Misereor-Expertin analysiert Petersberger Klimadialog

"Die Maßnahmen werden absolut nicht ausreichen"

Beim Petersberger Klimadialog in Berlin haben sich Vertreter aus 40 Staaten getroffen, um den Kampf gegen die Klimakrise aufzunehmen und die UN-Klimakonferenz vorzubereiten. Wie realistisch ist ein Umstieg auf erneuerbare Energien?

Samih Schukri, Außenminister von Ägypten, Abdel Fattah al-Sisi, Präsident von Ägypten, Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock beim Petersberger Klimadialog im Auswärtigen Amt mit Delegationsmitgliedern / © Christoph Soeder (dpa)
Samih Schukri, Außenminister von Ägypten, Abdel Fattah al-Sisi, Präsident von Ägypten, Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock beim Petersberger Klimadialog im Auswärtigen Amt mit Delegationsmitgliedern / © Christoph Soeder ( dpa )

DOMRADIO.DE: Beim Petersberger Klimadialog stellt sich die große Frage, wie die Industriestaaten ärmere Länder des globalen Südens stärker finanziell unterstützen können. Sind sich die G7-Staaten darüber bewusst, dass sie für einen großen Teil des weltweiten Ressourcenverbrauchs zuständig sind?

Bischöfliches Hilfswerk Misereor

Misereor ist das weltweit größte kirchliche Entwicklungshilfswerk. Es wurde 1958 von den katholischen Bischöfen in Deutschland auf Vorschlag des damaligen Kölner Kardinals Josef Frings als Aktion gegen Hunger und Krankheit in der Welt gegründet.

Der Name bezieht sich auf das im Markus-Evangelium überlieferte Jesuswort "Misereor super turbam" (Ich erbarme mich des Volkes). Sitz des Hilfswerks ist Aachen.

Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht (KNA)
Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Anika Schroeder (Klimareferentin beim katholischen Hilfswerk Misereor): Ja, in ihren Sonntagsreden betonen die G7-Staaten durchaus stetig und immer wiederholend, dass sie in einer besonderen Verantwortung bei der Bewältigung der Klimakrise stehen.

Sie bekräftigen sowohl dabei die eigenen Emissionen so schnell wie möglich auf Null senken zu wollen als auch gleichzeitig, andere Nationen dabei zu unterstützen, in das Zeitalter der erneuerbaren Energien einzusteigen. Es gehe ihnen darum, die Entwicklungsländer beim Abfedern der Folgen der Klimakrise zu unterstützen, die insbesondere die Ärmsten der Armen auf dieser Welt treffen.

Was von den Sonntagsreden übrig bleibt, ist eine andere Frage.

DOMRADIO.DE: Seit vergangenem Sommer ist das neue Klimaschutzgesetz in Kraft. Wie sehr setzen Sie darauf?

Schroeder: Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden. Das Ziel ist erstmal gut. Als die neue Regierung an den Start gegangen ist, war aber klar: Die Maßnahmen, die vereinbart worden sind, werden absolut nicht ausreichen.

In diesem Jahr sollte mit einem Klima-Sommerpaket nachgelegt werden. Daraus ist leider ein winziges Päckchen geworden, ein Sofortprogramm für Bau und Verkehr. Während der Bausektor erhebliche Beiträge zum Klimaschutz liefern kann, sind die Maßnahmen im Verkehr absolut nicht ausreichend.

Dabei gibt es gerade da sehr niedrig hängende Früchte, die zu Nullkosten mit vielen Vorteilen für die Gesellschaft einfach genutzt werden könnten, zum Beispiel ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

DOMRADIO.DE: Das Versprechen von deutscher Seite schon vor einem Jahr war, die Mittel für die Klimafinanzierung in ärmeren Ländern bis 2025 jährlich auf sechs Milliarden Euro aufzustocken. Passiert das?

Bundeskanzler Olaf Scholz beim Petersberger Klimadialog  / © Christoph Soeder (dpa)
Bundeskanzler Olaf Scholz beim Petersberger Klimadialog / © Christoph Soeder ( dpa )

Schroeder: Das war eine Zusage von Kanzlerin Merkel. Scholz hat sie beim Petersberger Klimadialog gestern bestätigt. Das heißt, diese Zusage gilt.

Gleichwohl ist das absolut nicht ausreichend, um den fairen Beitrag Deutschlands zur internationalen Klimafinanzierung, zur Unterstützung der Opfer der Klimakrise beizutragen.

Wir fordern mindestens acht Milliarden aus Haushaltsmitteln und weitere Fördermittel von privater Seite. Das steht weiterhin nicht in Aussicht.

