Jerusalem als Hauptstadt?!

Eine Lunte am Nahost-Pulverfass

Die ehemalige britische Premierministerin ließ prüfen, ob die Botschaft nach Jerusalem verlegt werden kann. Australien hat die Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt anzuerkennen, widerrufen. Warum ist Jerusalem so ein Zankapfel?

Autor/in:
Clemens Sarholz
Eine muslimische Frau und ein Mädchen sitzen auf einer Mauer vor der Al-Aksa-Moschee (Al-Aqsa-Moschee) und dem Felsendom auf dem Tempelberg in der Altstadt von Jerusalem / © Corinna Kern (KNA)
Eine muslimische Frau und ein Mädchen sitzen auf einer Mauer vor der Al-Aksa-Moschee (Al-Aqsa-Moschee) und dem Felsendom auf dem Tempelberg in der Altstadt von Jerusalem / © Corinna Kern ( KNA )

Der Status Jerusalems solle in Friedensverhandlungen geklärt werden, begründete die australische Außenministerin Penny Wong das Widerrufen der Anerkennung des Hauptstadtstatus. In den vergangenen Tagen wurde viel über den Status Jerusalems berichtet. Doch diese Debatte ist nicht neu. Seit über 70 Jahren wird das Thema diskutiert. Was aber hat es genau damit auf sich?

Grabeskirche in Jerusalem

Grabeskirche in Jerusalem (epd)
Grabeskirche in Jerusalem / ( epd )

Die Grabeskirche  im christlichen Viertel in der Jerusalemer Altstadt wurde ursprünglich 325 nach Christus unter Helena, der Mutter des römischen Kaisers Konstantin, erbaut. Sie soll sich der Überlieferung nach an der Stelle befinden, wo Christus nach seinem Tod am Kreuz beerdigt wurde und wieder auferstand. 


Heiligtümer überall

Jerusalem ist Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen heilig, wobei Christen in dem Konflikt eher eine Nebenrolle spielen. In der Altstadt Jerusalems liegt der Tempelberg. Dort standen die beiden bedeutendsten Tempel des Judentums, von dort soll Mohammed, der größte Prophet des Islam, auf seinem Pferd in den Himmel geritten sein, dort steht die Grabeskirche, wo Jesus vor 2.000 Jahren begraben worden sein soll. In Jerusalem befindet sich ebenfalls die al-Aqsa-Moschee, die als drittheiligste Moschee des Islam gilt.

Die Klagemauer, die ein Relikt des letzten jüdischen Tempels darstellt, wird von Juden umgangssprachlich "Kotel" genannt, was zu Deutsch "Mauer" bedeutet. Sie wird im Englischen als "Western Wall" bezeichnet, da sie ein Teil der westlichen Mauer des ehemaligen Tempels ist. Sie dient nicht in erster Linie als ein Ort der Klage, sondern ist ein Ort des Gebets, der allen Menschen offen steht. Den ersten Tempel soll König Salomo errichtet haben, genau dort, wo Gott Abraham abverlangt haben soll, seinen Sohn Isaak zu opfern. In dem Tempel soll auch eine goldene Truhe gestanden haben, die Bundeslade. In ihr bewahrten die Juden die Steintafeln mit den Zehn Geboten auf, die Mose auf dem Berg Sinai von Gott erhalten hatte.

Überall findet man in Jerusalem religiöse Heiligtümer. Das politische, religiöse und historisch gewachsene Konfliktpotential ist riesig.

Von der Diaspora zur Staatsgründung

Was hat es also mit den diplomatischen Bemühungen auf sich, Jerusalem zur Hauptstadt zu erklären? Vor der Staatsgründung lebte das jüdische Volk 1.800 Jahre zerstreut in der Diaspora, mit dem Zweiten Weltkrieg erlitt es Terror und Leiden, wie es in der Geschichte unvergleichlich ist. Mit der Gründung des Staates Israel kam das Thema "Hauptstadt Jerusalem" erstmalig auf.

