Kardinal Koch vergleicht Reformdebatte mit Nazi-Zeit

Wie die "Deutschen Christen"?

Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch sieht Parallelen zwischen aktuellen kirchlichen Diskussionen in Deutschland und solchen aus der NS-Zeit. Bischof Bätzing fordert umgehend eine Entschuldigung.

Kurt Kardinal Koch / © Francesco Pistilli (KNA)
Kurt Kardinal Koch / © Francesco Pistilli ( KNA )

"Es irritiert mich, dass neben den Offenbarungsquellen von Schrift und Tradition noch neue Quellen angenommen werden; und es erschreckt mich, dass dies – wieder – in Deutschland geschieht", sagte er der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost" (Donnerstag). Koch fügte wörtlich hinzu: "Denn diese Erscheinung hat es bereits während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben, als die sogenannten 'Deutschen Christen' Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben."

Der christliche Glaube müsse stets ursprungsgetreu und zeitgemäß zugleich ausgelegt werden, betonte der Kardinal weiter. Die Kirche sei daher verpflichtet, die Zeichen der Zeit ernst zu nehmen: "Sie sind aber nicht neue Offenbarungsquellen. Im Dreischritt der gläubigen Erkenntnis – Sehen, Urteilen und Handeln – gehören die Zeichen der Zeit zum Sehen und keineswegs zum Urteilen neben den Quellen der Offenbarung. Diese notwendige Unterscheidung vermisse ich im Orientierungstext des 'Synodalen Weges'."

Akzentverschiebung in der kirchlichen Lehre und Praxis

Der Synodale Weg ist das aktuelle Reformprojekt der katholischen Kirche in Deutschland. Der von der Synodalversammlung verabschiedete Orientierungstext gilt als theologisches Fundament für künftige Beratungen und Beschlüsse. Dabei wird auch eine Akzentverschiebung in der kirchlichen Lehre und Praxis vorgenommen: Wichtigste Quellen für Christen sind demnach die Bibel, die Tradition, das Lehramt, die Theologie sowie – und das ist neu – die "Zeichen der Zeit" und der "Glaubenssinn des Volkes Gottes".

Dass eine Orientierung an den Zeichen der Zeit nicht bedeute, dem "Zeitgeist" nachzugehen, hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, mehrfach betont, unter anderem in einer Antwort auf die entsprechende Kritik nordeuropäischer Bischöfe: "Gerne will ich Ihnen versichern, dass der Synodale Weg diese Mahnung stets beherzigt. Niemandem kann es darum gehen, leichtfertig das kirchliche Handeln nach der jeweiligen Mode auszurichten."

"Wahrheit macht frei, aber Freiheit macht nicht wahr"

Der Weg "für eine wahre Reform der Kirche" besteht nach Ansicht von Kardinal Koch in der "Umkehr zu Jesus Christus, der die wahre Neuheit ist, die von keiner anderen Neuheit je eingeholt werden kann". Wahre Reform habe die Erneuerung des Glaubens und der Kirche zum Ziel, nicht einen neuen Glauben und eine neue Kirche.

Es sei die "größte Gefahr heute", dass Wahrheit und Freiheit nicht mehr zusammengesehen, sondern auseinandergerissen würden, so Koch weiter: "In der deutschen Theologie besteht heute die starke Tendenz, in allem von der Freiheit als dem höchsten Wert für den Menschen auszugehen und von daher zu beurteilen, was noch als Glaubenswahrheit gelten darf und was über Bord geworfen werden muss." Nur die Wahrheit mache frei, nicht die Freiheit wahr.

Bätzing fordert umgehende Entschuldigung

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat eine umgehende Entschuldigung Kochs gefordert. Er erwäge eine Beschwerde bei Papst Franziskus, sollte Koch sich nicht entschuldigen, sagte Bätzing am Donnerstag zum Abschluss der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda.

Bischof Georg Bätzing / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Georg Bätzing / © Harald Oppitz ( KNA )

Bätzing erläuterte, es gehe hier um die sogenannten Zeichen der Zeit als Quellen theologischer Erkenntnis und Entwicklung der Lehre, wie sie im grundlegenden Dokument des Synodalen Wegs, dem Reformprojekt des deutschen Katholizismus, angesprochen werden. Der Vergleich sei eine "völlig inakzeptable Entgleisung", auf die die Vollversammlung mit Entsetzen reagiert habe. Koch habe schon häufiger versucht, den Reformprozess zu delegitimieren. Aus Koch spreche die "pure Angst davor, dass sich etwas bewegt". "Ich kann versprechen, es wird sich etwas bewegen", sagte Bätzing. Die Bischofskonferenz wird Mitte November zum turnusmäßigen Besuch im Vatikan sein.

Auch Präsidiumsmitglied des Synodalen Weges, Prof. Thomas Söding, kritisierte Kochs Einlassungen scharf. "Mit den Deutschen Christen in einen Topf geworfen zu werden, verbitte ich mir", sagte der Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und Bochumer Theologe dem Online-Portal "Neues Ruhrwort". Der von Koch angesprochene Orientierungstext differenziere präzise, so Söding. "Koch fällt mit seiner pauschalen Kritik hinter diese Differenzierung zurück."

Die "Deutschen Christen"

Die "Deutschen Christen" waren eine - protestantische - Gruppierung, die seit 1932 versuchte, die evangelische Kirche in Deutschland an den Nationalsozialismus heranzuführen und sie nationalsozialistisch umzugestalten. Ihre Mitglieder vertraten rassistische, antisemitische und am Führerprinzip orientierte Inhalte. Auf ihrer ersten "Reichstagung" Anfang April 1933 in Berlin forderten sie die Einführung des "Arierparagraphen" auch innerhalb der evangelischen Kirche sowie die Bildung einer Reichskirche. An ihrer Spitze sollte gemäß dem Führerprinzip ein "Reichsbischof" als Vertreter aller evangelischen Christen stehen, was im September 1933 auf der ersten Nationalsynode in Wittenberg tatsächlich umgesetzt wurde. Gegner der Gleichschaltung und des Ausschlusses jüdischer Christen gründeten daraufhin im Mai 1934 die Bekennende Kirche.

Was wurde bei der vierten Synodalversammlung beschlossen?

Insgesamt berieten die gut 200 Delegierten der vierten Synodalversammlung über 8 Papiere, ursprünglich waren 14 vorgesehen. Vier Texte wurden in Zweiter Lesung verabschiedet; einer scheiterte an einer Sperrminorität von Bischöfen. Drei Texte standen in Erster Lesung zur Debatte und sind deswegen noch nicht beschlossen, auch wenn die jeweiligen Abstimmungsergebnisse Rückschlüsse auf die grundsätzliche Akzeptanz der jeweiligen Anliegen erlauben.

Abstimmungsgerät bei der vierten Synodalversammlung / © Max von Lachner (SW)
Abstimmungsgerät bei der vierten Synodalversammlung / © Max von Lachner ( SW )
Quelle:
epd , KNA