DOMRADIO.DE: Kann man da von einem weiteren Beispiel für Islamophobie sprechen und so außerordentlich heftig reagieren, wie der türkische Präsident Erdogan es zum Beispiel tut? Dieser sprach am Montag von einer "Schande" und kündigte an, Schwedens Bemühungen um einen Nato-Beitritt nicht zu unterstützen.
Prof. Dr. Thomas Lemmen (Islamexperte, Referat Dialog und Verkündigung im Erzbistum Köln): Vorfälle dieser Art kommen leider immer wieder vor und sind so eine Art psychologische Kriegsführung. Man will den Gegner dort treffen, wo es ihn am meisten verletzt. Das sind eben seine Gefühle. In dem Fall sind es die religiösen Gefühle vieler Muslime und Musliminnen.
Das ist aber kein singuläres Phänomen, sondern Bücherverbrennungen gibt es leider immer. In Polen sind Harry Potter-Bände verbrannt worden, in Israel das Neue Testament, in der Türkei wollte man die Werke von Orhan Pamuk verbrennen.
Es geht durch die Geschichte hindurch. Heinrich Heine hat gesagt: "Das war nur ein Vorspiel. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." Das ist das Schlimme.
DOMRADIO.DE: Der Koran ist ein heiliges Buch. Was bedeutet dieses Buch auch rein physisch für den gläubigen Muslim?
Lemmen: Das ist das Heiligste im Islam. Es ist das authentische Wort Gottes. Wenn der Koran rezitiert wird, dann lauschen Muslime ehrfürchtig diesem Klang. Das ist schon in ihrem religiösen Empfinden etwas ganz Schlimmes, wenn man mit diesem heiligen Buch nicht ehrfürchtig umgeht.
DOMRADIO.DE: Ein Buch, das heilig ist. Da ist es dann natürlich blasphemisch, wenn man das verbrennt. Kann man das so verstehen?
Lemmen: Jetzt muss man natürlich sagen, dass es theologisch vollkommen abwegig ist, dass man Gott in irgendeiner Weise durch die Verbrennung von Büchern oder Gegenständen verletzen oder einschränken könnte. In einem Hochgebet heißt es: "Unser Lobpreis kann deine Größe nicht mehren, uns aber bringt er Segen und Heil."
Umgekehrt kann die Bücherverbrennung Gott nicht schaden, aber sie sagt natürlich etwas über den aus, der es tut, der nämlich die Respektlosigkeit gegenüber Gott, aber letztlich auch gegenüber anderen Menschen zeigt.
DOMRADIO.DE: Wie wäre das denn bei der Bibel?
Lemmen: Das ist für mich als Christen auch schlimm, wenn ich sehe, dass Bibeln verbrannt werden. Aber dann muss ich mich gleichzeitig auch fragen: Was berührt das in mir? Es berührt meine religiösen Gefühle. Ich bedaure es und finde es schlimm, aber ich darf mich nicht dazu hinreißen lassen, demjenigen, der es getan hat, zu schaden.
Denn nach christlichem Verständnis ist Gott Mensch geworden und ans Kreuz gegangen. Und etwas schlimmeres kann es für Gott nicht geben, als wenn wir Mitmenschen schaden. Das ist es, was das Herz Gottes letztlich bewegt. Nicht, wenn wir Bücher oder Gegenstände verbrennen.
DOMRADIO.DE: Jetzt heißt es in den Medien, dass die islamische Welt mit heftigen Protesten reagiert. Was ist denn mit "die islamische Welt" genau gemeint?
Lemmen: Das ist natürlich ein willkommener Fall für politische Kräfte in der islamischen Welt, gerade für den türkischen Staatspräsidenten Erdogan. Dort steht eine Wahl vor der Tür und er nutzt diese Gelegenheit, um damit Wahlkampf und Propaganda zu machen.
Aber es wird damit etwas berührt, was seit der Zeit des Kolonialismus durch die islamische Welt geht, nämlich ein Gefühl der Unterlegenheit, der Missachtung und der Geringschätzung der islamischen Welt durch die westliche Welt.
Solche Ereignisse befördern diese Gefühle in Teilen der islamischen Welt und sind ein willkommenes Fressen für politische Kräfte, die damit ihre Politik machen.
DOMRADIO.DE: In der Vergangenheit hat es solche Koran-Verbrennungen schon öfter gegeben. Welche Reaktionen haben die ausgelöst?
Lemmen: Die haben in der Regel heftige Reaktionen ausgelöst. Man erinnere sich nur daran, als 2012 in Afghanistan bewusst oder unbewusst in einem Militärgefängnis Koran-Ausgaben verbrannt worden sind. Es gab wütende Proteste. 2010 in den USA wollte der Prediger Terry Jones gleich 200 Koran-Exemplare verbrennen. Das hat wütende Reaktionen zur Folge gehabt, wo dann auch politisch eingegriffen wurde.
Das sind keine singulären Fälle, aber man muss sich immer vor Augen halten: Es brennt nicht nur der Koran, es verbrennen auch Bibeln, es verbrennt Literatur. Ich habe schon gesagt, Harry Potter, Orhan Pamuk sind da nur zwei Beispiele. Das sind Zeichen dafür, dass Menschen auch mit Differenz und Andersartigkeit nicht umgehen können.
Um noch mal auf Heine zurückzukommen, in Schweden hat ein rechtsextremer Politiker gehandelt. Das ist natürlich die Gefahr, dass am Ende diese Respektlosigkeit dazu führt, dass auch Menschen Opfer von politischer Gewalt werden.
DOMRADIO.DE: Gibt es Möglichkeiten, die Wogen zu glätten? Welche könnten das sein?
Lemmen: Es findet in Rom derzeit eine interreligiöse Frauenkonferenz statt, zu der Menschen aller Religionen eingeladen worden sind. Der Papst hat dazu eingeladen und da wird gezeigt, wie man weltweit andere Modelle des Miteinanders pflegen kann.
Der interreligiöse Dialog ist die Antwort auf solche Provokationen, dass wir uns tatsächlich bemühen, miteinander gut zurecht zu kommen im Bewusstsein dessen, was wir als Gläubige gemeinsam haben, aber auch im Bewusstsein dessen, was uns unterscheidet. Und Zusammenarbeit ist die Antwort auf solche Provokationen.
DOMRADIO.DE: Wenn da liberalere Muslime noch sagen würden, dass man hier etwas gelassener reagieren könnte, würde das auch helfen?
Lemmen: Diese Stimmen gibt es ja auch. Es gibt ja zum Beispiel auch Stimmen, die gesagt haben, man solle den Koran nicht – so wie die Salafisten das getan haben – in den Straßen so unter die Leute werfen, weil man damit provoziert, dass er weggeschmissen wird. Da gibt es auch Stimmen, die tatsächlich zur Mäßigung und zum Dialog aufrufen und davor warnen, sich auf die Palme bringen zu lassen.
Das Interview führte Dagmar Peters.