DOMRADIO.DE: Vor rund einer Woche haben sechs norwegische Fußball-Clubs den Verband aufgefordert, die WM 2022 in Katar zu boykottieren. Grund für den Boykottaufruf: Mehr als 6.500 Arbeiter sollen Medienberichten zufolge beim Bau der Stadien in den letzten Jahren gestorben sein. Auch in Deutschland gibt es immer mehr Widerstand gegen eine WM in Katar. Das bundesweite Fanbündnis ProFans forderte diese Woche den DFB zum Boykott auf. Herr Lemken, ist eine WM in Katar ethisch überhaupt vertretbar?
Volker Lemken (Vizepräsident des katholischen Sportverbands Deutschland DJK): Sie fragen das jetzt eine katholische Sportorganisation, die zwar namhaft und mit einer gewissen Bedeutung ausgestattet ist, aber sich in Sphären wie WMs und Weltmeisterschaften im Fußball eigentlich überhaupt nicht tummelt. Auch ihre Mitgliedsorganisationen sind sicherlich da weit, weit weg. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch als katholische Verbandsorganisation eine auf der christlichen Botschaft fundierte Basis und einen Auftrag.
Ich sehe schon aus dieser Formulierung heraus, dass sich da die DJK als katholischer Sportverband da in einem echten Zwiespalt befindet. Und Sie haben ja auch schon 2013 den damaligen Olympia-Pfarrer diese Frage gestellt. Also ich müsste eigentlich klar nein sagen. Aber wir müssen ja auch die Lebenswirklichkeit wahrnehmen und die Zusammenhänge mit dieser Vergabe hinzufügen. Ich würde sagen, wie kann ich dem unabänderlich Falschen, eine WM in Katar zu machen, doch noch etwas abgewinnen? Und wozu kann ich dies nutzen? Ich beziehe mich da frank und frei auf den Satz von Pfarrer Franz Meurer, der sagt: Nichts ist so schlecht, dass es nicht zu etwas gut wäre. Und daran, finde ich, müssen wir weiterarbeiten.
DOMRADIO.DE: Jetzt hat aber natürlich auch der Spitzensport eine Vorbildfunktion. Und deswegen ist es natürlich auch richtig, einen so großen Sportverband wie den DJK zu fragen, ob das auf diesem Hintergrund ethisch überhaupt noch machbar ist, so eine WM durchzuziehen. Zuletzt gab es die FIFA Club-WM in Katar. Gestern ist die World Tour im Beachvolleyball zu Ende gegangen. Auch da hat es viel Diskussionen gegeben. Solche Sportereignisse in Ländern, die Menschenrechte ignorieren, durchzuführen - welche Folgen hat das für unsere Gesellschaft, vor allem mit Blick auf die Vorbildfunktion.
Lemken: Also denkbar wäre, dass eine permanente Missachtung solcher elementaren Rechte und ethischer Spielregeln zur Abstumpfung und zum Desinteresse in solchen Fragen führen. Damit muss man rechnen. Allerdings zeigt sich im Moment auf der ganzen Welt, dass es gesellschaftlichen Gruppen die Dinge, die auf unserem Planeten passieren oder eben auch nicht passieren, so gar nicht egal sind und sie massiv dafür eintreten, dass Veränderungen passieren und dass Missstände kenntlich gemacht werden. Und dass ihre Vorstellungen Platz finden in den Forderungen, die die Gesellschaft an einer Erhaltung des Planeten an ethischen und moralischen Maßstäbe setzt. Ich finde, das macht Mut.
Und deswegen dürfen wir auch nicht müde werden, die Kritik an der Vergabe an Katar und andere Länder, die ja solche Veranstaltungen, die für politisches Interesse und gesellschaftliches Ansehen zunächst mal sorgen, an Land zu ziehen. Das müssen wir lebendig halten. Es muss den - ich nenne es mal flappsig den "sogenannten Mächtigen" immer schwerer gemacht werden, ethische Maßstäbe einfach folgenlos missachten zu können.
DOMRADIO.DE: Und trotzdem nimmt das zu oder es fühlt sich zumindest so an, dass der Sport immer kommerzieller wird. Und Katar steht sinnbildlich da ganz weit vorn für den Kommerz im Spitzensport.
Lemken: Also klare und einfache Antwort "ja". Aber auch mit einem klaren "aber". Bevor wir anfangen, mit dem Finger auf die oder den zu zeigen, müssen wir, glaube ich, differenziert hinschauen. Es gibt ja Weltmeisterschaften, da haben sich bereits Nationalspieler geweigert teilzunehmen, weil ihnen die Bedingungen fragwürdig erschienen. Land, Sicherheit, Gesundheit - all das spielte eine Rolle. Und ich finde, sie haben damit Zeichen gesetzt.
Auf der anderen Seite ist es ja auch so, dass wenn ich Vergaben ausschließlich an sogenannte "nicht fragwürdige" Nationen nenne, etwa an weiße westliche Länder vergebe, dann spüre ich damit natürlich und berechtigt auch andere Ressentiments. Und dann haben wir wieder die Qualität von Leuten, die meinen, sie wären etwas Besseres. Da finde ich, müssen wir genau hingucken und dürfen nicht einfach sagen, man darf in andere Länder außerhalb der klaren ethisch moralischen Grundlagen nichts vergeben. Und ob wir die gepachtet haben, das wage ich auch noch zu bezweifeln.
