DOMRADIO.DE: Vielfach wird ja behauptet, wer aus der Kirche austritt, der wird exkommuniziert. Stimmt das überhaupt?
Prof. em. Dr. Klaus Lüdicke (Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster): Nein, das stimmt so nicht. Die Exkommunikation ist eine Kirchenstrafe. Die steht im kirchlichen Gesetzbuch, das weltweit gilt und Personen mit dem Ausschluss von den Sakramenten und weiteren Folgen bedroht, die den Glauben als ganzen ablehnen, die den Glauben in wesentlichen Teilen ablehnen oder die sich von der Kirche trennen.
DOMRADIO.DE: Wer stellt das fest, ob jemand exkommuniziert ist oder nicht?
Lüdicke: Das geschieht so gut wie nie, weil es sich dabei immer um Vorgänge handelt, die mehr oder weniger in der Seele der Betroffenen stattfinden, jedenfalls nicht in aller Öffentlichkeit. Ich kann mich nicht erinnern, dass in der letzten Zeit jemand versucht hat, die Exkommunikation einer Person auszusprechen.
Es gibt wohl solche Geschichten, die wir jüngst gehört haben, dass der Erzbischof von San Francisco erklärt hat, Nancy Pelosi, die Katholikin ist, könne die Eucharistie nicht mehr empfangen, weil sie sich politisch für das Recht auf Abtreibung eingesetzt habe. Das ist offensichtlich so ein Versuch. Aber der scheitert daran, dass eine solche Erklärung der Exkommunikation ein Strafverfahren voraussetzt, in dem die Sachverhalte geprüft werden müssen, in dem die Motivation des Betroffenen geprüft werden muss, in dem das Maß des Verschuldens festgestellt wird. Also so einfach ist das nicht.
Die Kirche macht es sich allerdings einfach mit diesem Tatbestand, weil nämlich für die Straftaten, die ich genannt habe, eine sogenannte Tatstrafe angedroht ist. Das bedeutet, dass jemand sich diese Strafe ohne irgendein Verfahren zuzieht, einfach weil er sich so verhält, weil er sich so entscheidet. Aber er ist doch der einzige, der das weiß oder wissen sollte, wenn er (unvorsichtigerweise) Kirchenrecht studiert hat.
DOMRADIO.DE: Was darf denn jemand, der exkommuniziert ist, außer dem Kommunionempfang noch alles nicht?
Lüdicke: Er darf die Eucharistie nicht mehr feiern und auch die übrigen Sakramente nicht. Das betrifft natürlich nur Priester, nicht den einzelnen Gläubigen. Er darf keine Sakramente empfangen, er darf keine Sakramentalien ausführen und andere Handlungen der Liturgie feiern. Er darf an den genannten Feiern keinen aktiven Anteil haben. Er darf keine kirchlichen Ämter, Dienste, Funktionen ausüben und keinen Akt der Leitungsgewalt setzen.
DOMRADIO.DE: Also dürfte jemand, der sich in seiner Pfarrei engagiert und dann exkommuniziert wird, auch nicht mehr zum Beispiel im Pfarrgemeinderat aktiv sein?
Lüdicke: Nein, der würde keine kirchliche Funktion mehr ausüben dürfen, also auch diese Mitgliedschaft im Pfarrgemeinderat nicht.
DOMRADIO.DE: Worin besteht nun der Unterschied zwischen einer Exkommunikation und den Sanktionen im Rahmen eines Kirchenaustritts?
Lüdicke: Die deutschen Bischöfe haben immer ein Problem damit gehabt, den Kirchenaustritt unter die Straftatbestände Abfall von der Kirche, Abfall vom Glauben und Häresie zu fassen. Das hat ja nicht so richtig geklappt, weil die, die aus der Kirche austreten, ja oft ganz andere Motive haben als solche, die den Glauben betreffen. Wenn jemand austritt, weil die Kirche mit dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger nicht richtig umgeht, hat das mit Häresie, Apostasie und Schisma nichts zu tun.
