"Heiligkeit", so leitet Kardinal Woelki im Kölner Dom seine Predigt ein, sei keine Sache "für einige wenige Auserwählte". Ganz im Gegenteil: "Zur Heiligkeit sind wir alle berufen, und zwar ohne jede Ausnahme." Das Evangelium mit den Seligpreisungen der Bergpredigt wolle uns einen Weg zur Heiligung aufzeigen. "Vielleicht fällt Ihnen ja spontan ein, wann Sie das letzte Mal so richtig selig waren", fragt der Kardinal die Gläubigen im Kölner Dom.
Selig werden - ein Kontrastprogramm
"Vielleicht bei einem unbeschwerten Zusammensein mit guten Freunden, mit Menschen, die in ihrem Herzen einen Platz haben. Am Tag ihrer Eheschließung, bei der Geburt ihres Kindes, nach einer schweren und dann Gott sei Dank glücklicherweise überstandenen Krankheit"... Seligkeit, das sei eine überwältigende Freude, das nicht in Worte zu fassende Glück, ein Zustand absoluter Wunschlosigkeit.
Doch wie könne man diesen Zustand erreichen? Im Evangelium antworte Jesus auf diese Frage "Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig sollen auch die Trauernden sein und die, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit." Damit werde Menschen Seligkeit zugesprochen, die nach unserer Vorstellung alles andere als glücklich seien. "Das ist ein richtiges Kontrastprogamm", so der Kardinal. Und er führt aus: Glücklich sein dürfen alle, die arm seien vor Gott. Dabei ginge es nicht so sehr um materielle Armut, sondern darum, wie einer vor Gott steht. "Da geht es um eine Haltung. Es geht darum, welche Beziehung ich zu Gott habe", erläutert Woelki.
Leben gelingt nicht aus eigener Kraft
Wer ausschließlich das Sichtbare für wahr halte, wer allein auf die Karte der materiellen Sicherheit setze, der werde das wahre Glück, die Seligkeit, nicht finden. "Wer Seligkeit erfahren will, für den führt der Weg über den Offenbarungseid, über den Offenbarungseid vor Gott", fasst Woelki zusammen. Die Armen vor Gott seien die, die ihre Bedürftigkeit erkennen. Die wüssten, dass das Leben bei allen Mühen und Tun, bei aller Anstrengung letztlich doch nicht aus eigener Kraft gelinge. Jesus preise gewissermaßen die selig, "die sich wie eine hohle Hand Gott entgegenstrecken und die alles von ihm her erwarten".
Das hieße aber nicht, alles dem lieben Gott zu überlassen. Woelki betont: "An unserer Verantwortung für den Gang der Geschichte kann kein Zweifel sein, ebenso nicht an unserer Pflicht, an dieser Welt mitzuarbeiten, damit sie für alle einigermaßen erträglich wird." Arm sein vor Gott - das meine allerdings grundsätzlich infrage zu stellen, dass wir mit uns selber fertig werden. Es sei ein Bekenntnis – ein Bekenntnis, dass wir Gott brauchen, um mit uns selbst und mit der Welt fertig zu werden. Und mit Gott zu rechnen, der letztlich die Geschichte schreibe.
Es geht um eine Erneuerung des Herzens
"Der, der wirklich arm geworden ist vor Gott", lebe jetzt schon aus der Kraft des verborgenen Himmelreiches. Kardinal Woelki führt aus: "Wer alles von Gott her sehen gelernt hat, wird auch vom bösen Wort getroffen werden, wie jeder andere auch. Er wird von sich aus genauso versucht sein, es zurückzugeben. Er kann es aber aus dem Wissen um Christus auffangen und dann dem Unfrieden mit Frieden begegnen. Warum? Weil er es sich jetzt schon leisten kann, nicht zurückzuschlagen, ja sogar die Hand auszustrecken. Solche Menschen preist Jesus selig." Der Weg zur Heiligkeit sei nicht einfach. Letztlich gehe es immer um "eine Erneuerung unserer Herzen", eine "Umwandlung unseres inneren Menschen". Und darum zu versuchen, "zu jeder Zeit Gott im Herzen und Gott vor Augen zu haben", schließt Woelki seine Predigt.
Musikalisch gestaltet würde das Hochamt durch den Kölnder Domchor, der unter der Leitung von Eberhard Mettenich die Missa "Dixit Maria" von Hans Leo Hassler sang. An der Domorgel spielte Winfried Bönig.
Hochfest Allerheiligen
Die Kirche gedenkt heute Tag aller Heiligen, auch der nicht kanonisierten. Letztlich verehrt sie in ihnen Christus, dessen Gnade sich als machtvoll erwiesen und die Heiligen zur Vollendung geführt hat. Die Heiligen sind Zeugen für die Kraft Gottes und für den Sieg des Auferstandenen, der in seiner Kirche lebt und auch heute noch Menschen ergreift. So ist das Allerheiligenfest ein durch und durch österliches Fest.
Die Heiligen, die "triumphierende Kirche", bilden zusammen mit uns Glaubenden, der pilgernden Kirche, die eine Kirche. Wir rufen die Heiligen als unsere Fürsprecherinnen und Fürsprecher an. Zugleich sind sie für uns Wegweiser auf das Ziel hin, das sie bereits erreicht haben, zu dem wir aber noch unterwegs sind.
Im Orient reicht das Fest zurück bis ins vierte Jahrhundert, wo neben den Festen einzelner Märtyrer um Ostern aller Märtyrer gedacht wurde. Das Datum des Gedenktages war dort zunächst unterschiedlich am 13. Mai oder dem Sonntag nach Pfingsten. Im Westen beging man das Märtyrergedenken am 13. Mai, dem Weihetag des römischen Pantheons zu Ehren der Jungfrau Maria und aller heiligen Märtyrer (609/610).
Im achten Jahrhundert begann man in Irland und England, den 1. November als Fest aller Heiligen, nicht nur der Märtyrer, zu feiern. Damit erfuhr das zu diesem Zeitpunkt begangene keltische Neujahrsfest Samhain eine christliche Umdeutung. Die Furcht vor den Toten, mit der Samhain besetzt war – man entzündete Feuer und trieb Mummenschanz zu ihrer Abschreckung; diese Bräuche leben heute kommerzialisiert in Halloween (Allhallows eve) weiter –, wurde abgelöst von der österlichen Freude über die bleibende Gemeinschaft mit allen, die bereits in Gottes Ewigkeit leben. Vom neunten Jahrhundert an setzte sich der Allerheiligentag auch auf dem Festland durch. Quelle: Magnificat. Das Stundenbuch. November 2022