DOMRADIO.DE: Rund sieben Chor-Gruppen gibt es in St. Nikolaus in Brauweiler, außerdem zwei hochwertige Orgeln. Bis zur Corona-Pandemie: Beschreiben Sie doch mal: Wie umfangreich war denn die musikalische Aktivität?
Michael Utz (Kantor an der Abteikirche Brauweiler, Regionalkantor Rhein-Erft-Kreis): Ja, wie Sie schon gesagt haben, wir haben eine recht vielfältige Chor-Landschaft mit Angeboten für kleine Kinder bis hin zu Senioren.
Wir haben einen relativ großen Erwachsenen-Chor, das ist der Abtei-Chor, bis Februar oder März 2020 hatte der 85 Mitglieder sowie einen großen Kinder- und Jugendchor mit knapp 50 Mitgliedern. Darüber hinaus noch kleinere Ensembles; eine Frauen-Schola, eine Choralschola, dann einen Chor, der überwiegend Neue Geistliche Lieder singt und einen Frauen-Kammerchor - alle gut besetzt und mit unglaublich motivierten Mitgliedern. Und es hat wirklich große Freude gemacht, mit denen zu arbeiten.
DOMRADIO.DE: Dann kam Corona und die Erkenntnis, dass gerade singen sehr gefährdend ist für die Menschen. Mein Eindruck ist, dass die Pandemie besonders Kirchenchören mit älteren Mitglieder geschadet hat und auch die Kinderchöre hatten größere Probleme. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Utz: Zunächst einmal waren natürlich der Schock und die Verunsicherung sehr groß. Denn wie Sie eben richtig gesagt haben, Singen galt ja auch immer als ein sehr gesundes Hobby. Und plötzlich war es das Hobby, das durch die Ausbreitung der Aerosole am meisten krank macht.
Ich würde sagen, vier, fünf Wochen war schon eine gewisse Schocklähmung da. Dann habe ich überlegt, was kann ich anbieten, damit ich die Leute bei der Stange halte. Und da sind wir relativ schnell auf die Idee gekommen, dass wir uns zunächst erst mal digital treffen. Das haben wir über die Plattform Zoom gemacht und ganz am Anfang stand noch nicht mal das Proben im Vordergrund, sondern einfach das Zusammenbleiben.
DOMRADIO.DE: Dann gab es ja auch Versuche, über die Software Jamulus ohne zeitliche Verzögerung digital miteinander zu singen. Da gab es ganz unterschiedliche Erfahrungen. Wie haben Sie die Zeit, wo man sich gar nicht treffen konnte, musikalisch überbrückt?
Utz: Zu Beginn haben wir gar nicht groß versucht, effektiv zu proben, sondern da ging es um das gemeinsame Miteinander. Wir haben beispielsweise mit dem Abteichor Evensongs für uns alleine über Zoom gestaltet.
Das lief so ab, dass ich zu Hause am Klavier saß und wir "gemeinsam" gesungen haben. Ich habe vorgesungen, alle haben mitgesungen und dann konnten sich auch einzelne Chormitglieder von zu Hause einschalten, wie das bei Zoom möglich ist, und haben dann beispielsweise eine Lesung vorgetragen, Fürbitten vorgetragen oder auch ein eigenes Musikstück von zu Hause aus aufgeführt. Und dann haben wir gemeinsam einen Psalm gesungen und zum Schluss auch noch mal ein gemeinsames Abendlied.
Schließlich haben wir angefangen, Stimmproben über Zoom zu gestalten und das lief eigentlich relativ gut. Dann tauchte irgendwann die Frage auf, ob wir mit Jamulus proben wollen. Allerdings hat sich mein Chor dagegen entschieden, weil diese Zoom-Proben relativ gut gelaufen sind, so dass viele gesagt haben, wir wollen jetzt uns nicht technisch noch mal umstellen. Besonders auch einige ältere Mitglieder hatten eine Weile gebraucht, bis es mit Zoom geklappt hat. Und da war die Bereitschaft nicht mehr so groß, nochmal etwas zu verändern und wir haben gesagt: Gut, dann machen wir mit Zoom weiter - übrigens bis zum heutigen Tage.
Auch jetzt schalten sich noch einige hinzu. Denn ich mache seitdem eine Hybrid-Probe! Das heißt, wir treffen uns in Präsenzproben, und wer krank, vielleicht nicht fit oder verreist ist, im Urlaub ist oder auf Dienstreise, schaltet sich dann beispielsweise vom Hotelzimmer dazu und kann an der Probe teilnehmen. Das ist also ein guter Effekt, der von dieser ganzen Corona-Pandemie übrig geblieben ist.
DOMRADIO.DE: Es gibt also auch Neues durch Corona, bei allen Schwierigkeiten, die die Pandemie den Chören bereitet hat. Neben der Hybrid-Probe: Ist sonst noch etwa Neues bei Ihnen entstanden?
Utz: Wir haben im Bereich der digitalen Möglichkeiten einiges entdeckt. Wir haben gleich zu Beginn, Ende März 2020, einen eigenen YouTube-Kanal eröffnet. Das haben ja inzwischen fast alle Kirchengemeinden gemacht. Aber wir waren relativ früh dabei und haben Lieder, die ich auf der Orgel gespielt habe, mit eingeblendetem Text übertragen. Das war auch ganz am Anfang, als keine Gottesdienste möglich waren und da war die Gemeinde unglaublich dankbar.