Trotzdem will die Bischofskonferenz natürlich in irgendeiner Form eine Sanktion haben, wenn jemand austritt. Darum hat sie 2012 ein allgemeines Dekret zum Kirchenaustritt verfasst, also ein teilkirchliches Gesetz, in dem die Konsequenzen des Kirchenaustritts jetzt völlig unabhängig von der Motivation, die jemanden zum Kirchenaustritt bewegt, folgendermaßen beschrieben werden: "Die aus der Kirche ausgetretene Person darf die Sakramente der Buße, Eucharistie, Firmung und Krankensalbung außer in Todesgefahr nicht empfangen. Sie kann keine kirchlichen Ämter bekleiden und keine Funktionen in der Kirche wahrnehmen, kann nicht Taufpate und nicht Firmpate sein, kann nicht Mitglied in pfarrlichen und in diözesanen Räten sein, verliert das aktive und passive Wahlrecht in der Kirche, kann nicht Mitglied in öffentlichen kirchlichen Vereinen sein."
DOMRADIO.DE: Aber das klingt ja fast schon wie eine Exkommunikation. Wo ist denn der minimale Unterschied?
Lüdicke: Das ist ja auch nach Möglichkeit angenähert. Wo ist der Unterschied? Das eine ist eine gesamtkirchliche Drohung und das andere ist eine partikularkirchliche Norm. Der Unterschied besteht weniger in den Konsequenzen als in den Voraussetzungen, weil der Kirchenaustritt eben nicht die Straftaten voraussetzt, die im kirchlichen Gesetzbuch stehen.
Es wurde ein eigener Tatbestand geschaffen, bei dem auch derjenige, der wegen finanzieller Gründe, aus Verärgerung über den Pastor oder aus irgendwelchen Motiven dieser Art mit den Konsequenzen belegt wird, die sonst für Häresie, Apostasie, Schisma gelten.
DOMRADIO.DE: Gilt dieses Modell nur in Deutschland und ist es somit weltweit einzigartig?.
Lüdicke: Diese allgemeine Norm der Bischofskonferenz gilt nur in Deutschland.
DOMRADIO.DE: Es gibt ja Menschen, die treten aus der Kirche aus, aber sie fühlen sich dennoch als gläubige Christen und dürfen jetzt nicht mehr mitmachen. Passt das denn irgendwie zusammen?
Lüdicke: Das ist der Wille der deutschen Bischöfe, dass unabhängig von der Motivation diese Konsequenzen gezogen werden.
DOMRADIO.DE: Wie wird das denn unter Kirchenrechtlern beurteilt?
Lüdicke: Die Motive, die hier zu prüfen wären, sind eher auf der theologischen Ebene zu suchen als auf der rechtlichen. Die Bischöfe können ein solches Dekret erlassen, sie können solche Strafen androhen. Aber ob das theologisch gerechtfertigt ist, ist natürlich eine andere Frage. Die Bischöfe schreiben in der Motivation dieses Papiers, ich zitiere: "Die Erklärung des Kirchenaustritts vor der zuständigen zivilen Behörde stellt als öffentlicher Akt eine willentliche und wissentliche Distanzierung von der Kirche dar und ist eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft. Wer vor der zuständigen zivilen Behörde aus welchen Gründen auch immer seinen Kirchenaustritt erklärt, verstößt damit gegen die Pflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren, und gegen die Pflicht, seinen finanziellen Beitrag dazu zu leisten, dass die Kirche ihre Aufgaben erfüllen kann."
DOMRADIO.DE: Ist diese Regelung der Deutschen Bischofskonferenz 2012 denn im Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl erfolgt?
Lüdicke: Sagen wir mal so: Die Bischofskonferenz hat die Vollmacht, eine solche Partikularnorm zu erlassen und das wird nicht von Rom beanstandet.
DOMRADIO.DE: Das heißt, wir haben es hier mit einer rein rechtlichen Frage zu tun, die völlig unabhängig von der moralischen Einschätzung wirkt?
Lüdicke: Auf die religiöse Situation der betroffenen Personen hat das keinen Einfluss. Wie weit die so geartet ist, dass solche Konsequenzen wirklich folgen müssten, also ob sich jemand wirklich vom Glauben distanziert, ob sich jemand wirklich von der Kirche als der Gemeinschaft, die sie sein soll, distanziert und nicht nur von der Kirche, wie sie leider Gottes oft ist, das ist natürlich eine andere Frage.
Aber die kann man im Einzelfall nicht nachprüfen. Deswegen wollte man das irgendwie schematisieren und bewirkt hier eine Konsequenz, die unabhängig von der konkreten Motivation ist.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.