DOMRADIO.DE: Ja gut, aber man kann natürlich auch sagen, jetzt gehen solche Länder über Leichen und irgendwo muss man auch mal einen Schlussstrich ziehen.
Lemken: Ja, richtig, einen Schlussstrich kann man aber nicht anderthalb Jahre vor einem Ereignis ziehen. Da muss man, glaube ich, früher anfangen. Und die Situation in Katar hat sich ja auch schon früher abgezeichnet. Die Zahl mit den vermeintlichen Toten, die jetzt im Raum steht, ist so abenteuerlich hoch, dass man da wirklich differenziert hingucken muss. Ich bin der Meinung, wenn diese Zahl stimmt, dann hätten Gewerkschaften sich längst massiv dazu geäußert.
Ich glaube, dass man eben alles nochmal genau betrachten muss, bevor man pauschal über etwas herzieht. Das hat nichts mit meiner klaren Aussage zu tun, dass die Vergabe nach Katar und Länder, die so agieren, eine Kommerzialisierungs-Aussage im Spitzensport ist. Das ist ganz klar. Pandemie bedingt bieten die sich ja auch noch an. Das heißt, sie verstärken diesen Effekt noch.
DOMRADIO.DE: Sollte denn der Druck auf den Deutschen Fußballbund in dieser Angelegenheit noch weiter erhöht werden? Also auch mit dem Ziel eines Boykotts der deutschen Nationalmannschaft? Das wäre ja tatsächlich auch ein glaubwürdiges Zeichen, bei allem Engagement.
Lemken: Ich glaube, anderthalb Jahre vorher ist dieser Zug abgefahren. Das wird auch nicht mehr passieren. Ich glaube auch, dass es nicht glaubwürdig wäre, nachdem die Vergabe schon 2013 stattgefunden hat und Missstände seitdem ja jährlich aufgetaucht sind.
Ich glaube aber, dass man was tun muss, um dem DFB und auch der DFL ihre stärkere und zunehmende Kommerzialisierung beständig vor Augen zu führen, damit sie sich Zustimmungen für Vergaben in fragwürdige Länder auch zukünftig deutlicher überlegen: mit dem Schaden, den sie damit für sich und auch für andere anrichten. Die Fälle persönlicher Bereicherung nehmen ja derzeit auch bei uns leider zu und fordern immer mehr den Unmut und das Unverständnis der Menschen heraus. Die kämpferische Bereitschaft, dagegen anzugehen, wird immer deutlicher. Platt gesagt: Wer sich die Taschen vollmachen will, der darf damit nicht durchkommen. Das, finde ich, ist eine Botschaft, die wir überbringen müssen.
Wir haben das als DJK schon mal versucht. Sie haben darüber ja auch viel berichtet. Wir haben eine Präsidentschaftskandidatin für den DFB bei der Wahl von Fritz Keller ins Spiel gebracht. Und die ist an formal-strukturellen Kriterien schon bei der Bewerbung gescheitert, geschweige denn ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Da sind auch Gesellschaftsstrukturen in diesen Verbandsorganisationen, die eine echte Neuaufstellung schwer machen. Und wenn man da mit viel gutem Willen vorangeht, dann wird es nicht gehen. Es muss ein gesellschaftlicher Druck entstehen. Aber ich habe meine Zweifel, ob der durch die Zurücknahme der Teilnahme der deutschen Nationalmannschaft wirklich passieren kann.
DOMRADIO.DE: Dann nehmen wir nochmal einen Akteur raus, der vielleicht diesen gesellschaftlichen Druck erhöhen könnte - die katholische Kirche. Welche Möglichkeiten gibt es denn da, Einfluss zu nehmen?
Lemken: Ja, das ist natürlich eine ganz interessante, aber auch eine sehr schwierige Frage. Ich glaube, dass die Einflussnahme der Kirche auf gesellschaftliche Entwicklungen derzeit in einem deutlichen Sinkflug ist. Gerade was den Sport angeht, ist das Interesse der Kirche - ich nenne es mal vorsichtig - begrenzt. Wir als sportlicher Verband in Kirche werden zwar nicht müde, den Sport in seinen ganzen Facetten, in seiner Vielfalt auch als unverzichtbaren Teil der Pastoral und des Verkündigungsauftrags herauszustellen. Aber die hausgemachten Herausforderungen der Kirche, die sich derzeit zu stellen hat, sind so übermächtig, dass - verzeihen Sie, wenn ich das jetzt so ein bisschen lapidar sage - die schönste Nebensache der Welt, der Sport, wenig Zeit und Kraft bei der Kirche bleibt, um sich dieser Frage auch noch zu widmen.
Ich glaube, dass wir als Sportverband in Kirche geeignet sind, das breite Potenzial nicht gegenüber mächtigen Gegnern wie großen Verbandsstrukturen wie DFB und ähnliche deutlich zu machen, sondern dass wir auf machbare Veränderungen auch im Kleinen zielen müssen. Sauberer Sport, Teilhabe von Menschen unabhängig von ihren persönlichen Voraussetzungen, Mitgestaltung von gesellschaftlichen Veränderungen mit, im und durch den Sport - das sind die Dinge, wo wir wirklich etwas bewirken können, wo wir auch Gehör finden und wo wir dann letztendlich ja auch Teil des guten Gewissens sein können, das eine Gesellschaft ausmachen muss, um gut von böse zu unterscheiden.