Hilfswerk missio krisitiert frauenfeindliche Justiz in Katar

"Man muss jetzt Tacheles reden"

Die Opfer werden zu Täterinnen gemacht: Vergewaltigungsopfer werden in Katar immer wieder angeklagt und verurteilt. Dagegen hat das katholische Hilfswerk missio knapp einen Monat vor Beginn der Fußball-WM eine Petition gestartet.

Vor der Fußball-WM 2022 in Katar / © Christian Charisius (dpa)
Vor der Fußball-WM 2022 in Katar / © Christian Charisius ( dpa )

DOMRADIO.DE: Zum Verständnis nochmal: Mit welcher Begründung werden diese vergewaltigten Frauen, die sehr oft als Arbeitskräfte von den Philippinen kommen, denn verurteilt?

Jörg Nowak (stellvertretender Pressesprecher von missio Aachen): Ich glaube, das kann man eigentlich gar nicht verstehen, weil es so absurd ist. Ein Beispiel, das sich in diesem Jahr ereignet hat. Da hat es eine Mitarbeiterin des Organisationskomitees der Fußballweltmeisterschaft getroffen, eine gebürtige Mexikanerin. Sie hat in Katar gearbeitet und sich verzweifelt an die Polizei gewandt und berichtet, dass sie vergewaltigt wurde. Der Beschuldigte wurde schnell gefunden. Er hat behauptet, das Opfer habe freiwillig mitgemacht.

Jörg Nowak

"Ein Anwalt hat ihr dann empfohlen, sie solle den Vergewaltiger heiraten und dann würde sie nicht ausgepeitscht"

Nach und nach hat sich so das Blatt gewendet, dass der Betroffenen, die eigentlich Hilfe suchte und Gerechtigkeit wollte, Geschlechtsverkehr ohne Heirat vorgeworfen wurde, weil sie ja behauptet hat, es habe eine Vergewaltigung stattgefunden. Das wird dann nach der Rechtsprechung dort als ein Geschlechtsverkehr interpretiert. Und dadurch, dass sie nicht mit diesem Täter verheiratet war, hat sie sich straffällig gemacht. Das ist die absurde Interpretation. Und dann drohten ihr 100 Peitschenhiebe und eine Gefängnisstrafe. Ein Anwalt hat ihr dann empfohlen, sie solle den Vergewaltiger heiraten und dann würde sie nicht ausgepeitscht und käme auch nicht ins Gefängnis.

Nur mit viel Glück und durch internationale Proteste ist es ihr gelungen, außer Landes zu kommen und in Sicherheit zu sein. Ich glaube, dass die psychologische Wirkung dieser frauenfeindlichen Rechtsinterpretation ganz massiv ist, weil sie dazu führt, dass die Frauen sagen: Ich schneide mir ja nicht ins eigene Fleisch, ich kann nicht über dieses Verbrechen reden, weil es mich nachher selbst juristisch belastet. Das ist, glaube ich, die entscheidende Wirkungsmacht von dieser Rechtsprechung.

DOMRADIO.DE: Sie selbst waren vor Ort in Katar. Sie haben eine Reihe betroffener Frauen gesprochen. Was berichten die ihnen?

Nowak: Das erste ist natürlich, dass sie eigentlich mit großen Hoffnungen nach Katar oder auch in andere Golfstaaten kommen, dass sie Verträge unterschreiben, wo zum Beispiel drinsteht, dass sie für ein kleines Baby als Babysitterin arbeiten müssen und sich dann herauskristallisiert, sie müssen insgesamt für sechs Kinder verantwortlich sein. Die Älteren dieser Kinder geben dem Hausmädchen dann auch Befehle. Sie arbeiten nicht acht, sondern 15 Stunden. Damit fängt das dann an.

Es gibt einen offiziellen Mindestlohn, der ist aber faktisch nur ein Hungerlohn, weil die normalen Arbeitszeiten nicht eingehalten werden. Und dann ist natürlich die Situation so, dass diese Frauen in Privathaushalten arbeiten, in irgendwelchen Villen der Reichen. Das ist natürlich ein absolut gefährlicher Ort, wo sie hinter verschlossenen Türen sind, wo ihnen zuerst der Pass abgenommen wird.

Jörg Nowak

"Es passiert relativ häufig, dass es zu sexuellen Belästigungen, Übergriffen bis hin zur Vergewaltigung kommt."

