboten für die Zwischenwahlen im November, bei denen sie mit dem straffreien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen punkten wollen.
Verschiedene Regelungen in den Bundesstaaten
US-Präsident Joe Biden wertete den Ausgang des Referendums als Klarstellung: "Die Mehrheit der Amerikaner stimmt darin überein, dass Frauen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben und ihre eigenen Gesundheitsentscheidungen treffen sollen."
Damit bleiben in Kansas Abtreibungen bis etwa zur 22. Woche erlaubt. Dies dürfte weiterhin Schwangere aus benachbarten Bundesstaaten wie Missouri, Oklahoma oder Texas anziehen, in denen Abtreibungen weitgehend verboten sind. "Die Wähler haben laut und klar gesprochen", kommentierte Rachel Sweet von der Organisation "Kansas for Constitutional Freedom" die Zurückweisung der Verfassungsänderung.
Das Ergebnis des ersten Referendums in einem Bundesstaat seit dem Abtreibungsurteil des obersten US-Gerichts sei eine "große Enttäuschung", räumte dagegen Mallory Carroll von der "Susan B. Anthony List" ein. Die katholische Kirche hatte die "Ja"-Kampagne für eine Verfassungsänderung mit rund 2,5 Millionen US-Dollar unterstützt.
Vergiftete Stimmung in der Debatte um Abtreibungsregeln
So klar das Ergebnis von Kansas, so vergiftet bleibt die Stimmung in der Debatte. Im Vorfeld des Referendums stürzten Unbekannte eine Marien-Statue in einer Kirche um, die sie zuvor mit dem Slogan "My Body My Choice" besprüht hatten. Andernorts protestierte eine Feministin bewaffnet mit einer 9-mm-Pistole vor einer Klinik, für deren Erhalt sie sich eingesetzt hatte. Der Grund: Sie fühlte sich persönlich bedroht.
Die Abtreibungsgegner in Staaten mit republikanischen Mehrheiten drängen nach dem Urteil des Supreme Court auf rasche Fakten. Laut Zahlen des Guttmacher Institute haben landesweit bereits 43 Abtreibungskliniken ihre Türen schließen müssen. Weitere werden folgen, da Gesetze in etlichen Bundesstaaten verschärft werden. Zuletzt in Indiana, dessen Senatoren in einer seltenen Wochenendsitzung gerade ein nahezu vollständiges Abtreibungsverbot verhängten.
Umgekehrt überziehen Vertreter von Frauenorganisationen und Kliniken die Bundesstaaten mit einer Flut von Prozessen, in denen die Gerichte zu ertrinken drohen. Es geht darin um Widersprüche innerhalb der staatlichen Abtreibungsgesetze, Verfassungsklagen sowie Freizügigkeit von Schwangeren und den Zugang zu Abtreibungs-Medikamenten, die von der zuständigen nationalen Behörde FDA offiziell für den Gebrauch zugelassen sind.
Am Dienstag schaltete sich auch das US-Justizministerium ein und reichte Klage gegen das Abtreibungsverbot in Idaho ein. Minister Merrick Garland erklärte, das Gesetz verstoße gegen bundesstaatliche Vorschriften, die medizinische Versorgung garantierten, wenn das Leben oder die Gesundheit einer schwangeren Frau auf dem Spiel stünden.