DOMRADIO.DE: Es gibt diesen offenen Protestbrief kirchlicher Mitarbeitender im Erzbistum Köln. Wie steht die Mitarbeitervertretung (MAV) zu dem Protestbrief?
Dr. Patrick Höring (Mitarbeitervertretung des Erzbischöflichen Generalvikariats Köln): Die Mitarbeitervertretung hat dazu kein Gesamtbild ermittelt. Aber wir können aus den Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen heraus sagen, dass viele Mitarbeitende im Generalvikariat dieses Anliegen unterstützen und die Sache ganz ähnlich wie die pastoralen Mitarbeiter sehen, die diese Initiative angestoßen haben.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie die Stimmung im Generalvikariat beschreiben sollten: Da gibt es sicherlich auch ganz unterschiedliche Gruppen, oder?
Mirelle Zohar (Mitarbeitervertretung des Erzbischöflichen Generalvikariats Köln): Es gibt sicherlich Gruppen, die Schwierigkeiten haben, die das nicht ertragen können und entrüstet und erzürnt sind. Sie sind ehrlich gesagt auch wirklich sauer. Es gibt natürlich auch die Gruppe, die zwischenzeitlich resigniert hat, weil einfach so viel im Orbit schwebt, weil auch nichts getan und gesagt wird. Es folgt nichts, es passiert nichts Konkretes. Dann gibt es aber auch wiederum diejenigen, die sicherlich die Seite des Kardinals bevorzugen, die Anhänger sind und Woelki weiterhin favorisieren.
Höring: Um das mal noch auf die Spitze zu treiben. Viele Mitarbeiter fragen sich, ob ihr Arbeitsvertrag eigentlich noch gilt. Bin ich eigentlich überhaupt noch verpflichtet, meine Pflicht zu erfüllen, wenn auf der anderen Seite so mit der Pflicht und der Verantwortung umgegangen wird?
DOMRADIO.DE: Da ist die Kirche natürlich auch ein anderer Arbeitgeber als ein industrieller Arbeitgeber. Da gibt es sicher auch Fragen wie: Kann ich noch für das Erzbistum arbeiten? Kann ich noch Mitglied dieser Kirche sein? Tauchen diese Fragen auf?
Zohar: Ja, die tauchen auf. Viele drucksen auch häufig im Privaten herum, trauen sich auch nicht mehr und haben wirklich Schwierigkeiten und Probleme zu bekennen, dass sie beim Erzbistum arbeiten.
DOMRADIO.DE: Gibt es also einen großen Rechtfertigungsdruck?
Höring: In jedem Fall. Man wird auf jeder Party darauf angesprochen, wie man noch bei diesem Arbeitgeber bleiben könne. Besonders tragisch ist es natürlich, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen auch fragen, ob sie überhaupt Mitglied dieser Kirche bleiben können. Damit zeigt sich, dass das nicht nur eine strukturelle Krise oder eine Medienkrise ist, sondern dass es für viele Kolleginnen und Kollegen eine tiefe Glaubenskrise wird, weil sie dieser Kirche nicht mehr glauben, der sie angehören.
DOMRADIO.DE: Nun gab es am vergangenen Montag eine Protestaktion vor dem Haupteingang des Generalvikariats. Der war mit einer Banderole zugeklebt. Darauf stand: "Generalvikariat Köln geschlossen. Moralischer Bankrott." Wie wurde das von den Mitarbeitenden aufgenommen?
Zohar: Es gab Empörung. Es herrschte Zorn. Man war wütend. Wir sind alle unter Generalverdacht gestellt worden. Es stellt sich niemand schützend vor die Mitarbeitenden. Genau diese Message ist richtig gewesen, aber es war die falsche Tür.
DOMRADIO.DE: Fühlen sich viele Mitarbeitende dann auch in Mithaftung genommen?
Zohar: Ja, eine Art Gesamtschuldnerhaft in Mithaftung. Korrekt. Es gibt auch sicherlich diejenigen, die sagen: Ach, da habe ich nichts mit zu tun, ich beziehe das gar nicht auf mich. Aber es gab unheimlich viel Zorn und unheimlich viel Wut.
DOMRADIO.DE: Anfang des Jahres gab es bereits eine Mitgliederversammlung der Mitarbeitervertretung. Da gab es eine Erklärung, in der Sie die Vertrauenskrise im Erzbistum Köln bereits beklagt haben. Was hat sich denn seitdem geändert?
