DOMRADIO.DE: Der weltweite Trend zur Abschaffung und Ächtung der Todesstrafe sich fort. Allerdings gibt es auch Rückschläge; in Kriegs- und Krisenzeiten haben Menschenrechte einen schweren Stand. Aktuelles Beispiel ist Russland. Denn in dem Land, das die Ukraine mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg überzogen hat, mehren sich gerade Rufe nach der Wiedereinführung der Todesstrafe...
Matthias Leineweber (Katholischer Pfarrer und Mitglied bei Sant’Egidio): Die Menschenrechte haben es immer schwer in Krisenzeiten. Das merken wir jetzt gerade daran, wie mit dem Leben und dem Respekt vor dem Leben umgegangen wird. Schließlich sind die meisten Opfer Zivilisten. Russland zwar ein Moratorium verhängt, richtet also im Moment wohl keine Todeskandidaten hin. Aber wir wissen nicht, wie sich dieser Konflikt weiterentwickeln wird, und da sind leider auch negative Tendenzen möglich.
DOMRADIO.DE: Der Iran hat nie aufgehört, Todesurteile zu vollstrecken. Da werden Proteste, wie wir sie gerade erleben, schnell lebensgefährlich. Wie schätzen Sie aktuell die Situation vor Ort ein?
Leineweber: Das ist gerade im Iran und wie auch in einigen anderen Ländern nicht ganz leicht zu nachzuvollziehen. Auch China oder Nordkorea sind solche Staaten, die viele Menschen zum Tod verurteilen. Wie und in welchem Umfang die Hinrichtungen vollstreckt werden lässt sich oft nur schwer überprüfen; wir haben oft Probleme, an die nötigen Informationen zu bekommen. Insgesamt ist das weltweite Niveau laut den bekannten Organisationen wie amnesty international niedriger; sie verzeichnen insgesamt eine rückläufige Tendenz bei der Vollstreckung von Todesstrafen. Allerdings haben Hinrichtungen jetzt nach der Pandemie wieder zugenommen, leider auch für Vergehen, für die wir diese Härte nicht ansatzweise nachvollziehen können. Kritik am Regime oder Drogendelikte oder eben auch die bloße sexuelle Orientierung können Gründe sein, um jemanden zum Tod zu verurteilen und auch hinzurichten.
DOMRADIO.DE: Es gibt noch ein weiteres Negativ-Beispiel: Myanmar in Südostasien. Da galten Hinrichtungen eigentlich schon als Phänomen der Vergangenheit, das scheint sich aber jetzt wieder zu drehen. Wie ist das?
Leineweber: Das ist so ein bisschen die Tendenz autokratischer Regime. Das sehen wir in Myanmar sehr deutlich. 30 Jahre lang wurde dort niemand hingerichtet. Das heißt, es zählte eigentlich schon als Land, das die Todesstrafe zwar noch nicht de facto, aber in der Praxis eigentlich längst abgeschafft hatte. Und jetzt wurde im Juli ein Demokratieaktivist und ehemaliger Abgeordneter hingerichtet. Das ist natürlich keine gute Entwicklung; und wir wissen, wie Myanmar mittlerweile wieder mit den Menschenrechten umgeht.
DOMRADIO.DE: Wir können aber auch Positives berichten, zum Beispiel aus den USA. Da hat Präsident Biden in Sachen Abschaffung der Todesstrafe schon einiges auf den Weg gebracht. Was zum Beispiel?
Leineweber: Vielleicht haben das einige Hörer noch in Erinnerung, dass am Ende der Ära Trump diese schrecklichen Hinrichtungen stattfanden von Todeskandidaten, die auf Bundesebene verurteilt worden waren. Normalerweise wären zum Ende seiner Regierungszeit eher Begnadigungen zu erwarten gewesen, aber Trump hat mit einer ganzen Welle von Hinrichtungen das Gegenteil angeordnet. Biden hat diese Hinrichtungen dann sofort gestoppt und ein Moratorium auf Bundesebene verhängt. Das war ein sehr positives Signal. Ein weiterer Lichtblick war, dass mit Virginia der 23. Bundesstaat der USA letztes Jahr die Todesstrafe abgeschafft hat. Das war deshalb so besonders und wichtig, weil Virginia zuvor einer der Bundesstaaten war, der die meisten Todeskandidaten hatte hinrichten lassen. Außerdem gehört Virginia zu den Südstaaten, die am stärksten an der Todesstrafe festhalten. Von daher war das wirklich ein tolles Signal und eine große Hoffnung für all die Menschen, die Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für die Ächtung der Todesstrafe engagieren.
DOMRADIO.DE: Wie kann es überhaupt sein, dass ein moderner Staat wie die USA noch immer an der Todesstrafe festhält?
Leineweber: Dahinter steckt wohl das Denken, dass jedem das widerfährt, was er verdient. Dieses alttestamentarische Denken des "Auge um Auge, Zahn um Zahn" ist noch sehr verbreitet. Allerdings gehen wir als Christen ja vor allem vom Neuen Testament aus, in dem Jesus sagt: "Wenn dir einer auf die rechte Wange schlägt, halt auch die linke hin!" Das Neue Testament spricht sich für Vergebung aus. Schließlich ist das Todesurteil gegen Jesu das ungerechteste Todesurteil der Geschichte! Für uns Christen wird es auch zum Mahnmal um zu sagen: So eine Strafe dürfen wir einfach nicht anwenden.
DOMRADIO.DE: Wie kämpfen Sie von Sant'Egidio gegen die Todesstrafe?
Leineweber: Wir arbeiten auf verschiedenen Ebenen. Das fängt bei Brieffreundschaften mit Menschen im Todestrakt an, die oft sehr unter Einsamkeit und Ausgrenzung leiden. Sie wollen wir menschlich und geistlich-spirituell auf diesem schwierigen Weg begleiten. Aber wir engagieren uns auch auf der Ebene der Politik. Etwa, indem wir mit Justizministern zusammenarbeiten – wie in den letzten Jahren immer wieder in Afrika - um ihnen die Vorzüge der europäischen Justizsysteme aufzuzeigen. Wir wollen sie von der Rehabilitation des Lebensschutzes überzeugen, ihnen zeigen, dass das die bessere Option ist.
Das Gespräch führte Oliver Kelch.