DOMRADIO.DE: Sie fahren selber nach Karlsruhe, wo das Treffen des Weltkirchenrates ab diesem Mittwoch stattfindet. Was erwarten Sie?
Dr. Johannes Oeldemann (Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik): Ich finde das sehr spannend. Ich habe das zum Ersten Mal vor neun Jahren in Busan bei der letzten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen miterlebt und war von der Vielfalt des Christentums sehr beeindruckt, die man dort erleben kann, die ja nicht nur das europäische Christentum umfasst, wie wir es kennen, sondern vielfältige Strömungen anderer Kirchen in Afrika, Asien, Lateinamerika. Die ganze Vielfalt der christlichen Welt ist dort präsent.
Für mich war es eine sehr bereichernde Erfahrung, daran teilzunehmen. Ich erhoffe mir Ähnliches jetzt auch von der Vollversammlung in Karlsruhe.
DOMRADIO.DE: Mehr als 4.000 Christen aus über 350 Kirchen weltweit kommen da zusammen. Orthodoxe, Lutheraner, aber auch die evangelischen Kirchen in Deutschland. Die katholische Kirche ist kein Mitglied, sie ist nur Beobachter. Warum diese Distanz?
Oeldemann: Das hat ein bisschen mit dem Selbstverständnis der katholischen Kirche zu tun, die sich als Weltkirche nicht als Teil eines Weltkirchenrates sehen möchte.
Gleichwohl ist die katholische Kirche sehr aktiv in der Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen. Es gibt in verschiedenen Kommissionen katholische Mitglieder, die dort mitarbeiten. Es gibt eine gemeinsame Arbeitsgruppe des ÖRK und der katholischen Kirche, die sich regelmäßig trifft und gemeinsame Studiendokumente erarbeitet.
Und natürlich ist die katholische Kirche auf den anderen Ebenen, also nicht auf der weltweiten Ebene, sondern beispielsweise in Deutschland - da wäre das Pendant ja die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen - Vollmitglied der entsprechenden nationalen Kirchenräte und engagiert sich dort sehr im Dialog.
DOMRADIO.DE: Es geht ihnen um Ökumene und Dialog zwischen den verschiedenen christlichen Gruppen. Wo ist da aus Ihrer Sicht noch Luft nach oben bei der Zusammenarbeit?
Oeldemann: Ich glaube, das Wichtigste in der derzeitigen Situation ist, dass die christlichen Kirchen versuchen, mit einer Stimme gegenüber einer immer zersplitterteren Welt zu sprechen, das gemeinsame Zeugnis hervorzuheben. Man hat zu Beginn der 2000er Jahre mal von der sogenannten missionarischen Ökumene gesprochen. Ich glaube, darauf kommt es an, dass wir gemeinsam mit einer Stimme das Evangelium Jesu Christi verkündigen.
DOMRADIO.DE: Das heikelste Thema ist wahrscheinlich der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Verwerfungen in der orthodoxen Kirche. Sie sind ja auch Delegierter der Deutschen Bischofskonferenz für die theologischen Gespräche mit dem Moskauer Patriarchat. Wie schauen Sie darauf?
Oeldemann: Das ist natürlich momentan eine Situation, die die gesamte Ökumene sehr belastet. Auch die theologischen Gespräche der Bischofskonferenz mit dem Moskauer Patriarchat sind aufgrund des Krieges in der Ukraine derzeit ausgesetzt. Gleichwohl muss man natürlich versuchen, im Gespräch miteinander zu bleiben. Und ich denke, dass das auch in Karlsruhe geschehen wird, dass man versucht, dort die russischen und ukrainischen Kirchenvertreter miteinander ins Gespräch zu bringen.
DOMRADIO.DE: Sprechen Sie denn auch im Hintergrund zumindest mit dem Moskauer Patriarchat?
Oeldemann: Auf jeden Fall. Ich versuche meine privaten Kontakte, die ich dort habe, aufrechtzuerhalten, spreche mit Freunden und Bekannten. Da wird mir sehr deutlich, dass es ja auch durchaus eine differenzierte Sicht auf die Situation in Russland gibt.
Genauso halte ich Kontakte zu Freunden und Bekannten in der Ukraine und versuche, sie nach Kräften zu unterstützen. Ich denke, das ist wichtig, um Brücken für eine Situation nach dem hoffentlich irgendwann eintretenden Ende des Krieges bauen zu können.
DOMRADIO.DE: Es wird in Karlsruhe eine russisch-orthodoxe Delegation aus Moskau auf orthodoxe Christen aus der Ukraine treffen. Die haben einen Aufnahmeantrag gestellt. Kann die Ökumene da politische Differenzen überwinden?
Oeldemann: Ich glaube, die politischen Differenzen wird sie nicht direkt überwinden können. Was, glaube ich, wichtig wäre zu überwinden, ist die Sprachlosigkeit, so würde ich es mal fast nennen, zwischen Russen und Ukrainern, die derzeit aufgrund der völlig unterschiedlichen Narrative auf beider Seiten herrscht.
Da die Augen für die Sichtweise der anderen zu öffnen, sie zu verstehen, was ja noch nicht bedeutet, Verständnis dafür zu haben, aber zumindest Dialogwege zu eröffnen, wäre ein Ziel. Ich glaube, man überschätzt ein bisschen die Einflussmöglichkeiten, wenn man meint, dass die orthodoxen Kirchenvertreter direkt Einfluss auf die politische Situation nehmen können.
Das Interview führte Tobias Fricke.