DOMRADIO.DE: Mitarbeitende des Erzbistums Köln fordern einen Neuanfang mit "personellen und systemischen Veränderungen". Nötig sei eine "ehrliche, echte Aufklärung und Ahndung von Missbrauch und Gewalt jeglicher Art mit staatlicher Unterstützung und professioneller Aufsicht", heißt es in einer am Sonntag verbreiteten Stellungnahme. Riskieren die kirchlichen Mitarbeitenden im Erzbistum Köln mit ihrem Offenen Brief eine Abmahnung ihres Arbeitgebers?
Ulrich Richartz (Geschäftsführer der Diözesanen Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen im Bistum Münster, Rechtsexperte und Rechtsberater): Da müsste man sich die Erklärung oder das Statement, wie es genannt wird, auch genauer anschauen. Da muss man differenzieren. Einerseits reden dort Menschen, die in einer Funktion sprechen, also zum Beispiel die stellvertretende Diözesanvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft oder die Sprecherin des Berufsverbandes der Pastoralreferenten und andere Gremiumsmitglieder. Die sind nach meiner Einschätzung auch anders zu behandeln als ein "normaler" Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin. Weil die von ihrem Verband ein Mandat haben. Da ist es klar, dass zu der Aufgabe in so einem Verband auch gehört, sich kritisch zu äußern.
Für Arbeitnehmer an sich muss man in der Rechtsgeschichte des Arbeitsrechts nachschauen. Da gibt es zwei Paragrafen, die einem da einfallen, Paragraf 186 und Paragraf 187 im Strafgesetzbuch. Da geht es um "üble Nachrede" und "Verleumdung". Bei der üblen Nachrede geht es darum, ob man jemanden verächtlich macht, in der öffentlichen Meinung herabwürdigt. Bei der Verleumdung geht es darum, dass man wissentlich falsche Tatsachen über jemanden verbreitet.
Wenn man sich jetzt die Erklärung anschaut, sehe ich das so nicht. Da stehen zwar Dinge drin, wie "Wir als Unterzeichner sind betroffen und entsetzt" oder "Wir empören uns". Aber das ist alles meiner Meinung nach zulässige Meinungsäußerung. Ich habe ja auch ein Grundrecht, Meinungen zu äußern. Das ist ein bisschen durch die Loyalität meinem Arbeitgeber gegenüber eingeschränkt. Die Erklärung ist in einigen Absätzen auch sehr pointiert, aber es wird weder jemand beleidigt, noch wird eine falsche Tatsache behauptet über jemanden, sodass man das Arbeitsrecht hier eigentlich nicht zurate ziehen kann.
Da gibt es ganz andere Fälle. Es gab mal beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einen Fall, wo eine Mitarbeiterin behauptet hat, während des Dienstes sei es von Kollegen zu Alkoholexzessen gekommen. Das hat sich nachher als haltlos rausgestellt. Dafür hat sie eine Kündigung bekommen.
Oder es hat mal jemand eine Strafanzeige gegen sechs Kollegen gestellt und hat sie als "Stasileute" und "Psychoterroristen" bezeichnet. Und selbst da ist gesagt worden, eine Kündigung wäre unwirksam, es wäre allenfalls eine Abmahnung.
Diese Erklärung, die uns allen vorliegt und die jetzt im Netz rumgeht, bewegt sich auf einer ganz anderen Ebene.
DOMRADIO.DE: Unterscheidet sich der Arbeitgeber Kirche in dieser Hinsicht von anderen Arbeitgebern? Ist es anders im kirchlichen Arbeitsrecht?
Richartz: Eigentlich nicht. Es gibt natürlich besondere Loyalitätsverpflichtungen, die Mitarbeitende haben. Die beziehen sich zurzeit eher auf die Lebensformen. Man muss ja zurzeit sagen, weil die Grundordnung für den kirchlichen Dienst gerade in der Diskussion und Überarbeitung ist.
Es wird da gesagt: Jemand der geschieden und wiederverheiratet ist, kann bei uns so nicht mehr arbeiten. Oder jemand, der aus der Kirche austritt, kann bei uns nicht arbeiten. Jemand, der in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften lebt, kann bei uns so nicht arbeiten.
Das ist im Moment noch die aktuelle Rechtslage, auch wenn manche Bistümer erklärt haben, dass sie das schon nicht mehr anwenden, geht es aber eher um solche Dinge. Ansonsten geht es in der Grundordnung zum Beispiel um Tatbestände wie Abfall vom Glauben oder Ähnliches. Das ist alles in der Erklärung nicht beinhaltet.