Zusätzlich wird auch bisher kein klares Signal gegeben, dass Deutschland bereit ist, Sondermittel auf den Tisch zu legen, um Schäden und Verluste abzufedern, die nicht mit Anpassungsmaßnahmen verhindert werden können.

DOMRADIO.DE: "Ökostromanteil", "erneuerbare Energien ausbauen", "in nachhaltige Konzepte investieren": Sind das alles gute Ideen oder nur schöne Vorstellungen?

Schroeder: Das sind wunderbare Ideen, wenn wir sie mit einer "Kultur des Genugs" verbinden, wenn wir nicht nur sagen, es sind die technischen Lösungen. Denn die liegen ja auf dem Tisch. Der Weltklimarat, aber auch viele Gutachten deutscher Institute, die im Übrigen bereits von der Vorgängerregierung in Auftrag gegeben worden sind, sagen, es sei überhaupt kein Problem, uns mit 100 Prozent erneuerbaren Energien zu versorgen.

Aber sie sagen auch, das Ganze müsse von weniger Energieverbrauch durch Vermeidung und Effizienz begleitet werden. Dann ist das im Laufe der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts machbar - und zwar weltweit.

DOMRADIO.DE: In den nächsten Jahren müssten wir in allen Bereichen dreimal schneller und effizienter sein, hat Klimaschutzminister Robert Habeck Anfang des Jahres angemahnt. Ist das realistisch?

Anika Schroeder

"Die Studien zeigen ganz klar, dass es realistisch ist"

Schroeder: Ja, die Studien zeigen ganz klar, dass es realistisch ist. Es gibt Hürden auf diesem Weg, wie zum Beispiel der Fachkräftemangel.

Aber wir würden uns sehr wünschen und mahnen dringend an, dass wir die Energie jetzt da hineinstecken, diese Hürden abzubauen - und dabei die gleiche Energie an den Tag zu legen, wie wir das derzeit beim Ausbau von Flüssiggas-Terminals oder bei der Entwicklung neuer Gas-Partnerschaften tun, um das fehlende russische Gas und Öl zu ersetzen.

DOMRADIO.DE: Was kann denn jede und jeder Einzelne von uns tun?

Schroeder: Es ist äußerst ärgerlich, dass das Problem bei den Menschen und bei der Kasse der einzelnen Bürger gelandet ist. Denn hätten wir die Energiewende frühzeitig angepackt und mehr für internationale Klimagerechtigkeit getan, hätten wir all diese Probleme derzeit nicht. Nun sind wir bei der Energieversorgung nach wie vor von Despoten weltweit abhängig. Aus unserer Sicht ist es jetzt nötig, dass die ärmsten Haushalte entlastet werden und nicht die Kosten alleine tragen.

Anika Schroeder

"Es ist äußerst ärgerlich, dass das Problem bei den Menschen und bei der Kasse der einzelnen Bürger gelandet ist."

Als Bürger habe ich natürlich privat auch die Möglichkeit, Ökostrom zu beziehen. Das ist ein Weg, das ist gleichzeitig auch ein politisches Signal.

Aber am Ende sind es die großen Konzerne und die Politiker, die Entscheidungen treffen müssen, um unsere Energieversorgung nachhaltig, bezahlbar und vor allem zukunftsfähig zu gestalten. Dabei ist es ganz wichtig, nicht nur auf die Bezahlbarkeit der deutschen Bürger zu achten, sondern auch darauf, dass am Ende genug für alle auf dieser Welt übrig bleibt.

Da sind wir im Kern der christlichen Verantwortung, dafür zu sorgen und unseren Beitrag zu leisten, dass alle Menschen auf dieser Welt würdevoll leben können.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Klima- und Umweltschutz in der Kirche

Die Deutsche Bischofskonferenz beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit ökologischen Fragen. Papst Franziskus’ Enzyklika Laudato si’ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus hat im Jahr 2015 dem christlichen Auftrag zur Schöpfungsverantwortung auf weltkirchlicher Ebene Aufmerksamkeit verschafft. Daran anschließend hat der Papst im Februar 2020 mit dem Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Querida Amazonia die Themen der Enzyklika am Beispiel Amazoniens konkretisiert.

Symbolbild Biodiversität, Biene, Artenvielfalt. Natur / © Kateryna Ovcharenko (shutterstock)
Symbolbild Biodiversität, Biene, Artenvielfalt. Natur / © Kateryna Ovcharenko ( shutterstock )
Quelle:
DR