Brasilien hat die Wahl zwischen Bolsonaro oder Lula

Historische Richtungsentscheidung

156 Millionen Brasilianer wählen am Sonntag ihren Präsidenten. Während sich der linke Altpräsident Lula da Silva siegessicher gibt, sucht Amtsinhaber Bolsonaro bereits nach Ausreden für eine mögliche Abwahl.

Autor/in:
Thomas Milz
Luis Inácio Lula da Silva und Jair Bolsonaro (r.) / © Isaac Fontana (shutterstock)
Luis Inácio Lula da Silva und Jair Bolsonaro (r.) / © Isaac Fontana ( shutterstock )

Am Donnerstag hat Luiz Inacio Lula da Silva seinen 77. Geburtstag gefeiert. Er wünsche sich den Wahlsieg am Sonntag, sagte er lächelnd. Und die Chancen auf das Geburtstagsgeschenk stehen gut. Laut Umfragen dürfte "Lula" auf 53 Prozent kommen, der rechtspopulistische Amtsinhaber Jair Messias Bolsonaro auf 47 Prozent. Für Lula wäre es ein historisches Comeback: Bereits von 2003 bis 2010 hatte er Brasilien regiert. In den Jahren 2018 und 2019 saß er jedoch wegen Korruption im Gefängnis. Am 2. Oktober hatte er im ersten Wahlgang gegen Bolsonaro mit 48 zu 43 Prozent vorne gelegen.

Luiz Inacio Lula da Silva bewirbt sich um die Wiederwahl in Brasilien 2022 / © Silvia Izquierdo (dpa)
Luiz Inacio Lula da Silva bewirbt sich um die Wiederwahl in Brasilien 2022 / © Silvia Izquierdo ( dpa )

Folgt man den Worten beider Kandidaten, handelt es sich am Sonntag um eine Schicksalswahl. Der ehemalige Gewerkschaftsführer Lula warnt vor der Wiederwahl des "Faschisten" Bolsonaro, der in seiner zweiten Amtszeit die demokratischen Institutionen demontieren werde.

Bolsonaro schürt Ängste

Bolsonaro erklärt, Lula und dessen Arbeiterpartei PT (Partido dos Trabalhadores) würden Brasilien ins kommunistische Chaos stürzen. "Wir werden nicht zulassen, dass Brasilien ein zweites Venezuela wird, wo die Menschen vor Hunger Hunde essen", so Bolsonaro.

Lula konnte zuletzt eine "breite Front" bilden, die von der extremen Linken bis weit ins rechte Spektrum hineinreicht. "Unsere Regierung wird keine Regierung der PT sein, sondern des brasilianischen Volkes", sagte er am Montag in der katholischen Universität von Sao Paulo. Dort machten ihm namhafte konservative Ökonomen und Banker, Sozialisten und Vertreter der Landlosenbewegung ihre Aufwartung.

Selbst der ehemalige Verfassungsrichter Joaquim Barbosa schickte eine Videobotschaft. Barbosa hatte vor einigen Jahren führende PT-Politiker wegen Korruption verurteilt. Bolsonaro werde als "erbärmlich" wahrgenommen, erklärte er nun. Es sei wichtig, Lula zu wählen.

Hunderttausende Corona-Tote 

Vor der Wahl in Brasilien / ©  Andre Penner/AP (dpa)
Vor der Wahl in Brasilien / © Andre Penner/AP ( dpa )

Dass Lula, der nach seiner Verurteilung wegen Korruption und Geldwäsche bereits als politisch tot galt, jetzt als Retter der Demokratie gefeiert wird, liegt an Bolsonaro. Der Ex-Offizier hatte die Corona-Pandemie auf die leichte Schulter genommen. Brasilien verzeichnet inzwischen insgesamt 690.000 Pandemie-Tote. Unverzeihlich sei dies, so Lula, genau wie Brasiliens Rückkehr auf den UN-Hunger-Index. Lula hatte es einst dank Sozialprogrammen geschafft, das Land vom Index zu tilgen. Nun haben 33 Millionen Brasilianer täglich nicht genug zu essen.

