DOMRADIO.DE: Wie bewerten Sie den Ausgang der Parlamentswahl in Italien?
Bischof Bertram Meier (Bistum Augsburg): Ich habe dieses Ergebnis auch zur Kenntnis genommen und bin – ehrlich gesagt – erstens sehr, sehr überrascht, andererseits auch sehr besorgt. Ich bin überrascht, dass es doch fast so etwas wie ein Beben in der politischen Landschaft in Italien gegeben hat.
Frau Meloni tritt natürlich mit Power auf. Ich habe es nur durch Radio und Fernsehen erlebt und habe auch ein paar Texte von ihr vorher gelesen Sie ist eine Powerfrau, sie hat auch eine gute Performance, stellt auch etwas dar. Wenn ich so die Italiener sehe, dann wünschen die sich das.
Mario Draghi vorher war eher ein staatstragender, auch in Europa sehr engagierter Politiker und auch Bänker, einer, der sehr administrativ unterwegs war, vielleicht weniger charismatisch. Jetzt haben die Italiener eine Frau, die was mitbringt und die äußerlich eine gute Performance hat.
Aber das gibt mir auch einiges zu denken. Wenn man neben diesen Jubelveranstaltungen auf ihre Worte hört, dann sind sie sehr, sehr holzschnittartig, sind sie auch sehr verallgemeinernd, vergröbernd. Sie bringt in apodiktischen Sätzen sehr, sehr viel von Europa über die sogenannte klassische Ehe bis zur Migrationspolitik rüber. Sie bringt eigentlich alles in zwei Minuten. Da wird man gut hinschauen müssen, welche konkreten Schritte hier folgen werden.
DOMRADIO.DE: Wie sehen das denn die Italiener selber? Wie sieht es die katholische Kirche in Italien? Steht sie hinter dieser Bewegung?
Meier: Ich kann mir natürlich kein Urteil über die katholische Kirche in Italien erlauben. Ich bin nicht Mitglied der Italienischen Bischofskonferenz, geschweige denn arbeite ich noch im Vatikan. Da war ich sieben Jahre.
Aber so, wie ich die italienische Mentalität kenne, ist es so, dass sie sich sagen, Regierungen kommen, Regierungen gehen, "'amicizia", die Freundschaft, "e la famiglia", die Familie, bleiben bestehen. Deshalb werden die Italiener das gelassener nehmen, weil sie auch meinen, dass man so eine Regierung, so ein Bündnis wieder abwählt. Die drei Protagonisten sind ja auch nicht die "very best friends". Die müssen sich zusammenraufen und da kann es in der Emotionalität schnell mal auch rauchen oder was zerklüften.
Aber, und das möchte ich noch mal sagen, die Italiener werden das sicherlich gelassen nehmen.
DOMRADIO.DE: Aber täuschen sie sich da nicht?
Meier: Für die Kirche in Italien ist es sicherlich so, auch vor allem für den Papst, wie ich ihn einschätze, dass bei ihm die Alarmglocken beim Thema Flüchtlinge läuten werden. Denken Sie an seine Reise nach Lampedusa, ganz am Anfang des Pontifikates.
Auch andere Fragestellungen oder Ökologie und auch das Thema Gang zu den Armen, an die Peripherie, seien da nur genannt. Wo es eine Schnittmenge geben kann, ist der Lebensschutz, die klassische Familie. Aber das kennen wir etwa von Trump, das kennen wir von Orban, von anderen auch mehr dem rechten Flügel zugeordneten Politikern. Ich glaube nicht, dass der Papst sich da täuschen lässt. Da ist die Schnittmenge zu klein.
DOMRADIO.DE: Müssen auch in Europa jetzt die Warnglocken angehen?
Meier: Die Warnglocken dürfen läuten. Aber ich glaube, wir brauchen noch keine Sirenen loslassen. Ich hoffe, dass die neue Regierung in Italien vom Ausland und auch von uns sehr gut beobachtet wird. Wir müssen auf der einen Seite versuchen, solange noch keine Weichen gestellt sind, wohlwollend in den Dialog zu treten.
Aber Dialog heißt nicht, sich mit "Pizza e Pasta" mit der neuen Regierung und Frau Meloni an einen Tisch zu setzen, sondern bei alledem, was an Geselligkeit und Diplomatie da ist, die Karten auf den Tisch zu legen. Da hat das Evangelium Jesu Christi einen ganz, ganz hohen Anspruch, auch Stachel im Fleisch in Europa zu sein.
Europa darf sich nicht in verschiedene Nationalstaaten nach dem Motto "Italia prima", zuerst Italien, zersplittern. Das kennen wir von Amerika. Wir dürfen auch versuchen, aus Europa eine Vielvölkergemeinschaft zu machen, die den Reichtum in der Vielfalt entdeckt und lebt. Das war sogar in der Habsburgermonarchie so, sowohl interreligiös als auch multikulturell. Also nicht nur jetzt, in dieser Zeit der Toleranz und des interkulturellen Austauschs.
Ich glaube, Europa wird nur dann funktionieren, wenn wir keine Monokultur haben, wenn wir also keine Silos, keine einzelnen Blöcke der Nationen aufbauen. Da werden wir als Kirche – in Italien sowieso, aber auch international – gut hinschauen müssen.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.