Das haben wir dann im Laufe der letzten Monate erweitert. Wir haben mittlerweile 724 Abonnenten, über 60 Videos im Kanal und werden das auch über die Zeit nach Corona auf jeden Fall weiter betreiben.
Das sind jetzt nicht mehr nur Lieder zum Mitsingen, das sind auch mal Konzert-Mitschnitte oder ein produziertes Video mit dem Kinder- und Jugendchor, was ich während der Corona-Zeit gemacht habe. Diese digitalen Möglichkeiten werden wir auf jeden Fall auch nach Corona beibehalten.
DOMRADIO.DE: Mitten in Corona hat sich bei Ihnen ein besonderer Verein gegründet, ein Förderverein für die Kirchenmusik in den Abteigemeinden. Was ist da die Idee dahinter gewesen, mitten in Corona?
Utz: Ja, das war sicher sehr mutig. Aber ich hatte gute Leute, die da im Vorstand mitarbeiten. Darum bin ich sehr dankbar. Die Idee ist einfach: Bei erwarteten sinkenden Kirchensteuereinnahmen wollen wir auf Dauer die Kirchenmusik in der Abteikirche finanziell absichern. Wir sind zwar momentan noch ganz gut aufgestellt durch diverse Kooperationspartner, die wir haben, unter anderem dem Freundeskreis Abtei Brauweiler, aber wir wollen gut aufgestellt sein für die Zukunft.
Und dieser Verein ist dazu da, die Basis der Arbeit sicherzustellen. Also, Notenmaterial oder -ganz aktuell- einen neuen Flügel anzuschaffen. Der alte, der sehr in die Jahre gekommen war, ist kaputt gegangen. Dazu ist dieser Verein da. Diesen Verein mitten in der Corona-Pandemie zu gründen, war mutig. Bislang läuft es aber gut. Wir haben schon 60 Mitglieder schon und ich denke, da ist noch viel Luft nach oben.
DOMRADIO.DE: Wie schätzen Sie jetzt die Situation Ihrer Chöre nach der Pandemie ein? Ist es dramatisch schlechter oder besser geworden oder ist es einfach anders?
Utz: Es ist anders. Besonders erschreckend war eigentlich der Rückgang im Kinder- und Jugendchor-Bereich. Aber das höre ich von allen Kolleginnen und Kollegen, dass sie Probleme haben. Es ist natürlich immer eine gewisse Fluktuation bei Kindern drin, das ist ganz klar.
Aber die ganz kleinen Kinder, die jetzt zu mir kommen, das sind teilweise Kinder, die wissen gar nicht, wie man singt, die kennen das Singen gar nicht. Oft wird zu Hause nicht gesungen. Dann wurde im Kindergarten wegen Corona nicht gesungen, in der Schule auch nicht. Das fängt jetzt langsam erst alles wieder an. Mein Kinder- und Jugendchor hatte vor Corona knapp 50 Mitglieder. Den habe ich jetzt ganz neu wieder aufgebaut.
Einige wenige haben mir über diese Monate die Treue gehalten. Wir sind jetzt wieder bei knapp 20 Mitglieder. Damit bin ich ehrlich gesagt schon ganz zufrieden. Was die erwachsenen Chöre angeht, würde ich sagen, hat sich alles ungefähr bei zwei Drittel eingependelt. Also, zwei Drittel der Chormitglieder von vor der Corona-Zeit kommen momentan regelmäßig zu Präsenz Proben.
DOMRADIO.DE: Da klingt eigentlich doch durch, dass es gut musikalisch bei Ihnen und ihren Chören weitergehen kann...
Utz: Ja, wir haben in den letzten zwei Monaten sogar drei sehr große Konzerte veranstalten können. Wir haben die Lobgesang-Sinfonie für Chor und Orchester von Felix Mendelssohn Bartholdy aufgeführt und das Gloria von Karl Jenkins.
Da hatten wir das Glück, dass wir es zweimal aufführen konnten. Und dann haben wir im August ein großes Mitsing-Konzert im Freien bei uns im Innenhof der Abtei durchgeführt, auch mit Chor und Orchester. Und das war für den Chor nach langen Monaten der Entbehrung eine wirklich tolle Erfahrung, wieder mit Orchester und im größeren Rahmen zu singen.
DOMRADIO.DE: Sie sind jetzt, wenn ich das richtig sehe, seit fast 20 Jahren Kirchenmusiker an der Abteikirche. Was macht Ihnen eigentlich am meisten Spaß bei Ihrer Tätigkeit?
Utz: Dass sie so vielseitig ist. Und dass ich mit vielen Menschen zusammenkomme und ich die Möglichkeit habe, bei mir in der Kirche auch viele Menschen zu vernetzen.
Mir macht es viel Spaß, dass ich im Prinzip wie ein Freiberufler selbstständig arbeiten kann und eigene Ideen kreativ umsetzen kann. Und ich merke und bekomme oft die Rückmeldung, wie wichtig Kirchenmusik ist. Nicht nur während der Corona-Pandemie, sondern auch momentan, wo viele Leute auch mit ihrer Kirche hadern, ihr am liebsten den Rücken zudrehen würden, aber oft sagen: Durch die Kirchenmusik bin ich noch dabei!
Das Interview führte Mathias Peter.
Hier gibt es das Gespräch und eine Vorstellung der beiden Orgeln der Abteikirche mit Klangbeispielen zum Nachhören.