DOMRADIO.DE: Wörtlich heißt es im Offenen Brief: "Wir erfahren uns ebenso benutzt und bisweilen instrumentalisiert, um den Kardinal und ein offensichtlich nicht mehr funktionierendes System zu retten". Da wird dann das ganze System kritisiert.
Richartz: Das ist erst mal eine Meinungsäußerung von Mitarbeitenden. Aber auch da würde ich sagen, ist noch lange weder die üble Nachrede oder eine Verleumdung erfüllt, sondern es ist eine offene und starke, also pointierte Kritik. Aber das würde selbst für eine Abmahnung nicht reichen, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass sie tatsächlich nicht aus ihrer Sicht etwas schildern, sondern dass das in weiten Teilen der Öffentlichkeit auch so wahrgenommen wird, wie das hier beschrieben wird.
DOMRADIO.DE: Also stellt niemand damit seine Anstellung aufs Spiel?
Richartz: Das würde ich so sehen. Natürlich gibt es immer den altbekannten Spruch: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Aber ich denke schon, dass die Tatbestände, die man benötigt, um jemandem wirklich eine Abmahnung auszusprechen oder sogar eine Kündigung, meiner Auffassung nach nicht erfüllt sind. Auch Kritik muss ein Arbeitgeber in gewissem Maße hinnehmen. Arbeitnehmer sind ja nicht dazu da, zu allem Ja und Amen zu sagen, ohne eine eigene Meinung zu haben.
DOMRADIO.DE: Welches Risiko würde man denn eingehen, wenn man solch einen Brief an seinen Chef schicke?
Richartz: Wenn dieser Brief Dinge enthält, die weder der Wahrheit entsprechen oder eine üble Nachrede sind, dann kann das natürlich zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen, weil dann vielleicht die Voraussetzunegn für eine üble Nachrede oder eine Verleumdung erfüllt sind.
Wenn aber nur Sorgen ausgedrückt werden, dann ist das meiner Ansicht nach ein eher milderes Mittel. Vielleicht würde ein Arbeitsgericht sagen, sie hätten erst mal versuchen können, mit ihrem Arbeitgeber darüber zu reden. Und wenn das erfolglos ist, dann haben Sie auch die Möglichkeit, einen Offenen Brief zu schreiben.
Und das ist ja das, was zumindest im Erzbistum Köln vor diesem Brief liegt, dass man deutlich macht: Man hat schon geredet und man hat vielfach kein Gehör gefunden und wird nicht angehört. Jetzt gibt es für die Mitarbeitenden sozusagen keine andere Möglichkeit, als sich mit einem Offenen Brief an die Bistumsleitung zu wenden.
DOMRADIO.DE: Wie ist denn das mit Geweihten, die als Priester ihrem Bischof ein Gehorsamsgelübde abgelegt haben?
Richartz: Ja, das haben sie. Aber auch das Gehorsamsgelübde heißt natürlich nicht, dass ich nicht auch Kritik üben darf. Ich bin aber für diese Fragen des Rechts - das ist ja reines Kirchenrecht - vielleicht nicht der Experte, der das bis ins Letzte beantworten kann. Das will ich hier auch so offen sagen.
Ich denke aber, dass auch hier der Gehorsam nicht infrage gestellt wird, denn in dem Offenen Brief steht ja zum Beispiel von einem Pfarrer geschrieben: Ich komme an meine Grenze. Der beschreibt eine Befindlichkeit, die er jetzt hat. Er sagt nicht: Ich werde jetzt den Gehorsam verweigern. Das wäre dann eine andere Qualität. Das tut er aber nicht. Er schildert eher aus seiner Betroffenheit heraus: Ich komme an meine Grenze.
DOMRADIO.DE: Gehorsam zu sein, wenn das Vertrauen verspielt ist, könnte schwierig werden, oder?.
Richartz: Ja, das ist schon so. Aber ich weiß natürlich nicht genau, wie weit der Pfarrer, der in der Erklärung zitiert wird, dann auch gehen will und wie er sich in Zukunft verhalten wird. Ich glaube eher, dass dieser Brief weniger eine arbeitsrechtliche Frage ist, weil sich das Erzbistum, wenn es dagegen vorgehen würde, mit Abmahnungen auf sehr dünnes Eis begeben würde und es unter Umständen dazu kommen kann, dass sie viele Gerichtsverfahren verlieren werden und alles noch schlimmer wird.
Im Grunde ist dieser Brief ein Alarmruf, wo die Bistumsleitung in irgendeiner Weise sofort handeln müsste. Denn wenn ich als Arbeitgeber, als oberster Arbeitgeber so einen Brief bekomme, dann müssen bei mir alle Alarmglocken schellen, die überhaupt nur schellen können. Da muss man jetzt mal abwarten, ob sie denn auch dann beim Erzbischof schellen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.