Zohar: Nicht wirklich viel. Wir haben sicherlich gute Auftaktgespräche mit dem Erzbischof und auch mit dem ehemaligen Generalvikar Hofmann gehabt. Es ist viel versprochen worden. Es ist viel in Aussicht gestellt worden. Wir haben viel gehofft. Wir haben wirklich an einer transparenten Kommunikationskultur, an einem wertschätzenden und respektvollen Miteinander gearbeitet. Wir wollten die Chance ergreifen.
Was ist geblieben? Leere Versprechungen, hohle Phrasen, Schweigen.
DOMRADIO.DE: Die Folge ist auch, dass es zurzeit immer unattraktiver wird, für die Kirche und für das Erzbistum Köln zu arbeiten. Was bedeutet diese Vertrauenskrise für die Stellenbesetzung und für die Suche nach Fachkräften?
Höring: Das ist zunächst mal eigentlich nicht primär unser Problem, sondern die des Dienstgebers. Aber dennoch erfahren wir, wie schwierig es ist, gute Fachkräfte zu bekommen. Das geht bis dahin, dass auch geeignete Bewerber in Bewerbungsverfahren im laufenden Verfahren wieder aussteigen und damit auch der Kirche den Rücken kehren, wenn sie erfahren, welche Rahmenbedingungen gelten.
Es gibt ja eine Grundordnung kirchlichen Dienstes, die zwar derzeit bearbeitet wird, aber dennoch hat die Kirche ja hohe Erwartungen an ihre Mitarbeitenden. Und wenn man dann sieht, dass auf der anderen Seite die Erwartungen, die man wiederum an den Dienstgeber hat, enttäuscht werden, kann man das natürlich auch nachvollziehen.
DOMRADIO.DE: Inwieweit ist diese Vertrauenskrise denn für viele auch eine berufliche Identitätskrise?
Höring: Das betrifft in erster Linie – und deshalb ist das Protestschreiben, was jetzt an die Öffentlichkeit kam, auch aus dem pastoralen Dienst erwachsen – die Theologinnen und Theologen, die vielleicht auch ein gewisses Sendungsbewusstsein mitbringen, weil sie diesen Beruf ergriffen haben, der nun originär in der Kirche ausgeübt wird.
Das betrifft aber auch Verwaltungsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auch noch oft ehrenamtlich in Kirchengemeinden engagiert sind. Die fragen sich dann schon, ob das beruflich noch ihr Ort ist. Ist das noch mein Lebensort und mein Lebensraum, in dem ich mich über viele Jahrzehnte beheimatet habe und eigentlich auch weiter beheimaten will?
DOMRADIO.DE: Nun hat die Bistumsleitung als Arbeitgeber auch eine Verantwortung ihren Mitarbeitenden gegenüber. Wird sie dieser Verantwortung zurzeit im Erzbistum überhaupt gerecht?
Zohar: Nach meinem Empfinden in keiner Art und Weise. Wir stehen im Grunde genommen wie die Schafe auf einem freien Feld ohne Zaun, ohne Hirten und ohne Hütehunde und sind eigentlich auf uns selbst angewiesen. Wir versuchen in dieser Misere das Bestmögliche daraus zu machen. Im Grunde genommen helfen uns dieses Schweigen und jeden Tag eine neue Hiobsbotschaft nicht wirklich weiter.
Es müsste eigentlich eine klare, konkrete Aussage kommen. Es müsste dem Schrecken mal ein Ende gemacht werden, damit wir einfach wissen: Können wir weiter hoffen? Wie geht es voran? Was passiert mit uns? Wenn das so weitergeht, dann werden sie uns alle verlieren.
DOMRADIO.DE: Dieser Appell geht sicher auch in Richtung Rom, in Richtung Papst Franziskus, oder?
Höring: Ich denke, es ist an der Zeit, dass Papst Franziskus endgültig eine Entscheidung trifft. Man kann verstehen, dass er das wohlbedacht und nicht übereilt tun will. Aber da sich die Ereignisse nun überstürzt haben und auch immer wieder neue Gesichtspunkte hinzugetreten sind, glaube ich, kann er mit der Entscheidung nicht mehr lange auf sich warten lassen.
DOMRADIO.DE: Das Erzbistum Köln befindet sich in einem Schwebezustand, solange Papst Franziskus nicht entscheidet, wie es mit der Bistumsleitung weitergeht. Was muss denn passieren? Was erhoffen Sie sich?
Zohar: In erster Linie eine rasche Entscheidung, wie Herr Dr. Höring gerade sagte. Offene Worte und eine Stellungnahme vom Bischof würden wir einfordern wollen – und keine hohlen Phrasen, keine leeren Versprechungen mehr.
Das Interview führte Johannes Schröer.