Pater blickt kritisch auf Debatte zu Silvester-Attacken

"Das ganze laute Geplärre ist wenig hilfreich"

In vielen Städten kam es in der Silvesternacht zu Attacken auf Rettungs- und Einsatzkräfte. Im Nachgang wird auf die Täter geschaut, die sowohl deutscher wie ausländischer Herkunft waren. Für Pater Oliver Potschien greift das zu kurz.

Abgebrannte Silvester-Böller / © Kay Nietfeld (dpa)
Abgebrannte Silvester-Böller / © Kay Nietfeld ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie ist die Silvesternacht bei Ihnen in Duisburg-Marxloh verlaufen?

Pater Oliver Potschien (KNA)
Pater Oliver Potschien / ( KNA )

Pater Oliver Potschien (Leiter des Petershofes, einem sozial-pastoralen Zentrum in Duisburg-Marxloh): Mit Glockenläuten um Mitternacht und es war viel los. So viel, wie ich das in den ganzen letzten Jahren nicht erlebt habe. Hier war richtig was los auf der Straße.

DOMRADIO.DE: Wie ordnen Sie die Debatte um die Über- und Angriffe ein, die sich vor allem auf Menschen mit Migrationshintergrund konzentriert?

Pater Oliver: Erst mal muss Ruhe in die Diskussion kommen. Das ganze laute Geplärre ist wenig hilfreich. Grundsätzlich ist das, was wir in dieser Silvesternacht erlebt haben, kein neues Phänomen. Es ist in jedem Fall auch keine exklusive Handlung von sogenannten Migranten oder Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

An fast jedem Wochenende sehen wir Ausschreitungen bei Fußballspielen mit Übergriffen gegen Schiedsrichter. Es gibt Terrorakte von Links- und Rechtsextremen. Und nicht vergessen dürfen wir die Reichsbürgerszene, die den Staat als solchen ablehnt.

Wir sehen daran, dass es an vielen Stellen Schwierigkeiten im Verhältnis von Menschen zum Staat und seinen Vertretern gibt. Das ist keine exklusive Sache von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Das möchte ich verneinen.

DOMRADIO.DE: Aus der Politik und voran aus der CDU gibt es Stimmen, die von einer gescheiterten Integrationspolitik sprechen. Würden Sie das unterschreiben?

Pater Oliver: Das ist keine Frage der Integration, gescheitert oder nicht. Das ist die Frage, wie wir mit Jugendlichen umgehen und was wir mit Jugendlichen machen. Wenn der Oberbürgermeister und andere Lokalpolitiker, die jetzt wieder nach Recht und Ordnung schreien, vorher jahrzehntelang die Förderung im Jugendbereich zusammengestrichen haben, dann ist das in der aktuellen Diskussion auch ein Punkt, der eher kontraproduktiv gewirkt hat.

Silvester-Krawalle

Nach den Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht fragen sich viele: Was tun, damit wir nicht wieder vor demselben Problem stehen?

 © David Young (dpa)
© David Young ( dpa )

Wenn sie Kinder fragen, was sie später einmal werden wollen, dann hören sie von Polizistinnen und Polizisten, von Feuerwehrleuten. Das ist hier bei den Kindern in Marxloh genauso wie im Rest des Landes.

Später entsteht aber ein Missverhältnis zwischen den Menschen, die tatsächlich in diesen Einrichtungen arbeiten und den Kindern, deren Berufswunsch es war, bei der Polizei oder der Feuerwehr zu arbeiten. Zumindest erlebe ich das hier in Marxloh. Als Kinder ist das Interesse trotzdem noch da.

DOMRADIO.DE: Was wäre aus Ihrer Sicht die richtige Konsequenz auf die Vorgänge in der Silvesternacht?

Pater Oliver: Wir erleben im Moment eine Art Erosion des Etablierten. Wenn ich heute Jugendlicher wäre, dann wüsste ich auch nicht, wo ich hier an den Staat und das Gemeinwesen andocken sollte.

Wir müssen für die Kinder und Jugendlichem die Türen aufmachen. Wir müssen Begegnungsräume schaffen. Gerade dort, wo die Elternhäuser dies nicht mehr so leisten, wie ich das noch aus meiner Kindheit kenne. Da müssen wir fördern und auch fordern.

Ein Beispiel: Hier in Marxloh haben wir mehrere Hundert Kinder, die nicht beschult werden. Das sind Probleme, die wir heute lösen müssen, sonst werden es morgen größere Probleme.

DOMRADIO.DE: Was konkret stellen Sie sich da vor?

Pater Oliver: Wir als Gesellschaft müssen unsere Türen aufmachen. Ein Projekt, was wir dafür hier in Marxloh haben, richtet sich an Jugendliche mit libanesischem Migrationshintergrund. Wir vermitteln denen eine Ausbildung im Rettungsdienst. Die Ersten fahren schon im Rettungsdienst mit und wir bilden Weitere aus.

Ein anderer Vorschlag wäre eine Förderung von Jugendfeuerwehren. Wir müssen in die Jugendlichen und in Angebote für sie rein investieren, damit Jugendliche, auch die mit Migrationshintergrund, gut in der Gesellschaft andocken können. Nur dann können sie ihren eigenen Weg im Leben gehen.

Dafür müssen wir produktive Vorbilder für die Jugendlichen schaffen. Das sind die Lösungen. Zumindest sind das bessere Lösungen, als irgendwo Überwachungskameras aufzuhängen.

Das Interview führte Verena Tröster.

Quelle:
DR