Ein Arbeitsverbot der Taliban für Frauen in Nichtregierungsorganisationen sieht einem Sitzungsprotokoll zwischen Vertretern der UN und der islamistischen Führung in Afghanistan zufolge mehrere Ausnahmen vor. Weibliche Angestellte der Vereinten Nationen und ausländische Angestellte von NGOs seien davon ausgenommen sowie alle Frauen, die im Gesundheitsbereich arbeiteten, heißt es in einem Protokoll eines Treffens des Wirtschaftsministers der Taliban, Din Mohammed Hanif, mit dem geschäftsführenden Chef der UN-Mission in Afghanistan (Unama), Ramiz Alakbarov. Das Treffen fand am Montag statt, das Protokoll liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Zuerst hatte die ARD darüber berichtet. Die Taliban reagierten am Dienstag zunächst nicht auf eine Anfrage zu dem Treffen.
Das Arbeitsverbot hatte im Land und international heftige Reaktionen hervorgerufen. Mehrere für das Land wichtige Hilfsorganisationen, darunter das International Rescue Committee (IRC), die Norwegische Flüchtlingshilfe (NRC) oder auch die Welthungerhilfe, setzten bereits ihre Arbeit aus. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hatte am Montag die Hilfe für das Land infrage gestellt.
Auch Caritas-international unterbricht die Arbeit
Auch für Caritas-international sei es unausweichlich gewesen, die Arbeit bis auf weiteres zu unterbrechen, sagte Caritas-international-Chef Oliver Müller am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Freiburg. Nach seiner Einschätzung wird die Entscheidung des Taliban Regimes das Leiden und die Not der Menschen in Afghanistan weiter vergrößeren."Mehr als 20 Millionen Afghaninnen und Afghanen sind von Hunger bedroht. Das Land braucht humanitäre Hilfe, um zu überleben." Die Not sei "exorbitant hoch".
Müller sprach von einer sehr schweren Entscheidung. "Aber ohne unsere Mitarbeiterinnen können wir Frauen und ihre Kinder bei unseren Projekten nicht erreichen. Und gerade sie sind die Bedürftigsten und am stärksten bedroht in Afghanistan", so Müller.
Hilfe soll mittelfristig weitergehen
Die Lage für Frauen habe sich systematisch verschlechtert, nicht zuletzt durch das Verbot zu studieren, sagte der Caritas-Leiter. "Leider sehe ich auch keine Perspektive, dass sich für die Afghaninnen bald etwas zum Besseren ändern könnte." Dennoch rechne er damit, dass die internationale Hilfe mittelfristig weitergehen kann.
"Die Afghaninnen und Afghanen registrieren genau, warum die Hilfen nun gestoppt wurden", so Müllers Einschätzung; und er hoffe, dass der Druck der Bevölkerung auf die Taliban steigen wird, "wieder auf die internationalen Helfer zuzugehen, um einen Kompromiss zu finden".
Vielleicht gibt es einen Kompromiss
Auch der Caritas-Büroleiter in Kabul, Stefan Recker, zeigte sich vorsichtig optimistisch. "Es erinnert ein wenig an die Strategie beim ersten Taliban-Regime in den 1990ern, wo zunächst extreme Ansagen nach einiger Zeit in einen Kompromiss mündeten", sagte Recker der KNA. Eine Brücke könne sein, wenn sich die NGOs förmlich verpflichteten, dass ihre Mitarbeiterinnen die Kleidungsvorschriften einhalten. Bislang habe das zuständige Wirtschaftsministerium aber noch nicht reagiert.
Recker sagte, dass aktuell noch drei Caritas-Projekte im Gesundheitsbereich mit den dort bei Partnerorganisationen beschäftigten Medizinerinnen weiterlaufen: für Leprahilfe, die Anpassung von Prothesen und für Mutter-Kind-Gesundheit. Auch beim UN-Ernährungsprogramm FAO gingen die Hilfen weiter, etwa die Verteilung von Saatgut. "Zum einen betrifft das Mitarbeiterinnenverbot nur nichtstaatliche NGOs. Zum anderen wäre es nicht zu verantworten, Tausende Tonnen Saatgut nicht zu verteilen", sagte Recker.
Auch UN meldet sich zu Wort
Auch der Chef des UN-Menschenrechtsbüros, Volker Türk, reagierte auf die Entscheidung Frauen die Mitarbeit in Hilfsorganisationen zu verbieten. Er warnte davor, dass Ausbildungs- und Arbeitsverbote für Frauen in Afghanistan die Gesellschaft des Landes destabilisieren und "schreckliche Dominoeffekte" auslösen könnten. "Diese unabschätzbaren Einschränkungen von Frauen und Mädchen werden nicht nur das Leid aller Menschen in Afghanistan vergrößern", warnte Hochkommissar Türk am Dienstag in Genf. "Ich fürchte, dass sie auch eine Gefahr außerhalb Afghanistans darstellen", sagte er und verwies damit indirekt auf das Risiko von weiteren Fluchtbewegungen.
Offiziell begründeten die Taliban das Helferinnenverbot damit, dass sich Frauen nicht ausreichend verschleiert hätten und die Geschlechtertrennung bei Hilfsprojekten nicht eingehalten worden sei. Somit sei gegen Vorschriften in dem islamischen Land verstoßen worden. Dies bekräftigte Minister Hanif laut Protokoll auch gegenüber Alakbarov. Der Taliban-Minister sagte demnach, dass er das ganze Jahr über Fälle von Missachtung der Vorschriften zur Verschleierung von Frauen beobachtet habe. Er habe versucht, das Problem durch Dialog mit den NGOs zu lösen, bis die höhere Taliban-Führung davon erfahren habe. Sein Ministerium sei von der obersten Führung gebeten worden, den Brief an die NGOs auszustellen.
Die Hälfte der Bevölkerung hungert
Aus NGO-Kreisen hieß es, derartige Vorwürfe seien nicht gerechtfertigt. Laut einer NGO in Kabul mit Büros in anderen Provinzen haben die Taliban nie ihre Gebäude betreten oder Autos mit weiblichen Angestellten an Kontrollpunkten angehalten, um die Einhaltung der Kleidervorschriften zu kontrollieren. Außerdem könnten männliche Taliban die Bürobereiche, in denen weibliche Mitarbeiter arbeiten, nicht betreten. Ein NGO-Mitarbeiter sagte auch, er habe noch nie von Beschwerden gehört, die andere NGOs in dieser Hinsicht erhalten hätten.
Die humanitäre Lage in Afghanistan gilt als prekär. Seit dem Abzug der internationalen Truppen ist die Wirtschaft kollabiert. Nach Angaben der Vereinten Nationen unterstützen die UN und ihre Partner, einschließlich nationaler und internationaler NGOs, derzeit mehr als 28 Millionen Afghanen, die für ihr Überleben von humanitärer Hilfe abhingen. In dem Land leben schätzungsweise 37 Millionen Menschen. Etwa die Hälfte der afghanischen Bevölkerung ist laut UN-Angaben von Hunger bedroht; etwa drei Millionen Menschen sind innerhalb des Landes geflohen. Geschätzte drei Millionen Kleinkinder unter fünf Jahren sind mangelernährt.