Volker Beck hält grünen Klimadeal für großen Fortschritt

"Ein Teil der christlichen Botschaft"

Im rheinischen Braunkohlerevier wird die Räumung des vor der Abbaggerung stehenden Dorfes Lützerath fortgesetzt. Klimaaktivisten kritisieren den grünen Klimadeal. Der ehemalige religionspolitische Sprecher der Grünen aber lobt ihn.

Umweltaktivistin Luisa Neubauer wird von Polizisten während einer Sitzblockade weggetragen. Die Demonstranten hatten versucht am zweiten Tag der Räumung durch die Polizei über Äcker zum besetzten Braunkohleort Lützerath zu gelangen und wurden von der Polizei gestoppt. Der Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern, dafür soll der Weiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz am Braunkohletagebau Garzweiler II abgerissen werden. / © Federico Gambarini (dpa)
Umweltaktivistin Luisa Neubauer wird von Polizisten während einer Sitzblockade weggetragen. Die Demonstranten hatten versucht am zweiten Tag der Räumung durch die Polizei über Äcker zum besetzten Braunkohleort Lützerath zu gelangen und wurden von der Polizei gestoppt. Der Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern, dafür soll der Weiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz am Braunkohletagebau Garzweiler II abgerissen werden. / © Federico Gambarini ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Kohlevereinbarung um Lützerath war ein Deal der nordrhein-westfälischen Grünen-Politikerin Mona Neubaur und dem Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Zusammengefasst bedeutet dies, dass der Kohleausstieg acht Jahre früher, also statt 2038 schon 2030 stattfindet. Aber dafür darf jetzt noch die Kohle unter Lützerath abgebaggert werden. Ist das ein kluger Deal?

Volker Beck / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Volker Beck / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

Volker Beck (Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien CERES der Ruhr-Universität Bochum und ehemaliger religionspolitischer Sprecher der Grünen): Ohne den Deal dürfte die Kohle auch abgebaggert werden, allerdings bis 2038. Insofern ist es eindeutig ein Fortschritt.

Dass man insgesamt damit unzufrieden ist, dass man gegenwärtig noch Kohle verstromen muss, verstehe ich. Aber wer die Kohle beim Verstromen überflüssig machen will, der muss darauf setzen, dass mit erneuerbaren Energien auf einer anderen Grundlage Strom produziert wird. Ich glaube, das ist der Dreh- und Angelpunkt.

Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass unsere gegenwärtigen Maßnahmen alle nicht reichen, um unsere Klimaziele tatsächlich zu erreichen, und dass es aber auch nicht reicht, national allein dieses Thema in den Fokus zu nehmen. Wir müssen nämlich insgesamt darauf achten, wieviel diese Welt, wieviel die Menschheit an CO2 ausstößt.

Da hat, glaube ich, Deutschland noch eine andere Rolle als die Frage, ob jetzt mehr oder weniger Kohle aus Garzweiler herausgeholt wird. Vielmehr geht es entscheidend darum, ob wir Technologien entwickeln, die es ermöglichen, klimaneutral zu wirtschaften und Wohlstand zu produzieren. Da sehe ich vor allen Dingen unsere Rolle, und da muss mehr passieren.

DOMRADIO.DE: Es gibt den Vorwurf des Verrats. Die Grünen verabschiedeten sich von der Klimabewegung, heißt es. Insbesondere von der Grünen Jugend kommt Kritik. Das 1,5 Grad-Ziel werde verfehlt und die Kohle unter Lützerath nicht für die Versorgungssicherheit gebraucht, sagt Sarah Lee-Heinrich, Bundesvorsitzende der Grünen Jugend. Hat Sie keine Ahnung?

Beck: Nein, das würde ich so nicht sagen. Allerdings sehe ich bei dieser jetzigen Bewegung, schon eine starke Fokussierung auf einen Punkt, auf ein Element. Das ist auch verständlich, wenn man in so einer Bewegung ist. Aber dieses eine Element und dieser eine Punkt löst die Frage nicht.

Bewegungen brauchen immer solche Symbole und fokussieren sich darauf. Aber Politik muss letztendlich konzeptionell das Ziel erreichen. Da würde ich mancher Aussage im Detail widersprechen. Aber ich finde es völlig legitim, dass junge Leute und auch ältere Klimaaktivistinnen und -aktivisten hier darauf aufmerksam machen, dass das, was wir bisher machen, nicht ausreicht und dass wir so nicht zum Ziel kommen und dass wir uns mehr anstrengen müssen.

Volker Beck (Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien CERES der Ruhr-Universität Bochum und ehemaliger religionspolitischer Sprecher der Grünen)

"Da sehe ich zum Teil eine Verselbstständigung, bei der die Aktion mehr Bedeutung hat als der Inhalt oder die Strategie, die die Bewegung erzeugt."

