"Das Arbeitsschutzkontrollgesetz hat nicht erkennbar zu einer veränderten Haltung gegenüber den Menschen geführt, die in der Fleischindustrie schwerste Arbeiten verrichten", sagt Kossen dem Evangelischen Pressedienst (epd).
"Das bedeutet: Festanstellung der Arbeitenden nur in Schlachtung und Zerlegung und sporadische Beseitigung der erbärmlichsten Wohnmängel, wenn die Öffentlichkeit hinschaut."
Betriebe nutzen gesetzliche Schlupflöcher
Das Gesetz wurde im Jahr 2020 auf den Weg gebracht, als nach massenhaften Corona-Infektionen in Schlachthöfen und Zerlegebetrieben die oft schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen für die größtenteils aus Südosteuropa stammenden Arbeitsmigranten zutage traten. Seit dem 1. Januar 2021 sind Werkverträge verboten, Leiharbeit ist nur noch in Ausnahmen erlaubt. Ausgenommen ist das Fleischerhandwerk.
Laut Kossen ist die Dichte der großen deutschen Fleischbetriebe in Ostwestfalen, im Münsterland und Oldenburger Land besonders hoch. Sie nutzten gesetzliche Schlupflöcher, um Arbeitsmigrantinnen und -migranten weiterhin "abzuzocken". "In der Weiterverarbeitung ist Leiharbeit erlaubt bis zu einem Anteil von acht Prozent und mit einem bestehenden Tarifvertrag", sagt der Lengericher Pfarrer.
Kontrollen nicht effektiv
In der Würstchen-Herstellung habe das zu großangelegten Umgehungsversuchen geführt. Zugleich werde versucht, das gesamte Gesetz auf dem Klageweg zum Scheitern zu bringen. "Manche Würstchen-Hersteller behaupten, dass sie kein Fleisch weiterverarbeiten", berichtet Kossen, Mitautor des neuen Buches "Ist das System Tönnies passé?".
Die gesetzlich festgeschriebenen Kontrollen hält er für wenig effektiv. Demnach müssen die Behörden jährlich fünf Prozent der Betriebe in der Fleischindustrie überprüfen. "Verantwortliche müssen damit etwa alle 20 Jahre mit einer Kontrolle rechnen – in einer Szene, die für ihre mafiösen Strukturen bekannt ist", kritisiert Kossen. So habe sich auch an der Wohnsituation der Arbeitsmigranten nichts verbessert.
Förderung nach Sprachkursen und guter Arbeit
Da Menschen ohne Deutschkenntnisse und wenig Geld auf dem engen Wohnungsmarkt keine Chance hätten, sei die vom deutschen Arbeitgeber vermittelte "Bruchbude mit Wuchermiete oft das einzige 'Angebot', das sie bekommen", beklagt der Pfarrer, der mit seinem gemeinnützigen Verein "Aktion Würde und Gerechtigkeit" seit vielen Jahren Arbeitsmigranten rechtlichen Beistand leistet.
Um die Menschen aus dieser unwürdigen Situation herauszuholen, braucht es nach Ansicht von Kossen flächendeckende kostenlose Sprachkurse und die Möglichkeit der Vermittlung in gute Arbeit. Zwar seien Arbeiternehmer in Schlachtung und Zerlegung jetzt Teil der Stammbelegschaft, idealerweise vertreten durch Betriebsrat und Gewerkschaft, sagt er. "Doch in vielen anderen Bereichen der Fleischindustrie wie Gebäudereinigung, Verpackung oder Logistik können sie nach wie vor ganz legal mit der Hilfe von Arbeitnehmer-Entsendung, Leiharbeit und Werkvertragsarbeit ausgebeutet werden."