Ein Grund für die Entwicklung sei, "dass nur noch sehr, sehr wenige Menschen überhaupt persönliche Erfahrungen mit den Kirchen machen, zugleich aber nicht wenige starke Meinungen über sie haben", sagte der Religionssoziologe in Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Angesichts der Entfremdung der Mehrheit der Bevölkerung sieht Pollack den Handlungsspielraum der Kirchen "äußerst gering".
Die Kirchen hätten sich seit Jahrzehnten verändert und immer neue Reformprogramme aufgelegt, erklärte Pollack. Das habe sie gesellschaftsoffener, politischer und liberaler gemacht. Den Abwärtstrend hätten sie dennoch nicht stoppen können.
Rückgang der Religiosität
Der Rückgang an Bedeutung treffe nicht allein die Kirchen, sagte Pollack. Eng damit verbunden sei auch ein Rückgang der Religiosität, auch wenn Religiosität und Kirchlichkeit zu unterscheiden sei.
Die evangelischen Kirchen seien in den letzten Jahrzehnten "menschenfreundliche, auf Dialog und Resonanz gestimmte Institutionen geworden, die versuchen, auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen einzugehen", würdigte der Wissenschaftler.
Die Abkehr von den evangelischen Kirchen sei gleichwohl seit Jahrzehnten weitaus stärker als die von der katholischen Kirche. 1949 seien über 50 Prozent der westdeutschen Bevölkerung evangelisch und etwas mehr als 40 Prozent katholisch gewesen. Heute seien 26 Prozent der Westdeutschen evangelisch und 32 Prozent katholisch
Weithin gepflegter Irrglaube
Die Behauptung, die Menschen hätten ein starkes Interesse an Religion, sei "ein weithin gepflegter Irrglaube", sagte Pollack weiter. Unter allen immer wieder abgefragten Lebensbereichen werde Religion stets die geringste Bedeutung für das eigene Leben eingeräumt.
Sie werde "als noch unwichtiger als Politik eingeschätzt und hat natürlich längst nicht den Stellenwert wie Familie, Beruf, Nachbarschaft, Freundschaft oder Freizeit". Wenn die Menschen gefragt würden, ob man auch ohne Kirche Christ sein kann, stimmten sie mehrheitlich zu. "Daraus sollte man aber nicht den Schluss ziehen, dass es viele sind, die sich jenseits der Kirche zum christlichen Glauben bekennen."
Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung
Nach dem am Donnerstag veröffentlichten Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung geht die Bindungskraft der Kirchen in Deutschland massiv zurück. Demnach hat im vergangenen Jahr jedes vierte Kirchenmitglied über einen Austritt aus der Kirche nachgedacht, jedes fünfte eine feste Austrittsabsicht geäußert.
Besonders hoch sei der Anteil der Menschen, die ihrer Kirche kritisch gegenüberstehen, unter Katholiken. Der Anteil der Deutschen, der angegeben habe, an Gott zu glauben, betrage nur noch 38 Prozent. Mehr als 90 Prozent der Menschen mit Austrittsabsichten hätten angegeben, dass man auch ohne Kirche Christ sein könne.