Am 14. Mai 1948 erklärte Israel unter der Führung David Ben Gurions seine Unabhängigkeit. Noch am Tag der Unabhängigkeitserklärung griffen Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den neuen Staat an, um seine Proklamation rückgängig zu machen. Israel konnte sich in diesem Krieg nicht nur behaupten, sondern auch erhebliche Geländegewinne für sich verbuchen.

Unabhängigkeit auf der einen Seite – Katastrophe auf der anderen

Die Gründung des Staates begann mit einem Krieg, der auf israelischer Seite als Unabhängigkeitskrieg in die Geschichte einging, auf arabischer Seite als "Al Nakba" – als Katastrophe, bei der etwa 700.000 arabische Palästinenser vertrieben wurden.

Für Jerusalem bedeutete der Krieg die Teilung der Stadt. West-Jerusalem fiel Israel zu, über Ost-Jerusalem erlangte Jordanien die Kontrolle. In diesem Teil liegen der Tempelberg und seine Heiligtümer der drei Weltreligionen. Der jüdischen Bevölkerung wurde der Zugang zum Tempelberg und zur Klagemauer verwehrt.

Der Status der Stadt Jerusalem war Ende 1949 Thema der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) in Lausanne in der Schweiz. Die UN beharrten darauf, die Stadt Jerusalem unter eine internationale Regierung zu stellen und so die Neutralität Israels zu wahren – die Stadt mit einem Sonderstatus zu versehen, dem sogenannten Corpus Separatum. Zusätzlich sollte den Flüchtlingen die Möglichkeit eingeräumt werden zurückzukehren.

Sechstagekrieg: Kleines Israel siegt 1967 an drei Fronten

Im Juni 1967 kämpfte Israel sechs Tage lang gegen seine arabischen Nachbarn Ägypten, Jordanien und Syrien. Der bisher kürzeste Krieg in Nahost prägt bis heute - 50 Jahre später - die Realität in der Region. Mit einem Überraschungsangriff hatte Israel die ägyptische Luftwaffe noch am Boden zerstört, auch Jordanien und Syrien mussten demütigende Niederlagen hinnehmen. Vorausgegangen waren aggressive Schritte des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, der an Israels Grenze Truppen zusammenzog, die Schifffahrtsrouten des jüdischen Staates blockierte und mit Israels Zerstörung drohte.

Der Sechstagekrieg 1967 / © A. Brühl  (dpa)
Der Sechstagekrieg 1967 / © A. Brühl ( dpa )

International nicht anerkannt

Ben Gurion, der Staatsgründer, hielt dagegen und erklärte, dass Jerusalem das Herz Israels und ein unlösbarer Teil des Staates sei. In der Folge zog das israelische Parlament, die Knesset, von Tel Aviv nach Jerusalem und erklärte Jerusalem im Januar 1950 zur Hauptstadt. International wurde die Entscheidung nicht anerkannt. Bis zum Sechstagekrieg im Jahr 1967 eröffnete kein Staat eine Botschaft in West-Jerusalem.

Im Sechstagekrieg eroberte Israel unter anderem Ost-Jerusalem und annektierte es später. Mit der Annexion der Gebiete hatte Israel wieder Zugang zum Tempelberg und zur Klagemauer. Seitdem will Israel die Kontrolle über die Stadt nicht teilen. In den folgenden Jahren siedelten sich einige Botschaften in Jerusalem an. Während die Altstadt und die Ost-Jerusalemer Viertel überwiegend palästinensisch sind, sind der Westteil und die jüdischen Siedlungen in Ost-Jerusalem israelisch.

Das Jerusalem-Gesetz

1980 wurde das sogenannte "Jerusalem-Gesetz" verabschiedet. Damit wurden der Ost- und Westteil der Stadt zusammengelegt und Jerusalem im israelischen Verständnis zur untrennbaren Hauptstadt. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte das Gesetz mit der Resolution 478 und forderte die Staaten, die ihre Botschaften in Jerusalem errichtet hatten, auf, ihren diplomatischen Sitz aus Jerusalem abzuziehen. In der Vergangenheit waren zeitweise mindestens 16 Botschaften zeitgleich dort angesiedelt.

