DOMRADIO.DE: Sie werfen der Bundesregierung vor, nicht nachhaltig auf der Suche nach neuen Gaslieferanten vorzugehen. Wo liegt das Problem? Was wird da nicht richtig gemacht?
Msgr. Pirmin Spiegel (Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Misereor e.V.): An einem Beispiel will ich das Problem durchbuchstabieren. Die Bundesregierung hat mit Kolumbien Verträge gemacht, um Steinkohle zu importieren. Der erste Kritikpunkt von unserer Seite ist, dass in den betroffenen indigenen Gebieten, in denen die Steinkohle gefördert wird, die Indigenen nicht in diese Entscheidungsfindung mit einbezogen werden.
Es werden Menschenrechte verletzt, es werden Rechte der Natur verletzt. Wie können Verträge so gemacht werden, damit das nicht geschieht?
Wir kritisieren auch, dass wieder die alte Art, die alte Logik vorherrscht: Ressourcengeber ist der Süden für den Norden. Da müssen wir andere und neue Wege finden.
DOMRADIO.DE: In der Krise sind schnelle, einfache Lösungen gefordert. Kann man überhaupt Forderungen stellen und dabei auf Nachhaltigkeit achten?
Spiegel: Wir sind im Dialog mit unseren Partnern davon überzeugt, dass die Nachhaltigkeitsfrage, die Klimakrise nicht aufgrund der Hungerkrise in die Schublade gesteckt werden darf, zumal beide miteinander zusammenhängen. Von daher müssen die Verträge diesen Nachhaltigkeitsaspekt mit im Blick haben.
Im Moment erleben wir in Deutschland eine Vielzahl von Krisen: Energiekrise, Gaskrise, Lebensmittelpreiserhöhung, Abhängigkeit von Gas. Diese Krisen können in Deutschland zum Teil sozial abgefedert werden. Es ist der Diskurs über eine soziale Gerechtigkeit in Deutschland im Blick.
Zugleich sind wir als Werk der Entwicklungszusammenarbeit unserem Auftrag verpflichtet. Wir zeigen auf, was diese Krisen in Ländern des globalen Südens bedeuten, in Ländern, in denen die soziale Ungleichheit größer ist, in Ländern, in denen die Krise stärker durchschlägt, weil keine Bezahlbarkeit mehr für Nahrungsmittel besteht. Diese Länder müssen wir in den Blick nehmen und Lösungen suchen, die nicht national orientiert sind, sondern wir müssen über das Nationale und über das Europäische die globale Perspektive im Blick haben.
DOMRADIO.DE: Was stellen Sie sich da vor? Was wäre aus Ihrer Sicht ein besserer Umgang mit der Krise und mit den Ressourcenproblemen?
Spiegel: Die Hungerkrise ist eine Bezahlbarkeitskrise. Sie muss dadurch bekämpft werden, dass die lokalen und regionalen Ressourcen der Nahrungsmittelproduktion verstärkt werden. Länder im globalen Süden, Länder in Afrika haben die Möglichkeit, haben die Potenziale, selbst Getreide, wie Maniok-Wurzeln anzubauen und Tiere zu halten. Das wurde zu lange vernachlässigt. Es wurden Getreide und Lebensmittel von außen importiert.
Das heißt also: Die Wege, die momentan gefunden werden, zum Beispiel Weizen und Mais aus der Ukraine zu transportieren, sind gut. Die unterstützen wir. Zugleich muss auf die Potenziale der eigenen Länder gesetzt werden, um Wiederholungsfälle zu vermeiden und die eigenen Ressourcen zu stärken, die vor Ort vorhanden sind.
DOMRADIO.DE: Das Problem ist noch tiefergehender. Es geht nicht nur um die aktuelle Krise. Sie sagen, dass der Lebenswandel in Europa hauptverantwortlich dafür ist, dass es vielen Menschen auf der Welt so schlecht geht. Auch schon vor der Krise. Was muss sich ändern? Wie müssen wir umdenken?
Spiegel: Wir spüren und wissen, dass die Art des Konsums, dass die Art des Wirtschaftens und des Produzierens in Deutschland, in Europa, im sogenannten globalen Norden nicht weltweit machbar und möglich ist.
Ein Beispiel dafür ist der Welterschöpfungstag, der inzwischen weltweit auf Ende Juli liegt, in Deutschland auf Anfang Mai. Das bedeutet: Die Art das Konsumierens, die Art des Lebens, wie wir es in Deutschland haben, bräuchte fast drei Erdplaneten. Wie also umsteuern, ohne Lebensqualität zu verlieren, ohne Lebensreichtum zu verlieren, damit wir innerhalb der Grenzen des Planeten allen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen?
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.