Gleichzeitig finde ich, dass uns manche Diskussion, die wir in den letzten Wochen erlebt haben, nicht näher ans Ziel führt. Wir haben ja nicht nur diese Auseinandersetzung um Lützerath. Wir haben auch diese komischen Aktionen, dass sich Leute auf der Straße festkleben oder dass kürzlich der Flughafen besetzt wurde. Das hat absurderweise durch diese Aktion dazu geführt, dass mehr CO2 ausgestoßen wurde, weil die Flugzeuge dann über dem Flughafen länger kreisten.

Da sehe ich zum Teil eine Verselbstständigung, bei der die Aktion mehr Bedeutung hat als der Inhalt oder die Strategie, die die Bewegung erzeugt. Da muss auch Kritik erlaubt sein.

Kritik muss auch daran erlaubt sein, dass hier zum Teil von manchen auch Gewalt ausgeübt wird. Mir macht es große Sorge, dass sich aktuell Menschen in Tunneln, zum Beispiel in Lützerath, aufhalten. Die gefährden ihr Leben, die gefährden aber auch das Leben der Sicherheitskräfte.

Ich finde, das braucht es nicht, um darauf aufmerksam zu machen, dass wir für den Klimaschutz mehr tun müssen.

DOMRADIO.DE: Die Klimaaktivisten und -aktivistinnen bekommen unter anderem Unterstützung von den Kirchen und von christlichen Initiativen. Wie stehen Sie dazu?

Beck: Ich finde es wichtig, dass sich die Christen und die Kirchen hier engagieren. Es ist eine Welt und es gehört schon seit langem zum christlich theologischen Selbstverständnis, dass die Bewahrung der Welt auch ein Teil der christlichen Botschaft ist. Deshalb begrüße ich dieses Engagement.

Aber da gilt eben auch, die Aufgabe und die Verantwortung, diese Welt zu retten, indem wir zu einem Wirtschaften kommen, das im Ergebnis klimaneutral ist oder in dem wir CO2 wieder aus der Atmosphäre rausbringen, um diesen Planeten für die Menschheit bewohnbar zu erhalten.

Dieser Planet braucht die Menschen nicht, aber wir brauchen einen bewohnbaren Planeten als Menschen. Das haben wir selber in der Hand. Wenn wir nicht bald erfolgreich tätig werden, werden zunehmende Teile auf dieser Welt unbewohnbar sein. Die Menschen werden sich als Klimaflüchtlinge auf den Weg machen. Das hat ja schon in Afrika und in Asien begonnen. Das wird uns auch erreichen.

Deshalb haben wir auch als Wirtschaftsnation ein großes Interesse, da umzusteuern und nicht kurzfristig zu gucken, was eigentlich die Gewinner und unser Wohlstand in den nächsten fünf Jahren machen. Wir müssen da weiterdenken.

DOMRADIO.DE: Sie haben mal in einem Interview gesagt, dass Sie sich zum Erhalt der Schöpfung auch aus religiösen Gründen bekennen. Wenn Sie mit diesem Blick auf die gesamte aktuelle Energiepolitik der Bundesregierung schauen, bei der es dann auch um Kernenergie oder den Transport von Flüssiggas auf Schiffen geht, wie sehr hadern Sie da mit Ihrer Partei?

Beck: Ich hadere da nicht mit meiner Partei. Ich hadere da mit der Situation, in der wir auf dieser Welt sind. Ich hadere mit diesem Krieg, den Russland über die Ukraine gebracht hat, wo natürlich auch ungeheure Mengen von CO2 sinnlos in die Luft gepustet werden, während von den Russen gleichzeitig massenhaft Menschen unsinnigerweise ums Leben gebracht werden. Damit hadere ich.

Das hat natürlich neue Aufgaben gestellt. Deshalb sind wir zum Teil, um Kohle und Gas zu substituieren, auch wieder stärker zur Kohleverstromung zurückgegangen. Das ist schrecklich und unsinnig. Aber ob Kohleverstromung und Gasverstromung, beides muss am Ende durch erneuerbare Energien substituiert werden.

Ich sehe, dass Robert Habeck da sehr vieles tut. Ob das ausreicht? Ich bin am Ende auch kein Fachmann von solchen energiepolitischen Fragen im Detail. Aber ich sehe da ein enormes Bemühen, eine enorme Kraftanstrengung.

Ich glaube, wenn wir es schaffen diesen Krieg in der Ukraine zu beenden, dadurch, dass wir der Ukraine die entsprechenden Panzer und dergleichen zur Verfügung stellen, haben wir auch bessere Ausgangsvoraussetzungen, um Klimaziele zu erreichen.

Das gehört leider alles mit zusammen, weil die Klimafrage eine systemische Frage ist, wo alles mit hineinspielt.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Klimawandel

Allgemein bezeichnet der Begriff Klimawandel die Abkühlung oder Erwärmung des Klimas auf der Erde über einen langen Zeitraum. Natürliche Änderungen im Klima hat es immer schon gegeben. Seit etwa 1850, dem Beginn der industriellen Revolution, steigt die globale Durchschnittstemperatur allerdings vergleichsweise schnell.

Symbolbild Klimawandel / © Seamind 224 (shutterstock)
Quelle:
DR