Caritas-Präsidentin würdigt Bürgergeld-Kompromiss

"Erleichtert, dass der Dauerzirkus vorbei ist"

Am 1. Januar 2023 wird das Bürgergeld-Gesetz in Kraft treten. Dieses hat der Vermittlungsausschuss erarbeitet. Die Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa begrüßt die neue Regelung, hat aber auch Verbesserungsvorschläge.

Eva Maria Welskop-Deffaa / © Monika Keiler (Caritas)
Eva Maria Welskop-Deffaa / © Monika Keiler ( Caritas )

DOMRADIO.DE: Der Weg ist frei für die Nachfolge-Regelung zu Hartz IV. Das Bürgergeld-Gesetz kann am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Sind Sie erleichtert? 

Eva Maria Welskop-Deffaa (Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes): Ich bin tatsächlich sehr erleichtert, dass dieser Dauer-Zirkus vorbei ist.

DOMRADIO.DE: Warum ist es gut, dass dieser Kompromiss da ist?

Welskop-Deffaa: In dem Bürgergeld-Gesetz stecken wirklich Reformvorschläge, für die wir uns als Caritas seit Jahren eingesetzt haben und die tatsächlich die Arbeitsmarktchancen von den Menschen erhöhen werden, denen es im Leben nicht so gut geht.

Dieses Paket jetzt wirklich zum 1. Januar in Kraft zu setzen, war uns ein großes Anliegen und deswegen bin ich sehr froh, dass der Vermittlungsausschuss den Weg freigemacht hat.

Eva Maria Welskop-Deffaa, Caritas-Präsidentin

"Wir haben mit Weiterbildungsprämie und Weiterbildungsgeld echte Anreize auch für Menschen, die Weiterbildungen sonst nicht als Option betrachtet hätten."

Wichtig für uns ist, dass der Vermittlungsvorrang aufgehoben wird. Das heißt, die Menschen müssen nicht jeden x-beliebigen Job annehmen, sondern können die Stelle suchen, die ihnen auch perspektivisch einen Verbleib im Erwerbsleben sichert.

Wir haben mit Weiterbildungsprämie und Weiterbildungsgeld echte Anreize auch für Menschen, die Weiterbildungen sonst nicht als Option betrachtet hätten. Wir machen ihnen Mut, sich für einen deutlich veränderten Arbeitsmarkt zu qualifizieren.

Wir haben außerdem den Lohnkostenzuschuss auf Dauer gestellt, den wir in den letzten Jahren für Arbeitgeber erprobt haben, die den Menschen eine Chance geben, die länger als sechs Jahre erwerbslos sind.

Das sind drei sehr wichtige Maßnahmen, die das Bürgergeld wirklich zu einer wichtigen Sozialreform machen.

DOMRADIO.DE: Die Ampel musste nachbessern und das Schonvermögen von 60.000 auf 40.000 Euro runtersetzen, finden Sie das vertretbar?

Welskop-Deffaa: Wir wissen, dass von den Menschen, über die wir hier reden, die allerwenigsten Vermögen bilden können.

Von daher haben wir diesen Teil des Streits immer ein bisschen als einen Streit um Kaisers Bart empfunden.

Eva Maria Welskop-Deffaa, Caritas-Präsidentin

"Es wird leichter und es gibt größere Anreize, aus dem Minijob hinaus zu gehen und mehr als 520 Euro zu verdienen."

Viel wichtiger ist es doch, dass die Zuverdienstmöglichkeiten für Menschen im Leistungsbezug verbessert werden. Es wird leichter und es gibt größere Anreize, aus dem Minijob hinaus zu gehen und mehr als 520 Euro zu verdienen.

Erst wenn man in diesen Bereichen 520 bis 1000 Euro dazuverdient, hat man überhaupt eine Chance in eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt. Von daher sollten wir, glaube ich, mehr über Zuverdienst als über Schonvermögen sprechen.

Symbolbild: Jobcenter - Agentur für Arbeit / © nitpicker (shutterstock)
Symbolbild: Jobcenter - Agentur für Arbeit / © nitpicker ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es soll keine sogenannte Vertrauenszeit geben. Bürgergeldbezieher können von Anfang an sanktioniert werden. Wie beurteilen Sie das?