Eine Frau erzählte mir, sie hätte ihr Handy sofort im Haus versteckt, weil ihr das sonst abgenommen worden wäre. Sie hat dann behauptet, sie hätte gar kein Handy. Diese absolute Entmündigung ist ganz fatal, denn das Gefährliche ist natürlich, wenn diese philippinischen Hausmädchen, die ich gesprochen habe, dann in diesen Privathaushalten sind, dass es relativ häufig passiert, dass es zu sexuellen Belästigungen, Übergriffen bis hin zur Vergewaltigung kommt.

DOMRADIO.DE: Jetzt behauptet Katar, sie hätten schon eine ganze Reihe von Reformen angestoßen, um auch die Situation speziell dieser Frauen zu verbessern. Können Sie das bestätigen? Gibt es da schon Verbesserungen?

Nowak: Ich glaube, dass Katar als erstes verstanden hat, dass dieses sogenannte "Sportwashing" nicht geklappt hat. Also, dass man versucht, mit diesem grandiosen Event als teuerste Fußballweltmeisterschaft aller Zeiten, die Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen. Das hat nicht funktioniert.

Denn ich glaube, dass die Fußballweltmeisterschaft ein sehr schlechtes Image hat. Ich glaube, dass viele auch empört sind, dass die Fußballweltmeisterschaft dort stattfindet. Gleichzeitig sorgt das natürlich aber dafür, dass Katar unter Druck steht. Jetzt muss man sich noch mal angucken: Was hebt Katar denn dann positiv hervor, was sie denn alles für diese Arbeiterinnen und Arbeiter gemacht haben?

Da wird ganz groß gelobt, auch von der ILO, also von der Internationalen Arbeitsorganisation, dass es jetzt einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Dieser gesetzliche Mindestlohn beträgt je nach Umrechnungskurs um die 230, 300 oder bis knapp unter 400 Euro.

Jetzt muss man sich vorstellen, dass in Katar die normalen Löhne und Kosten in etwa so in einem Preisniveau sind wie in Deutschland. Wenn man jetzt in Deutschland sagen würde, wir haben einen gesetzlichen Mindestlohn und der Amazon-Lieferant bekommt jetzt 300 Euro im Monat. Dann würden alle sagen: Nein, mit diesem Geld kann man nicht überleben. Das ist natürlich ein Problem, dass auch dort wieder angeblich positive Entwicklungen vorgestellt werden. Denn dieser gesetzliche Mindestlohn ist in den Augen der Projektpartner von missio und auch von uns letztlich ein Hungerlohn. Dabei ist dieses Land so gigantisch reich und es würde denen nicht wehtun, angemessene Löhne zu zahlen.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, dass die WM, die ja jetzt bald angepfiffen wird, trotzdem auch eine Chance ist, dass sich da was ändert und etwas in Bewegung gerät?

Arbeiter in Katar (dpa)
Arbeiter in Katar / ( dpa )

Nowak: Wenn wir uns folgendes Szenario vorstellen, dass bei den Boykott-Forderungen vor fünf Jahren entschieden worden wäre, die WM findet nicht in Katar statt, dann würden wir vielleicht jetzt nicht hier miteinander sprechen und auf diese Missstände hinweisen können. Das ist jetzt also auch eine Chance. Denn die Fußballweltmeisterschaft wird dort stattfinden und genau deswegen haben wir die Möglichkeit, über die Missstände zu reden und auch Anpack-Punkte zu sehen. So gibt es andere Organisationen wie Amnesty International, die Schmerzensgeld und Ausgleichszahlungen für die ums Leben gekommenen Bauarbeiter fordern.

Jörg Nowak

"Ich finde, man muss da Tacheles reden und man muss auch die Chance nutzen, dass Katar jetzt im Licht der Öffentlichkeit steht"

Ich finde, das ist ein guter und interessanter Ansatz. Wir konzentrieren uns von missio jetzt auf die Situation der Frauen. Und wir haben eine konkrete Forderung: Diese frauenfeindliche Rechtsprechung soll beendet werden und das ist sicherlich eine sehr große Forderung. Aber ich finde, man muss da Tacheles reden und man muss auch die Chance nutzen, dass Katar jetzt im Licht der Öffentlichkeit steht und dadurch auch unter Druck ist.

Das Interview führte Hilde Regeniter. 

Das Hilfswerk missio

Das Internationale Katholische Missionswerk missio mit Sitz in Aachen und München ist eines von weltweit mehr als 100 Päpstlichen Missionswerken. Missio München ist das Missionswerk der bayerischen, missio Aachen das der anderen deutschen Bistümer. Das Wort missio kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Sendung.

 (KNA)
Quelle:
DR