Kunsthistorikerin spricht über die Umnutzung sakraler Räume

Klettern in der Kirche

Ob als Restaurant, als Museum oder als Konzertsaal: Immer mehr Kirchengebäude in Deutschland werden inzwischen anders genutzt, als ursprünglich geplant. Die Entwicklungen zwingen Kirchen dazu, Gebäude aufzugeben und zu verkaufen.

Klettern in einer Kirche / © Uwe Anspach (epd)
Klettern in einer Kirche / © Uwe Anspach ( epd )

epd: Wieviele Kirchengebäude stehen eigentlich in Deutschland?

Stefanie Lieb (Kunsthistorikerin von der Katholischen Akademie Schwerte): Wir haben ungefähr jeweils 24.000 bis 25.000 evangelische oder katholische Kirchengebäude und Gemeindezentren, so dass wir ungefähr auf 50.000 sakrale Gebäude kommen. Und sehr viele von ihnen stehen unter Denkmalschutz, über 80 bis an die 90 Prozent.

Professorin Stefanie Lieb, Studienleiterin Kunst und Kultur an der Katholische Akademie Schwerte / © Hans Juergen Landes Fotografie (epd)
Professorin Stefanie Lieb, Studienleiterin Kunst und Kultur an der Katholische Akademie Schwerte / © Hans Juergen Landes Fotografie ( epd )

epd: Lassen sich denkmalgeschützte Kirchen überhaupt umnutzen?

Lieb: Ja, das geht. Es gibt die Auflage der Reversibilität, also dass eine umgenutzte Kirche wieder in ihren Ursprungszustand zurückgebaut werden kann. Das erlaubt trotzdem relativ viele Umnutzungsmöglichkeiten. Ein Beispiel dafür ist die ehemalige St.-Peter-Kirche in Mönchengladbach, die heute als Kletterkirche bekannt ist. Das ist ein funktionalistischer Kirchenbau aus den 1920er Jahren. Da wurden innen Kletterwände eingebaut und vor die normalen Wände davorgesetzt. Das ist alles von der Denkmalpflege abgesegnet.

epd: Wieviele Kirchen sind nach Ihren Kenntnissen bereits profaniert oder entwidmet worden und werden seither anders genutzt?

Lieb: Bis jetzt hält sich diese Zahl noch in Grenzen. Von den 24.000 katholischen Kirchen wurden seit dem Jahr 2000 rund 500 aufgegeben und 100 umgenutzt. Aber es nimmt jetzt mehr Fahrt auf. Die Prognose für die nächsten Jahre ist, dass die Kirchen rund 30 Prozent ihres Gebäudebestandes aufgeben müssen.

epd: Was macht aus Ihrer Sicht eine gelungene Umnutzung einer Kirche aus?

Lieb: Sie besteht für mich darin, vom Gebäude auszugehen und das bereits Vorhandene zu berücksichtigen. Was gibt das Kirchengebäude als Raumkonzept her? Welche Qualität hat es, welche Ästhetik, welche Bauformen? Dass man also die sakrale Atmosphäre, die ja die Bauherren ursprünglich intendiert haben, mit trägt und mit dem Konzept für die Umnutzung daran anschließt. Und dann kann man unterschiedliche Strategien einsetzen. Man kann auch dagegen arbeiten, aber man sollte es nicht völlig ignorieren und einfach irgendwas da reinsetzen.

epd: Was wäre aus Ihrer Sicht ein schlechtes Beispiel?

Lieb: Wenn man da etwa einen Supermarkt reinsetzt, der genauso gut daneben im Container funktionieren könnte. Das wäre eine rein kommerzielle Nutzung. Oder wenn McDonalds jetzt plötzlich entdecken würde: Dieses Kirchengebäude machen wir jetzt zu unserer Marke. Das fände ich schade.

epd: Wäre ein Autohaus in der Kirche auch ein No-Go?

Lieb: Ja, aber da bin ich inzwischen ins Grübeln bekommen. Es ist nämlich jüngst in Jülich eine Betonkirche an einen Fahrradhändler verkauft worden. Der bringt da ein Fahrradgeschäft hinein. Da denkt man zunächst, das passt ja überhaupt nicht. Aber es macht noch einmal einen Unterschied, ob das ganz individuell ein einzelner Interessent ist oder eine Kette. Der Fahrradhändler kommt nämlich aus der Region, auch aus der Gemeinde. Dem liegt diese Kirche am Herzen. Und der wird da sicher ein super cooles Fahrradgeschäft drin aufziehen, das noch als Kirche erkennbar ist.

epd: Ist aus Ihrer Sicht eine kirchennahe Nutzung zu bevorzugen, etwa als Kulturzentrum?

Lieb: Ja, klar. Aber auch der Umbau zu Wohnungen hat inzwischen an Wert gewonnen. Das sollte dann so passieren, dass der Einbau den ursprünglichen Raumcharakter noch sichtbar macht. Das ist zum Beispiel in Hannover geglückt. Da wurde eine Kirche zum Studentenwohnheim umgebaut. Und sieht man noch das Gewölbe der Nachkriegskirche.

epd: Welche Funktion haben Kirchengebäude im öffentlichen Raum?

Lieb: Die Symbolik von Kirchen ist sehr wichtig, auch wenn sie als sakraler Raum aufgegeben werden. Durch ihren Turm sieht man sie ja von überall her. Kirchen stehen einerseits für einen Ort der Religion, aber sie sind natürlich auch Orte der Kultur. Sie sind
Dreh- und Angelpunkte, mit denen sich die Menschen identifizieren. Eine Kirche ist auch ein Zufluchtsort, wo man einfach mal hingehen kann, um zu beten, zu meditieren oder einen Rückzugsort zu haben. Deshalb ist es wichtig, dass die Kirche wenn möglich ein öffentlicher Ort bleibt. Vielleicht kurzfristig als Impfzentrum. Oder wie bei der Flutkatastrophe im Ahrtal: Da wurde eine ehemalige Kirche als Kleiderkammer und für die Lebensmittelausgabe genutzt.

Wir sollten die Kirchen wieder mehr als sozialen Raum sehen, so wie es früheren Epochen auch war. Diese Engführung, dass man Kirchen als elitären Raum sieht, der nur für Gottesdienste genutzt wird, hat erst im 19. Jahrhundert stattgefunden.

Das interview führte Michael Grau.

Quelle:
epd