Ab 2023 bekommt der Zentralrat der Juden in Deutschland 22 Millionen Euro pro Jahr vom Bund. Das ist die bisher höchste Summe seit der Unterzeichnung eines Staatsvertrages vor 20 Jahren: Am 27. Januar 2003 unterschrieben Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und der damalige Zentralratspräsident Paul Spiegel dieses Dokument.
Schuster: Staat eröffnete Vielfalt und Chancen
"Der Abschluss des Staatsvertrages war ein wichtiges Signal, dass jüdisches Leben in Deutschland auch staatlich finanziell unterstützt wird. Das Judentum in Deutschland war in dieser Zeit dabei, sich neu zu ordnen", sagt heute Josef Schuster, Präsident des Zentralrats.
Denn lange hätten sich Jüdinnen und Juden in Deutschland nach der Schoah nur auf "einer Art Zwischenstation" empfunden. "Mit der Zeit änderte sich dies, und vor allem die Zuwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ab den 1990er Jahren verliehen dem deutschen Judentum eine neue Vitalität und eröffneten neue Chancen", betont Schuster.
Die rund 220.000 Jüdinnen und Juden, die seit Anfang der 1990er Jahre aus der Ex-Sowjetunion nach Deutschland gekommen waren, sorgten für einschneidende Veränderungen: So wurden mancherorts erst Gemeinden gegründet. Zugleich mussten sie von den Gemeinden integriert werden.
Schuster sagt, dass ein solches Wachstum zugleich Unsicherheit mit sich gebracht habe, und einige Probleme noch heute zu beobachten seien. "Die Vielfalt, in der jüdisches Leben heute möglich ist, wäre aber sicher ohne den Staatsvertrag so nicht denkbar gewesen."
"Signal der Ermutigung"
Aktuell sind unter dem Dach des Zentralrats als Spitzenorganisation der jüdischen Gemeinden in Deutschland über 100 Gemeinden organisiert. Nach Angaben der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden gab es Ende 2021 in den Gemeinden 91.839 Jüdinnen und Juden.
Ein Blick auf den 27. Januar 2003, den Tag zum Gedenken an NS-Opfer in Erinnerung an die Befreiung von Auschwitz-Überlebenden 1945: Spiegel sprach, auch unter Verweis auf den Gedenktag, von einem "wahrlich historischen Tag". Für Schröder war die Vereinbarung zum Staatsvertrag ein "großes Entgegenkommen der jüdischen Gemeinschaft gegenüber Deutschland und den Deutschen" und "Signal der Ermutigung für das religiöse und kulturelle jüdische Leben".
Schröder und Spiegel hatten den Vertrag angekündigt, um der stark gewachsenen jüdischen Gemeinschaft mehr Rechtssicherheit und eine bessere finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Im Juni 2003 stimmte der Bundestag dem Staatsvertrag zu, im Juli der Bundesrat. Für den Ausbau der Gemeinschaft, soziale und integrationspolitische Aufgaben sowie Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes sollte der Zentralrat pro Jahr drei Millionen Euro bekommen.
Staatsvertrag löste innerjüdischen Finanzstreit aus
Die Einrichtung des Staatsvertrags ging nicht geräuschlos vonstatten, denn sie hatte einen innerjüdischen Finanzstreit zur Folge: Die Union progressiver Juden in Deutschland (UpJ) sah sich benachteiligt und drohte zeitweise mit gerichtlichen Schritten - die Liberalen wollten an den Zuschüssen beteiligt werden. Schließlich kam es zu einer Einigung, und der UpJ mit ihren damals rund 3.000 Mitgliedern wurden seitens des Zentralrats Fördergelder zugesagt.
Auch in diesem Jahr flammten Vorwürfe der UpJ mit jetzt etwa 5.500 Mitgliedern auf: Der Zentralrat habe vor seinen Bemühungen um eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse die UpJ nicht zu ihrem Bedarf konsultiert.
Der Zentralrat betonte, er berücksichtige alle Strömungen des Judentums "gleichermaßen und paritätisch". Die Zuwendung an die UpJ sei vor vier Jahren verdoppelt, der Wunsch nach einer weiteren Erhöhung nicht angemeldet worden. Gleichwohl sei eine Erhöhung der Gelder für die UpJ angedacht.
Mit dem Geld wird etwa Bildungsarbeit finanziert
Was macht der Zentralrat mit Geldern aus dem Staatsvertrag? "Gerade in jüngster Vergangenheit steht die Förderung der Bildungsarbeit im Fokus. Im Frühjahr 2024 wird die Jüdische Akademie in Frankfurt eröffnet", erklärt Schuster. Zudem gebe es viele Programme in der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Kultur. Und: "Dem Zentralrat ist eine gleichwertige Förderung aller Denominationen wichtig, und in dieser Hinsicht spielte in den vergangenen Jahren die Unterstützung der verschiedenen Rabbinerseminare eine immer wichtigere Rolle."
Auch jenseits des Materiellen hat der Staatsvertrag laut Schuster eine große Bedeutung. Antisemitismus verbreite sich und sei nicht "vulgär, sondern geschliffen, versteckt hinter vermeintlichen Idealen". Umso wichtiger sei das Bekenntnis des Staates zu jüdischem Leben: "Es hat nach wie vor einen unschätzbaren ideellen Wert."