DOMRADIO.DE: Der Krieg in der Ukraine und die Frage nach Waffenlieferungen an die Ukraine war ein großes Thema auf der EKD-Synode. Was meinen Sie, verliert die evangelische Kirche ihre Anschlussfähigkeit an die Realität, wenn sie Waffenlieferungen in die Ukraine ablehnt?
Anna-Nicole Heinrich (Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)): Nicht die ganze evangelische Kirche lehnt Waffenlieferungen ab. In der evangelischen Kirche gibt es zu dieser Frage, wie ja auch in der Bevölkerung, unterschiedliche Positionen. Dass Waffenlieferungen aber als letztes Mittel gerechtfertigt sind, findet schon große Zustimmung innerhalb der EKD. Auf der Synode haben wir um die Gesamtperspektive gerungen, sind wirklich ins Gespräch gegangen und haben uns an exemplarischen Fragen aufgehalten.
DOMRADIO.DE: Wie stehen sie zu Waffenlieferungen? Bedeutet das, dass Waffenlieferungen in die Ukraine "ethisch sauber" sind und der Zweck die Mittel heiligt?
Heinrich: Ich würde sagen, in solchen Fragen gibt es kein "ethisch sauber". Das ist immer ein Dilemma – Krieg ist immer ein Dilemma Da gibt es nur Verlierer. Ich habe schon früh gesagt, dassich Waffenlieferungen an die Ukraine für gerechtfertigt halte, und da vorallem ihr unbestrittenes Recht auf Selbstverteidigung in den Mittelpunkt gestellt.
DOMRADIO.DE: Es ging bei der EKD-Synode aber auch um mehr Klimaschutz in der evangelischen Kirche – und es gab dabei sehr spannende Diskussionen. Was halten Sie denn zum Beispiel von diesem beschlossenen Tempolimit für Bischöfe?
Heinrich: Die Selbstverpflichtung gilt ja nicht nur für Bischöf:innen, sondern für jede kirchliche Dienstfahrt als Selbstverpflichtung – für Bischöf:innen ebenso wie für alle anderen Mitarbeitenden. Ich halte das tatsächlich für eine sehr intelligente Selbstbegrenzung, die angesichts der dramatischen Folgen des Klimawandels und zur Bewahrung der Schöpfung notwendig sind. Intelligente Selbstbegrenzung ist etwas, womit wir uns auch am Vormittag im Rahmen der theologischen Impulse des Thementages stark auseinandergesetzt haben. Deshalb gilt es zu fragen, wo wir Möglichkeiten haben, selbstständig tätig zu werden, wir brauchen nicht für alles rechtliche Rahmenregelung.
Die Klimaschutz-Richtlinie gibt ja schon vor, bei Dienstreisen auf klimafreundliche und öffentliche Verkehrsmittel zurückzugreifen und das Auto ohnehin nur dann zu nutzen, wenn es notwendig ist. Der Synode schein es ein gebotener Schritt zu sein, dort noch mal nachzusteuern. Gerade mit der Reduzierung von Tempo kann man Emissionen beim Verkehrsaufkommen erheblich reduzieren. Da jetzt bei uns selbst anzusetzen und uns selbst zu verpflichten, dienstliche Fahrten der Kirchenmitarbeitenden da als Vorbild zu nehmen, hat ja hoffentlich auch Vorbildcharakter für andere.
DOMRADIO.DE: Das gilt aber nur bei Dienstfahrten, oder?
Heinrich: Ja, wir sind der Überzeugung, dass jeder bei sich selbst anfangen muss, wenn es um den Klimaschutz geht. Da bringt es wenig, mit Verboten und erhobenem Zeigefinger zu kommunizieren. Das ist, glaube ich, nicht unsere Aufgabe als Kirche. Ich habe aber schon die Hoffnung, dass wir Menschen mit unserem selbstverpflichtenden Tempolimit auch dazu anregen, das privat zu tun oder das auch für ihre Firmen oder andere Organisationen umzusetzen.
DOMRADIO.DE: Sie zeigen im Blick auf Aktionen für den Klimaschutz viel Verständnis für Aktivistinnen und Aktivisten von der Gruppe "Letzte Generation". Die beschmieren Kunstwerke und kleben sich auf Straßen fest. Ist das wirklich bei diesem Themenbereich legitim?
Heinrich: Auf der Synode war Aimée van Baalen, eine Sprecherin der "Letzten Generation", die uns einen fünfminütigen Impuls gegeben hat, den wir uns als Synode angehört haben und danach in unseren eigenen Diskursen aufgegriffen haben. Ich bin beeindruckt von Menschen, die uns mit gewaltlosen Aktionen die Realität der Klimakatastrophe vor Augen führen.
Ich kann nachvollziehen, dass Menschen radikal für ihre Ziele eintreten, solange eines klar ist: Für mich darf nie die Grenze überschritten werden, dass Gewalt gegen Menschen angewendet wird. Das darf niemals überschritten werden. Aber das tut die letzte Generation nicht. Deshalb war es uns als Synode wirklich ein wichtiges Anliegen, diesen jungen Menschen, die aus einer großen Angst heraus handeln, eine etablierte Bühne zu geben, wo sie ein Publikum, ein kirchliches Parlament haben, wo sie ihre Anliegen und ihre Forderungen kundtun können. Somit haben wir zur Versachlichung und hoffentlich ein Stück weit zu Entemotionalisierung der Debatte beigetragen und Gesprächsräume eröffnet.
Klar ist aber auch, dass es natürlich Punkte geben kann, an denen das Gewissen im Widerspruch zu staatlichen Regelungen steht. Aber die Teilnahme einer Klimaaktivistin an einer Synode bedeutet ja nicht, dass die ganze Kirche jetzt den gleichen zivilen Ungehorsam leistet, sondern vor allem, dass wir uns als Brückenbauer:innen verstehen und niemanden zu schnell in eine Ecke stellen, sondern die Anliegen, die dahinter stecken, und die Menschen ernst nehmen.
DOMRADIO.DE: Trotzdem muss ich da gleich an diesen schlimmen Unfall einer Radfahrerin in Berlin denken, der ja wegen einer Straßenblockade erst verspätet geholfen werden konnte.
Heinrich: Nicht nur wegen einer Straßenblockade, sondern vor allem auch, weil eine Rettungsgasse nicht ausreichend gebildet worden ist und so das Rettungsfahrzeug sich verspätete. Ich glaube, man muss das genau in den Blick nehmen. Das wird ja jetzt auch aufgearbeitet. Aber junge Menschen, die eine Straße blockieren und dabei auch extra Menschen haben, die eigentlich dafür sorgen, dass dort Wege offenbleiben als alleinige Verantwortliche für den Tod einer Frau den alle sehr bedauern, zu identifizieren ist sicherlich nicht gerechtfertigt.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch die Einsätze der Polizei gegen die Klimaaktivistinnen und -aktivisten kritisiert. Was haben Sie da kritisiert?
Heinrich: Ich kritisiere es, wenn Menschen wegen einer gewaltfreien Aktion bis zu 30 Tage ohne Verfahren eingesperrt werden. Es ist aus meiner Sicht schlicht inakzeptabel, wenn Menschen ohne eine Verurteilung nur aus vorbeugenden Gründen mit solchen Maßnahmen konfrontiert werden. Da geht jede Verhältnismäßigkeit verloren.
DOMRADIO.DE: Auf der Synode wurden viele Beschlüsse zum Klimaschutz verabschiedet. Wie können die Kirchen da vielleicht auch Vorreiter sein für die ganze Gesellschaft?
Heinrich: Ich glaube, wenn wir zunächst einmal selbst alles tun, was uns selbst zur Bewahrung der Schöpfung möglich ist, dann trägt das vielleicht schon dazu bei, dass das andere auch tun. Es geht also wirklich um intelligente Selbstbegrenzung. Es geht aber nicht um Vorreiterschaft oder darum, etwas besonders auffallend oder früh zu machen. Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung und deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam dagegen vorgehen und uns bestmöglich vernetzen.
DOMRADIO.DE: Die beiden großen Kirchen erleben im Moment ja einen enormen Bedeutungsverlust. Wie können die Kirchen dem begegnen?
Heinrich: Wir haben auf der Synode der EKD jetzt vier Tage lang wirklich engagiert um wichtige Herausforderungen debattiert. Dabei ging es um den Klimawandel, um Klimagerechtigkeit, friedensethische Fragen und auch um Fragen der Kirchenentwicklung. Im Mittelpunkt stand immer, wie wir als Kirche den Menschen Halt in aller Unsicherheit geben können. Ich glaube, darum geht es uns als evangelische Kirche.
Es geht nicht um Fragen der eigenen Relevanz, sondern um die Bedeutung Gottes und seiner Botschaft in der Welt und wie wir diese vermitteln können, damit möglichst viele Menschen Halt in aller Unsicherheit finden.
Das Interview führte Verena Tröster.