Sant’Egidio befürchtet neue Faschismus-Tendenzen in Italien

"Wir wünschen uns eine wirklich christliche Politik"

Am Sonntag wird in Italien gewählt. Matthias Leineweber von der Gemeinschaft Sant’Egidio befürchtet nun einen politischen Umbruch bei dem eine faschistische Partei stärkste Kraft werden und das Land abschotten könnte.

Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechtsextremen Partei Fratelli d'Italia, hält während einer Wahlveranstaltung ihrer Partei eine Rede / © Alessandro Garofalo/LaPresse/AP (dpa)
Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechtsextremen Partei Fratelli d'Italia, hält während einer Wahlveranstaltung ihrer Partei eine Rede / © Alessandro Garofalo/LaPresse/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die italienische Politik wandelt sich. Obwohl die große Mehrheit der Italiener Katholiken sind, haben sie keine christlich inspirierte Bezugspartei mehr. Welche Bedeutung haben Italiens Katholiken denn in der aktuellen Situation?

Pfarrer Dr. Matthias Leineweber (Gemeinschaft Sant’Egidio): Die katholische Partei ist nicht mehr da. Sie hat sich aufgesplittert. Und das hat natürlich dazu geführt, dass die Katholiken als Partei an Bedeutung verloren haben. Und das macht sich jetzt spürbar bemerkbar, weil es nirgendwo eine Partei der Mitte gibt. Die Politik in Italien ist sehr polarisiert und die Katholiken haben sich ziemlich aufgeteilt in verschiedenste Richtungen.

Matthias Leineweber / © Anne Ackermann (KNA)
Matthias Leineweber / © Anne Ackermann ( KNA )

Sie sind in einzelnen Persönlichkeiten in der Politik sicherlich anwesend, aber nicht mehr als gemeinsame Stimme. Und das ist glaube ich auch für die italienische Situation ein Problem. Die italienischen Katholiken waren immer für einen sozialen Katholizismus und der ist auch einfach in der heutigen Zeit unheimlich wichtig.

DOMRADIO.DE: Sie sind geistlicher Begleiter von Sant'Egidio in Deutschland. Wie blickt Sant'Egidio auf die politischen Entwicklungen in Italien?

Leineweber: Natürlich mit großer Sorge. Schon die letzten Jahre haben wir immer wieder bemerkt, dass die Politik an Ansehen und Glaubwürdigkeit verloren hat und dass auch oft Partikularinteressen eine Rolle gespielt haben, statt einfach das Gemeinwohl zu suchen. Gerade nach der Finanzkrise und jetzt auch nach der Pandemie.

Pfarrer Dr. Matthias Leineweber

100 Jahre nachdem die Faschisten in Italien an die Regierung gekommen sind, ist jetzt eine Partei in den Umfragen stärkste Partei, die sich auf diesen Faschismus beruft.

Wir hoffen und wünschen, dass diese Werte und diese aktuellen großen Herausforderungen wie soziale Gerechtigkeit, die Unterstützung der Menschen, die durch diesen Krieg in die Krise geraten sind, Friedenspolitik, dass all diese Dinge in der Politik in den Mittelpunkt gerückt werden und nicht besondere eigenen Parteiinteressen oder sonstige Einzelinteressen.

DOMRADIO.DE: Schauen wir uns Giorgia Meloni an und ihre Partei Fratelli d'Italia, die Brüder Italiens, die könnten gemeinsam mit anderen rechtsgerichteten Parteien die Regierung stellen. Wofür steht denn Giorgia Meloni gerade mit Blick auf die Migrations- und Sozialpolitik?

Leineweber: Sie hat sich da nicht ganz klar geäußert. Sie hat eigentlich relativ moderat gesprochen. Allerdings ist ja ganz klar, dass ihre Verbündeten für eine massive Abschottung Italiens stehen, auch gegen Flüchtlinge. Das bereitet uns, die wir uns sehr stark für eine gastfreundliche Gesellschaft in Europa engagieren, natürlich Sorgen. Wir wissen nicht, worauf das hinausläuft.

Wahlplakate in Italien / © Walter Cicchetti (shutterstock)
Wahlplakate in Italien / © Walter Cicchetti ( shutterstock )

Auch die Integration in die Gesellschaft in Italien ist sehr wichtig. Das Hilfspaket der Europäischen Union ist auch dafür da, einfach auch die Gesellschaft zu stützen. Da sind viele, viele Fragezeichen und natürlich auch Sorgen, wenn wir daran denken, 100 Jahre nachdem die Faschisten in Italien an die Regierung gekommen sind, ist jetzt eine Partei in den Umfragen zumindest stärkste Partei, die sich auf diesen Faschismus beruft. Und das ist natürlich mit großen Fragen und Sorgen verbunden.

DOMRADIO.DE: Meloni sagt, sie setze sich für eine christliche Identität Europas ein. Wie interpretieren Sie diese Aussage?

Leineweber: Also grundsätzlich ist das natürlich eine wichtige Aussage, weil Europa und Christentum nicht voneinander zu trennen sind, das ist klar. Die Frage ist nur: Was ist das für eine christliche Identität?

Auch populistische Bewegungen wie in Ungarn berufen sich auf eine gewisse christliche Identität, die sich allerdings abschottet, die ausgrenzt, die die Ausländer nicht aufnehmen will. Und da haben wir doch Fragezeichen. Katholisches Christsein im guten Sinn des Wortes heißt ja umfassend, offen, aufgeschlossen, integrativ. Und so eine christliche Politik wünschen wir uns und nicht eine Politik, die sich abschottet und die Schwachen ausgrenzt.

Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi (l) und die Vorsitzende der rechtsextremen Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens), Giorgia Meloni / © Oliver Weiken (dpa)
Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi (l) und die Vorsitzende der rechtsextremen Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens), Giorgia Meloni / © Oliver Weiken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Vor den Wahlen in Italien hat Silvio Berlusconi noch für einen Skandal gesorgt. Er nimmt Putin für dessen Einmarsch in die Ukraine in Schutz und sagte, Putin sei in die Sache "reingerutscht"?

Leineweber: Ich glaube das ist in diese Richtung des Populismus einzuordnen, würde ich jetzt persönlich sagen. Man muss das gar nicht groß kommentieren, wie haltlos das ist. Wir brauchen nur mit unseren ukrainischen Geflüchteten, mit denen wir viel Kontakt haben sprechen. Dann ist schon die Absurdität einer solchen Aussage einfach evident.

Es geht jetzt darum, in dieser Situation nicht Öl ins Feuer zu gießen, sondern alles zu tun, um die europäischen Länder zu mobilisieren - und da ist natürlich Italien auch sehr wichtig, weil es immer für die europäische Stimme gesprochen hat - damit es endlich zum Dialog kommt und dass die Kämpfe beendet werden. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was wir jetzt tun müssen.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Gemeinschaft Sant'Egidio

Die im Mai 1968 in Rom entstandene katholische Bewegung Sant'Egidio widmet sich der karitativen Arbeit, der Diplomatie in Bürgerkriegsgebieten sowie dem Dialog der Religionen. Sie hat nach eigenen Angaben rund 60.000 Mitglieder in 70 Ländern, davon 5.000 in Deutschland. Ihr Hauptsitz befindet sich im römischen Stadtteil Trastevere; ihr deutsches Zentrum ist seit 1983 Würzburg. Seit 1986 ist die ökumenisch stark engagierte Gemeinschaft von der katholischen Kirche als Laienvereinigung anerkannt.

Logo der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Logo der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR