Propst bestürzt über den Glockendiebstahl in Gelsenkirchen

4.000 Euro Materialwert

In Gelsenkirchen wurde kürzlich eine 400 Kilogramm schwere Glocke aus einer aufgegebenen Kirche geklaut. Markus Pottbäcker sieht darin einen neuen Sport, in verlassene Gebäude einzudringen, Sachen zu beschädigen oder zu stehlen.

Eine Glocke hängt im Eingangsbereich eines Pfarrhauses / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Eine Glocke hängt im Eingangsbereich eines Pfarrhauses / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

DOMRADIO.DE: So eine Glocke steckt man nach einem Gottesdienst nicht einfach so in die Tasche. Wie um alles in der Welt stiehlt man ein Objekt dieser Größenordnung?

Propst Markus Pottbäcker (privat)
Propst Markus Pottbäcker / ( privat )

Markus Pottbäcker (Propst und Pfarrer in St. Urbanus in Gelsenkirchen): Das fragen wir uns das auch, wie das vonstatten gegangen ist. So eine Glocke muss man mit vielen Leuten tragen und auch über eine längere Strecke. Ein Auto kann man nicht so nah an die Kirche heranfahren. Da mussten Stufen überwunden werden. Das ist offensichtlich eine sehr gut geplante Aktion gewesen.

DOMRADIO.DE: Die Diebe mussten nicht in den Kirchturm hoch. Die Glocke stand schon im Kirchenraum. Muss das nicht trotzdem irgendjemand aus dem Umfeld mitbekommen haben?

Pottbäcker: Es sind durchaus Wohnhäuser drumherum. Es könnte sein, dass wir mit der Polizei noch jemanden finden, der was gesehen hat und der dabei helfen kann, diese wunderbare Glocke zu retten.

Markus Pottbäcker, Propst und Pfarrer in St. Urbanus in Gelsenkirchen

"Ich erst durch eine E-Mail erfahren, dass diese Wandlungsglocke die nicht mehr da ist."

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie denn zum allerersten Mal davon erfahren?

Pottbäcker: Es gibt hier noch einen schwierigen Zufall. Die Kirche ist jetzt schon seit einigen Jahren aufgegeben und die Glocken aus dem Turm der Kirche haben wir gerade abgegeben an eine Gemeinde in Anhalt-Zerbst. Da gab es im ersten Moment ein großes Missverständnis. Als es darum ging, dass 'die Glocken nicht mehr da sind', ging es in unserem Denken darum, dass die Glocken aus dem Turm nicht mehr da sind.

Dass die Glocke aus dem Kirchenraum – die stand dort als eine Glocke, die während der Wandlung bei der Messe angeschlagen wurde – weg war, habe ich tatsächlich erst durch eine E-Mail erfahren, als jemand präzise erklärte, dass es eben diese Wandlungsglocke ist, die nicht mehr da ist.

DOMRADIO.DE: Was kann man mit so einer alten Glocke machen? Ist die wertvoll? Lässt sie sich auf dem Schwarzmarkt weiterverkaufen? Wer könnte an so was interessiert sein?

Pottbäcker: Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass jemand ein echtes Liebhaberinteresse an dieser Glocke hätte. So was kann es geben. Sie ist eine der ältesten Glocken Gelsenkirchens von 1688 und hat auch eine große ideelle Bedeutung. Im Jahre 1688 hat es im Stadtteil Buer gebrannt. Buer ist in großen Teilen zerstört worden, unter anderem ist auch ein Teil der Kirche zerstört worden sowie die Glocken von damals.

Diese Glocke ist daraufhin neu gegossen worden und hat ab 1688 dann auch zu den Gottesdiensten geläutet. Sie ist dann Anfang des 20. Jahrhunderts von einem meiner Vorgänger in die neue Kirche Sankt Josef im Stadtteil Scholven im Gelsenkirchener Norden abgegeben worden. Dass die jemand aus Liebhabergründen haben möchte, kann ich mir – ehrlich gesagt – nicht vorstellen. Ich befürchte, dass es schlicht darum geht, ein Edelmetall einzuschmelzen.

Markus Pottbäcker, Propst und Pfarrer in St. Urbanus in Gelsenkirchen

"Auf der Glocke kann man lesen, dass sie über 300 Jahre alt ist, da sind auch Hinweise und Gebrauchsspuren, die darauf hindeuten."

DOMRADIO.DE: Die Glocke ist aus Bronze. Etwas über 10 € kriegt man pro Kilo. Das ist dann schon wahrscheinlich ein lukratives Geschäft.

Pottbäcker: Das befürchten wir auch. Da liegen wir bei 4.000 Euro ungefähr. Das ist natürlich sehr bitter. Mit der Veröffentlichung haben wir natürlich auch Anzeige erstattet. Wir hoffen auch darauf, dass wir vielleicht auch diejenigen erreichen, die diese Glocke einschmelzen sollen. Das muss ja schon professionell geschehen. Die machen sich vielleicht noch Gedanken bei einer so alten Glocke.

Auf der Glocke kann man lesen, dass sie über 300 Jahre alt ist, da sind auch Hinweise und Gebrauchsspuren, die darauf hindeuten. Vielleicht kommen die dann darauf, dass man das besser nicht tut, dass man die besser nicht einschmilzt. Aber wer weiß, was es da für Verbindungen in die Unterwelt gibt.

DOMRADIO.DE: 2021 gab es ja schon einmal einen Diebstahl. Da ist ein Bronze-Relief weggekommen, der Deckel des Taufbeckens. Könnte das eine Serie sein?

Pottbäcker: Wir haben das leider in sehr vielen Kirchen. Das ist eine Erscheinung der letzten Jahre, die sehr unangenehm ist. Ich habe es selbst erlebt, wie jemand versucht hat, einen Silberleuchter vom Altar zu stehlen, als die Kirche geöffnet war. Der war Gott sei Dank angekettet, sonst wäre der auch weggewesen.

Ich bin auf den Mann zu. Das ist passiert, während die Kirche geöffnet war, während eines ganz normalen Tages, an einem Tag, an dem immer auch Leute in der Kirche sind. Da gibt es offensichtlich kein Halten mehr.

Markus Pottbäcker, Propst und Pfarrer in St. Urbanus in Gelsenkirchen

"Das hat für mich eine ähnliche Qualität, wie wenn auf Friedhöfen, aus Grabstätten geklaut wird."

DOMRADIO.DE: Wie ist das für Sie als Pfarrer, wenn in einem Gotteshaus geklaut wird?

Pottbäcker: Das hat für mich eine ähnliche Qualität, wie wenn auf Friedhöfen, aus Grabstätten geklaut wird. Die Menschen, die ich kenne, die von solchen Diebstählen betroffen sind, sind zutiefst verletzt und getroffen. Und das ist bei uns in der Gemeinde auch so und mir geht es nicht anders. Es ist eine alte Glocke, die wirklich auch etwas von der Geschichte erzählt. Und das ist auch den Preis nicht wert, den man dadurch erzielt. Das ist einfach verwerflich, ein solches Verhalten.

DOMRADIO.DE: Wie kann man denn Kirchen vielleicht in Zukunft besser vor Diebstählen schützen?

Pottbäcker: Bei geschlossenen Kirchen ist es wirklich schwierig, das merken wir sehr deutlich. Sobald eine Kirche geschlossen ist, ist sie "der Willkür ausgesetzt". Dann wird daran gesprayt, dann werden Fenster eingeschmissen. Es würde einen großen Aufwand bedeuten, Kirchen davor zu schützen.

Wir haben vor zwei Jahren einen Brand in einer Kirche gehabt, die  schon seit 14 Jahren geschlossen ist. Die Eingänge haben wir mit wirklich dicken Balken verschraubt. Trotzdem ist da alles aufgebrochen und ein Brand gelegt worden. Am Ende wird man sie nicht schützen können, selbst wenn man sie schließt und sicher abschließt. Um diese Kirche, die danach zerstört war, hat es auch einen Bauzaun gegeben, der fest war. Wenn Menschen da rein wollen, kommen sie da rein.

Ich bekomme immer wieder mal Hinweise zugespielt. Es gibt so eine neue Art Sport, nach "Lost Places" zu gucken. Dann gehen Leute auch gerne in geschlossene Kirchen rein, suchen sich einen Zugang, was durchaus auch schon mal gefährlich sein kann – eine Verkehrssicherungspflicht haben wir nicht mehr – und dann wird es eben problematisch. Ich befürchte, eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.

Das Interview führte Elena Hong.

Quelle:
DR