Seinen 75. Geburtstag im November 2021 konnte der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. als weltweit angesehener, wenn auch nicht unumstrittener Kirchenfürst feiern. Dieses Ansehen ist wegen seiner Haltung zum Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht nur im Westen, sondern auch in der Orthodoxie stark lädiert. Viele zu seinem Patriarchat gehörende Geistliche außerhalb Russlands weigern sich, seinen Namen im Gottesdienst weiterhin zu nennen. In der EU stand er fast auf einer Sanktionsliste, was nur von der ungarischen Regierung Viktor Orbans verhindert wurde.
Nun hätte Kyrill die Chance gehabt, beim Weltkongress der Religionen Mitte September in Kasachstan mit zahlreichen Religionsführern ins Gespräch zu kommen; darunter und vor allem mit Papst Franziskus. Lange sah es so aus, als ob die schwierige Begegnung stattfinde. Am Mittwochabend nun kam die Absage aus Moskau; Kyrill komme nicht nach Nur-Sultan. Ein Treffen mit dem Papst müsse ein "eigenständiges Ereignis werden", kein Randereignis. Die Zeichen stehen nicht auf Dialog.
Wenig Verständnis für westliche Denk- und Lebensweise
Dabei kann Kyrill aus seiner Sicht auf ein erfolgreiches Wirken zurückblicken. Seit seiner Wahl zum Patriarchen Anfang 2009 konnte er die Zahl seiner Bistümer vor allem auch im Ausland verdoppeln und den Einfluss seiner Kirche auf Politik und Gesellschaft kontinuierlich steigern. Staatspräsident Wladimir Putin hat in ihm einen treuen Verbündeten, mit dem er viele Ansichten teilt - allem voran die Ideologie der "russischen Welt" und seine Verachtung für "den Westen".
Diese Verbindung auf eine gemeinsame Vergangenheit beim sowjetischen KGB zurückzuführen, wie es manche Autoren tun, ist vielleicht zu weit hergeholt. Allerdings hätte Kyrill nicht ohne Zustimmung des Geheimdienstes und entsprechende Gegenleistungen von 1971 bis 1974 als offizieller Vertreter des Patriarchats beim Weltkirchenrat in Genf tätig sein können. Größeres Verständnis für die westliche Denk- und Lebensweise hat diese Zeit bei ihm offenbar nicht bewirkt.
Der am 20. November 1946 in Leningrad (Sankt Petersburg) geborene Wladimir Michailowitsch Gundjajew, so sein bürgerlicher Name, wuchs in einer Priesterfamilie auf. Sein Großvater, Vater und ein älterer Bruder waren ebenfalls Priester. Voller Bewunderung erinnert er sich, dass sein Großvater Wassilij Gundjajew (1879-1969) in den 1920er bis 40er Jahren gegen die Schließung von Kirchen und für das orthodoxe Christentum gekämpft habe. Selbst mehr als 20 Jahre Haft hätten ihn nicht gebrochen, sondern im Gegenteil bestärkt, seinem Enkel zu raten: "Fürchte dich vor keinem - außer vor Gott." Dieser trat 1965 ins Geistliche Seminar Leningrad ein und wurde 1969 zum Mönch mit dem Namen Kyrill geweiht.
Universaler Anspruch als Kirchenoberhaupt
Nach dem Gastspiel in Genf kehrte er in die Heimat zurück und stieg schnell auf: zunächst Rektor des Priesterseminars von Leningrad und der Theologischen Akademie, wurde er bereits 1976 zum Bischof geweiht, 1988 wurde er Erzbischof von Smolensk und Kaliningrad und von 1989 bis zu seiner Wahl zum Patriarchen zusätzlich Vorsitzender der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der russisch-orthodoxen Kirche.
Als Kirchenoberhaupt inszeniert er seinen universalen Anspruch, wie ein Blick auf die Homepage des Patriarchats zeigt. Hier eine Audienz, da eine Grußbotschaft, dort ein Glückwunsch oder eine Beileidsbekundung. Dazu passt auch Kyrills Liebe zu teuren Statussymbolen wie der bei einem stümperhaft retuschierten Foto sichtbaren Luxusuhr.
Weltweiter Ranglistenplatz 5
Gleichwohl steht er in der Rangliste der orthodoxen Patriarchen weltweit nur auf Platz fünf. Dem offiziellen Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Bartholomaios I. von Konstantinopel, macht er seit Jahren das Leben schwer. So brüskierte er ihn 2016 mit dem Boykott des jahrzehntelang vorbereiteten orthodoxen Konzils von Kreta, das somit zum Misserfolg wurde. Bartholomaios revanchierte sich, indem er 2018 der "Orthodoxen Kirche der Ukraine" die Eigenständigkeit verlieh - woraufhin Kyrill die kirchlichen Beziehungen zu Konstantinopel und allen jenen Kirchen abbrach, die diese anerkannten.
Einerseits ist der Wunsch verständlich, die Kirche in der Ukraine weiter an Moskau zu binden; sie bildet schließlich nicht nur den historischen und geistlichen Ursprung der russischen Kirche, sondern macht auch mehr als ein Viertel der Gläubigen, Kirchen und Klöster aus. Doch der kompromisslose Machtanspruch Kyrills, der vor einer kriegerischen Eroberung nicht zurückschreckte, wirkte sich fatal auf dieses Ziel aus. Somit dürfte er in die Geschichte als jenes Kirchenoberhaupt eingehen, das die Ukraine für Moskau verloren hat; zumindest mal auf lange Zeit.