DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie denn in kirchlichen Kreisen einen Hang nach rechts?
Ludwig Schick (Erzbischof von Bamberg): Der Hang nach rechts ist ein wenig in den Menschen grundgelegt. Wenn es Krisen gibt, dann ganz besonders. Wir sind in einer krisenbehafteten Zeit. Dann versucht man, sein eigenes Leben oder seine eigene Umgebung, auch seine eigene Ethnie herauszustellen, zu retten und in die Zukunft zu bringen. Dabei wird man dann einseitig und lehnt andere ab.
Das ist die Wurzel von Rechtsradikalismus. Den haben wir auch in der Kirche. Es gibt zurzeit viele Probleme, auch mit anderen Religionen. Da kommen Einseitigkeiten und Verhärtungen stärker hervor und gegen die muss man mit aller Entschiedenheit angehen. Katholische Kirche ist immer weltumspannend und allumfassend, schließt niemanden aus, ist immer inklusiv und niemals exklusiv.
DOMRADIO.DE: Dass Menschen in Krisenzeiten eher rechtsorientierte Parteien wählen, hat man gerade auch in Niedersachsen gesehen, wo die AfD fast 5% zugelegt hat. Bereiten Ihnen solche Wahlergebnisse Sorgen?
Schick: Sehr große Sorgen macht mir das, weil das eigentlich nicht zukunftsträchtig und zukunftsfähig ist. Das sind Angstwahlen, das sind Angstentscheidungen. Ängste sind niemals gute Ratgeber. Aber mit den Menschen, die so gewählt haben und im Augenblick aus ihrer Angst heraus solche Entscheidungen fällen, muss man ins Gespräch kommen und muss sie aus ihren Löchern der Angst herausholen, um sie wieder zu freien, letztlich auch vernünftigen Menschen zu machen, die dann das Ganze im Blick haben und entsprechend dann auch ihre Entscheidungen fällen, bis hin zu ihrer Stimmabgabe bei den Wahlen.
DOMRADIO.DE: Sie selbst haben sich ja schon oft gegen rechte Thesen positioniert. Sie sind zum Beispiel auch 2016 von der AfD verbal angegriffen worden, weil Sie gesagt haben, dass sie einen demokratisch gewählten islamischen Bundespräsidenten akzeptieren würden. Wie viele Sorgen bereiten Ihnen solche Angriffe auch persönlich?
Schick: Natürlich bereiten mir solche Angriffe auch persönlich Ängste, Befürchtungen. Ich bin ja direkt bedroht worden und musste auch zeitweise Polizeischutz in Anspruch nehmen. Das bereitet mir Ängste. Aber ich muss, wie ich für andere fordere, auch meine eigenen Ängste überwinden.
Denn wenn man aus Angst heraus nichts tut oder sich versteckt, dann tut man eben nicht mehr das, was auch Jesus Christus von uns fordert, dass wir offen und engagiert uns gegen Positionen richten, die eigentlich unsere Zukunft verbauen und kaputt machen. Da braucht es Engagement, da braucht es Courage. Da braucht es den Geist des Widerstandes. Den versuche ich auch immer wieder in mir hoch zu bringen. Das fordere ich natürlich auch von anderen. Wer Christ ist, der muss sich für Freiheit, für Einheit, für weltumspannende Solidarität und weltumspannende Nächstenliebe einsetzen, sonst verdient er den Namen Christ nicht.
DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt noch mal genauer auf Rechtsradikalismus in der Kirche schauen, sind da Leute mit rechtem Gedankengut in irgendeiner Weise organisiert?
Schick: Ich denke ja. Das ist ja immer ganz schwer herauszufinden, wo genau Rechtsradikalismus da ist. Aber wir müssen analysieren und müssen auch Quellen des Rechtsradikalismus in der Kirche aufdecken. Wenn Menschen also zum Beispiel im Sinne von Nationalismen oder auch Ethnien eng werden und dann das mit katholischer Kirche, selbst mit biblischen Zitaten rechtfertigen, dann muss man mit denen in einen offenen, engagierten Dialog und Diskurs eintreten, um das zu überwinden.
Ich sehe zum Beispiel bei bestimmten Lebensrechtsschützern auch rechtsradikale Tendenzen. Wenn es um den interreligiösen Dialog geht, auch da gibt es rechtsradikale Tendenzen, die andere Religionen grundsätzlich ablehnen, weil sie allein auf ihrer gedachten katholischen Position bestehen. Da sehe ich Probleme, aber Probleme, die anzugehen sind und überwunden werden müssen.
DOMRADIO.DE: Gilt diese Rechtsorientierung unter den Kirchenmitgliedern genauso für Laien wie für den Klerus?
Schick: Ja, ich sehe eigentlich bei manchen Laien sogar mehr als beim Klerus. Wir müssen da wirklich aufpassen. Vor allen Dingen Kleriker, die ja auch verantwortlich sind, dass Menschen aus dem christlichen Geist heraus christlich leben, müssen aufpassen, dass sie auch mit Laien reden, ihnen auch immer wieder sagen, was eigentlich biblische evangelische Lehre ist und sie auch aus diesen Verengungen herausholen.
DOMRADIO.DE: Sie diskutieren auf einer Tagung in Nürnberg genau über dieses Thema. Viele Vertreter aus der katholischen Kirche in Deutschland sind dabei. Welches konkrete Ziel haben Sie bei diesem Treffen?
Schick: Nachdenklichkeit zu schaffen und den Diskurs zu fördern. Wir werden immer in den Gefahren sein, dass wir verengt werden, dass wir die Freiheit anderer einschränken, um auch das eigene Leben, die eigene Freiheit, die eigene Zukunft zu retten. Das ist eine Tendenz, die immer bleibt und immer bleiben wird, die es auch immer gab. Wir müssen als Katholiken auch diesen Diskurs fördern und ihn immer wieder auch beginnen, damit eben solche Verhärtungen, Einseitigkeiten, Verängstigungen nicht wachsen.
Die Freiheit ist niemals ein Faktum oder ein Besitz, der da ist und bleibt. Wir müssen immer wieder darum ringen und immer wieder neu das Gespräch führen und da wirklich aus der Botschaft Jesu Christi schöpfen, die Freiheit, Katholizität, Einheit und auch Heiligkeit für alle Menschen will.
Das Interview führte Hannah Krewer.