"Es kann nicht sein, dass Brasilien weltweit für eine Milliarde Menschen Lebensmittel produziert, aber daheim die Menschen hungern", lautet die Wahlkampf-Argumentation des Linkspolitikers. Seine erste Amtshandlung werde sein, Lebensmittelzuteilungen anzuordnen. Auch der Schutz der Umwelt, allen voran des Amazonaswaldes, habe Priorität. Er will den Farmern, Goldsuchern und Holzhändlern das Handwerk legen, die unter Bolsonaro ihre illegalen Aktivitäten ausgeweitet haben.

Doch ob dafür die nötigen Stimmen im Kongress zusammenkommen, ist fraglich. Mittlerweile hat sich Bolsonaros Bewegung im Parteienspektrum etabliert. Seine Liberale Partei PL stellt in beiden Kammern die größte Fraktion, und zusammen mit Verbündeten hat man die absolute Mehrheit. "Es ist der perfekte Moment, um unsere Politik durchzusetzen, mit mir als Präsident und dem Kongress im Rücken", erklärt Bolsonaro deshalb. Da geht es um die Lockerung der Waffengesetze, um die angeblich bedrohte Freiheit zu verteidigen.

Denn "ein bewaffnetes Volk kann man nicht versklaven", so Bolsonaro. Angesichts der "von den Linken indoktrinierten Schulen" setzt er zudem auf von Militärs geführte Bildungsinstitutionen und Home-Schooling.

Evangelikale Christen halten zu Bolsonaro

Jair Bolsonaro / © Eraldo Peres (dpa)
Jair Bolsonaro / © Eraldo Peres ( dpa )

Seiner wichtigsten Klientel, den evangelikalen Kirchen, hat Bolsonaro eine konservative Familienpolitik versprochen. Zwei Drittel der Evangelikalen stimmen für ihn, der sich seit einem Messerattentat von 2018 als von Gott auserwählt präsentiert. Allerdings führt Lula unter der katholischen Mehrheit der Brasilianer deutlich, genau wie bei den ärmsten Brasilianern - obwohl Bolsonaro zuletzt die Sozialhilfe erheblich aufstockte. "Steckt euch Bolsonaros Geld in die Tasche und wählt mich", hatte Lula ihnen geraten.

Das könnte aufgehen. Bolsonaro versuchte in den vergangenen Tagen immer verzweifelter, seinen Rückstand mit angeblichen Manipulationen zu erklären. So würden Tausende von Radiosendern in ganz Brasilien seine Wahlspots nicht senden. Beweise konnte er nicht vorlegen.

Trotzdem brachte er eine Verschiebung des Wahltermins ins Spiel. Das Oberste Gericht lässt sich darauf nicht ein. In der Opposition geht derweil die Angst um, Bolsonaro könnte sich im Falle einer Niederlage mit Hilfe des Militärs an der Macht halten. Immerhin ist er ein erklärter Anhänger der Militärdiktatur (1964-85), deren Anführer Brasilien bereits damals vor dem Kommunismus gerettet hätten.

Kirche in Brasilien

Mit geschätzt rund 125 Millionen Katholiken (nach offiziellen Taufzahlen des Vatikan 171 Millionen) ist Brasilien das größte katholisch geprägte Land der Welt. Angesichts enormer sozialer Gegensätze ist das Engagement der Kirche für Arme und Entrechtete weithin anerkannt; Brasilien ist einer der Ausgangspunkte der sogenannten Theologie der Befreiung. Zugleich macht der katholischen Kirche eine wachsende Zahl protestantischer und evangelikaler Kirchen und Sekten ihre Rolle streitig.

Mann in Brasilien im Gebet / © Leo Correa (dpa)
Mann in Brasilien im Gebet / © Leo Correa ( dpa )
Quelle:
KNA