Die Kontroverse um die Verlegung der Botschaften und der Status Jerusalems sind bis heute heftig umstritten. Viele Mitglieder der internationalen Gemeinschaft argumentieren damit, dass sich der Status Jerusalems in einem gemeinsamen Friedensprozess klären solle.

Trump brach mit der Konvention

Der ehemalige Präsident der USA, Donald Trump, brach mit diesem Umgang im Jahr 2018. Zwar hatten die USA Jerusalem als Hauptstadt Israels schon in den 1990er Jahren akzeptiert, jedoch waren die Präsidenten ermächtigt, den Vollzug dieses Beschlusses aus außenpolitischen Erwägungen um jeweils 6 Monate auszusetzen. Von diesem Recht machten bis Trump alle Präsidenten Gebrauch.

Trump verlegte die US-amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Am 70. Jahrestag der israelischen Unabhängigkeitserklärung wurde sie eingeweiht. Damit hat Trump international für Aufruhr gesorgt. Während die israelische Regierung die Entscheidung begrüßte, sahen Palästinenser in ihr ein Statement gegen die "Zwei-Staaten-Lösung". Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die islamische Welt im Jahr zuvor aufgefordert, Jerusalem als Hauptstadt Palästinas anzuerkennen.

Neben den USA unterhalten derzeit Guatemala und Honduras Botschaften in Jerusalem. Konkrete Planungen, ihre Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, gibt es in Brasilien. Einige andere Länder, wie etwa Ungarn, eröffneten in Jerusalem bisher nur Handelsvertretungen.

Was die Kirchen dazu sagen

Von kirchlicher Seite aus wird gewarnt. Die Heads of Churches in Jerusalem schreiben in einer offiziellen Erklärung: "Als Stadt, die den drei abrahamitischen Glaubensrichtungen heilig ist, die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren, wird Jerusalem seit langem von der internationalen Gemeinschaft, einschließlich des Vereinigten Königreichs, mit einem Sonderstatus (Corpus Separatum) anerkannt, der auf die Wahrung der Religionsfreiheit abzielt. (…) Die beabsichtigte Verlegung der britischen Botschaft nach Jerusalem würde dieses Schlüsselprinzip des Corpus Separatum und die damit angestrebten politischen Verhandlungen ernsthaft untergraben.“

Die Überlegungen der Verlegung der Botschaft seien ein weiteres Hindernis im "ohnehin schon festgefahrenen Friedensprozess".

2022 – das blutigste Jahr seit 2006

Das Jahr 2022 ist, laut einem UN-Bericht, das blutigste seit 2006. Im Westjordanland seien im bisherigen Jahr 2022 mindestens 105 Palästinenser, darunter 26 Kinder, von israelischen Streitkräften getötet worden. Im Vergleich zum Vorjahr ist der monatliche Durchschnitt um 57 Prozent gestiegen. Auf israelischer Seite sind zehn Zivilisten, drei Ausländer und vier Soldaten von Palästinensern aus dem Westjordanland getötet worden.

Hintergrund: Israels Siedlungsbau

Anfang 2021 hat Israel nach Angaben von Peace Now Ausschreibungen zum Bau von 2572 Siedlerwohnungen veröffentlicht. Von diesen lägen 2112 im Westjordanland und 460 in Ost-Jerusalem, teilte die israelische Menschenrechtsorganisation mit. Die Pläne sollen demnach zusätzlich zu dem kürzlich genehmigten und international kritisierten Bau von knapp 800 Wohnungen umgesetzt werden. Die Siedlungspolitik Israels ist hoch umstritten. Der UN-Sicherheitsrat hatte Israel Ende 2016 zu einem vollständigen Siedlungsstopp in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich Ost-Jerusalem aufgefordert.

Blick auf eine jüdische Siedlung auf einem Hügel im Westjordanland nahe Bethlehem, palästinensisches Gebiet / © Julius Bramanto (shutterstock)
Blick auf eine jüdische Siedlung auf einem Hügel im Westjordanland nahe Bethlehem, palästinensisches Gebiet / © Julius Bramanto ( shutterstock )
Quelle:
DR
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