Welskop-Deffaa: Das ist auch so ein Thema, von dem wir glauben, dass die Sanktionen in der Öffentlichkeit einen viel zu großen Stellenwert eingenommen haben. All die Instrumente, die mit Zwang verbunden waren, haben sich eigentlich in den letzten Jahren nicht als besonders wirksam erwiesen.

Wir haben als Caritasverband wiederholt insbesondere die verschärften Sanktionen für Jugendliche kritisiert. Demnach sind Jugendliche vollständig aus dem System herausgefallen, weil sie sich dem Jobcenter nicht mehr anvertraut haben, da sie gedacht haben, es lohne sich nicht, dort um Unterstützung und Integrationsmöglichkeiten nachzufragen.

Das Gegenteil ist eigentlich richtig. Wir sind froh, dass mit dem Bürgergeld-Gesetz die Zwangsverrentungen abgeschafft werden. Ältere Menschen, die kurz vor der Rente stehen, müssen nicht mehr auf den Bezug von Transferleistungen verzichten. Damit können sie auch weiterhin die Unterstützung des Jobcenters in Anspruch nehmen.

Eva Maria Welskop-Deffaa (Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes)

"Die Sprache, die in den letzten Wochen gewählt wurde, hat Menschen diskreditiert und diskriminiert, die schon heute wirklich auf der Schattenseite des Lebens stehen"

DOMRADIO.DE: Hatten Sie den Eindruck, dass sich in den Diskussionen Parteipolitiker auf Kosten Bedürftiger profilieren wollen?

Welskop-Deffaa: Es ist zumindest ein großer Schaden angerichtet worden, ganz egal, was die Motivlage war. Die Sprache, die in den letzten Wochen gewählt wurde, hat Menschen diskreditiert und diskriminiert, die schon heute wirklich auf der Schattenseite des Lebens stehen.

Das sind Menschen mit psychischen Belastungen. Menschen, die aus dem Erwerbsleben herausgefallen sind, weil sie langzeiterkrankt waren. Menschen, die schwere Schicksalsschläge hatten.

Wenn man dann den Eindruck erweckt, als ginge es hier um Faulenzer, die man sozusagen am Haarschopf heraus aus ihrem Wohnzimmer zerren muss, damit sie bereit sind, einen Arbeitsplatz anzunehmen, dann verletzt man diese Menschen und schafft ein Klima der sozialen Aggression, das wir uns gerade in Krisenzeiten nicht leisten können.

DOMRADIO.DE: Das Argument der Union war ja immer wieder, dass der Abstand von Bürgergeldbezieher zu Niedriglohnverdiener gewahrt bleiben muss. Ist das ein berechtigtes Argument?

Welskop-Deffaa: Nein, das ist definitiv kein berechtigtes Argument. Das Lohnabstandsgebot hat sich, wenn man die Zahlen genauer angeschaut hat, überhaupt nicht belegen lassen.

Bei den alten Hartz IV-Regeln wird genauso wie beim Bürgergeld das Kindergeld zum Beispiel angerechnet. Die Menschen, die Kindergeld beziehen, haben nicht mehr als die, die kein Kindergeld beziehen.

Ich weiß nicht, was da eigentlich die Datenbasis war, auf der diejenigen argumentiert haben, die ständig das Lohnabstandsgebot in den Mittelpunkt gerückt haben.

Eva Maria Welskop-Deffaa (Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes)

"Wir als Caritasverband hätten uns insbesondere bei der Frage und der Leistungshöhe noch mehr gewünscht"

DOMRADIO.DE: Ist das Bürgergeld, wie es jetzt kommt, in Ihren Augen eine klare Verbesserung gegenüber der Hartz IV-Regelung?

Welskop-Deffaa: Das Bürgergeld ist eine Verbesserung. Wir als Caritasverband hätten uns insbesondere bei der Frage und der Leistungshöhe noch mehr gewünscht. Denn oben drauf kommt gerade mal notdürftig der Inflationsausgleich.

Da müssen wir sehr genau hinschauen. Je nachdem, wie sich die Teuerungsraten der nächsten Wochen und Monate entwickeln, muss schnell nachgebessert werden.

Ich will den Paradigmenwechsel aber nicht kleinreden. Es ist sehr, sehr gut, dass wir jetzt ausstrahlen, dass Menschen, die über Jahre wirklich Schwierigkeiten hatten, Fuß zu fassen, vor einer offenen Türe stehen, dass ihnen geholfen wird, in einen Arbeitsmarkt hineinzufinden, der sie dringend braucht.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR