Leipzigs Kirchen wehren sich gegen Umdeuten der Montagsdemos

"Wir leben in keiner Diktatur!"

Die christlichen Kirchen Leipzigs haben ein Zeichen gegen ein Gleichsetzen der Montagsdemonstrationen der Friedlichen Revolution 1989 mit den gegenwärtigen gesetzt. Zum Beispiel mit einem Schriftzug, der zum Innenstadtring hin prangt.

An der Fensterfront des Gemeindehauses der Propsteikirche Sankt Trinitatis in Leipzig steht der Schriftzug "22 ist nicht 89. Wir leben in keiner Diktatur!", am 9. Oktober 2022. / © Karin Wollschläger (KNA)
An der Fensterfront des Gemeindehauses der Propsteikirche Sankt Trinitatis in Leipzig steht der Schriftzug "22 ist nicht 89. Wir leben in keiner Diktatur!", am 9. Oktober 2022. / © Karin Wollschläger ( KNA )

Die Leipziger Propstei-Kirche hat ein sichtbares Zeichen gegen eine Gleichsetzung der Montagsdemonstrationen der Friedlichen Revolution 1989 mit den gegenwärtigen gesetzt. An der Fensterfront des Gemeindehauses zum Innenstadtring hin prangt in großen Lettern der Schriftzug "22 ist nicht 89. Wir leben in keiner Diktatur!" Es handelt sich um eine Initiative der katholischen und evangelischen Leipziger Innenstadtkirchen.

Friedliche Revolution in der DDR

In Leipzig versammelten sich am 4. September 1989 - einem Montag - rund 1000 Menschen vor der Nikolaikirche und forderten unter anderem Reisefreiheit. Daraus entstanden die Montagsdemonstrationen. Bei der größten am 9. Oktober 1989 protestierten 70.000 Menschen in Leipzig friedlich gegen das SED-Regime. Es setzt sich der Ruf "Wir sind das Volk - keine Gewalt" durch. Die sächsische Stadt befand sich an diesem Tag im Belagerungszustand. Polizei, Stasi, Armee und paramilitärische Kampfgruppen waren aufgefahren, um den Montagsdemonstrationen ein gewaltsames Ende zu machen.

DDR-Bürger strömen am 11.11.1989 durch den neuen Grenzübergang an der Bernauer Straße / © Wolfgang Kumm (dpa)
DDR-Bürger strömen am 11.11.1989 durch den neuen Grenzübergang an der Bernauer Straße / © Wolfgang Kumm ( dpa )

Der leitende katholische Pfarrer, Propst Gregor Giele, sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Sonntag auf Anfrage: "Wir können als Kirchen diese Instrumentalisierung einer verständlichen Angst der Menschen und den dafür verwendeten Rückgriff auf die Slogans der Friedlichen Revolution von 1989 nicht gutheißen und nicht still zur Kenntnis nehmen." Der weithin sichtbare Schriftzug habe eine doppelte Wirkung: "Da gehen alle Demos dran vorbei, den kann kein Demonstrant übersehen. Und er hat auch die Funktion eines Faktenchecks."

"Lautstärke ersetzt keine Mehrheiten"

Angesichts des immer wieder zu sehenden Banners "Wir sind das Volk" bei den aktuellen Demos müsse gesagt werden: "Lautstärke ersetzt keine Mehrheiten. Hier wird etwas behauptet, was nicht der Wahrheit entspricht", sagte Giele. Vorbild für die Aktion der Leipziger Kirchen ist ihm zufolge die evangelische Getsemanikirche in Berlin-Prenzlauer Berg, die sich mit demselben Slogan am Kirchenportal gegen eine Vereinnahmung des historischen Ortes durch "Querdenker" wehrt.

Am Sonntagabend erinnert die Stadt Leipzig mit dem alljährlichen Lichtfest an die Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989. Damals demonstrierten über 70.000 Menschen den Leipziger Innenstadtring entlang friedlich gegen das SED-Regime. Das Ereignis gilt als entscheidender Schritt der Friedlichen Revolution, die im Mauerfall einen Monat später mündete.

Mitbegründerin von Memorial

Das Lichtfest beginnt auch dieses Jahr mit einem Friedensgebet in der Nikolaikirche, wie schon 1989. Im Anschluss hält Irina Scherbakowa dort die traditionelle "Rede zur Demokratie". Die russische Menschenrechtsaktivistin ist Mitbegründerin der Organisation Memorial, die den diesjährigen Friedensnobelpreis erhält.

Zuletzt hatten am vergangenen Montag, dem Tag der Deutschen Einheit, mehrere tausend Menschen auf dem Leipziger Innenstadtring demonstriert. Die Proteste richteten sich vor allem gegen die Energie- und Russlandpolitik der Bundesregierung, die Gegendemos gegen Rechtsextremismus bei den Montagsdemos.

Quelle:
KNA