DOMRADIO.DE: Der Begriff ist vielleicht manchen noch fremd. Queere Personen sind Menschen, die nicht heterosexuell sind, also zum Beispiel schwul oder lesbisch. Laut einer Statistik sind über sieben Prozent der Menschen in Deutschland queer. Auch diese Menschen wurden im Dritten Reich verfolgt. Inwiefern?
Weihbischof Ludger Schepers (Queer-Beauftragter in der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz): Man hat mit dem Paragraphen 175, der bis 1994 Bestand hatte, das sexuelle Leben als Unzucht verurteilt. Damit wurde es unter Strafe gestellt. Es folgte das Gefängnis - Zuchthaus mit all den Folgen. Denn wenn jemand als vorbestraft galt, bekam er natürlich auch schwer eine Arbeitsstelle und wie wir vielleicht auch nachher in der Gedenkstunde hören werden, sind diese verurteilten Menschen dann auch in Armut verstorben.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche hat sich aus heutiger Sicht, was den Umgang mit queeren Menschen angeht, nicht gerade ruhmreich verhalten. In den 30er-Jahren wäre das, so glaube ich, vielleicht auch gar nicht zu erwarten gewesen. So könnte man zumindest das Schweigen der Kirche rechtfertigen, oder?
Schepers: Man kann das Schweigen so rechtfertigen, aber ich denke das auch angesichts aller anderen Dinge, die da passiert sind, das Schweigen nicht das Richtige war.
Wir haben gerade den Gedenktag des Seligen Nikolaus Groß, der seine Stimme erhoben hat und bewusst die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes kritisiert hat. Dafür ist er ins Gefängnis und sogar in den Tod gegangen. Er hat gesagt: Wir können heute unmöglich schweigen, wir können das nicht vor Gott und vor der nächsten Generation verantworten, wenn wir schweigen.
DOMRADIO.DE: Im Katechismus heißt es unter anderem, dass homosexuelle Handlungen gegen das natürliche Gesetz verstoßen, denn die Weitergabe des Lebens bleibe beim homosexuellen Geschlechtsakt ausgeschlossen. Müssen wir uns nicht mehr an den Katechismus halten?
Schepers: Ich denke, wir müssen uns schon an den Katechismus halten. Aber wir müssen auch da unsere heutigen Erkenntnisse in der Theologie sehen, gerade in der Bibeltheologie, aber auch in den normalen Wissenschaften, dass das nicht mehr so einfach zu sagen ist. Das gilt auch in anderen Bereichen wie in der Frage der Nachkommenschaft, der Sexualität in der Ehe. Wenn da gilt, Sex ist nur in der Ehe erlaubt und anders nicht, stellt sich die Frage, ob wir da heute nicht andere Bewertungen finden und das auch zum Ausdruck bringen. Das hat noch nicht den Niederschlag gefunden im Katechismus, das stimmt.
DOMRADIO.DE: Aber in der katholischen Kirche hat im Prinzip schon ein Umdenken eingesetzt, zum Beispiel durch die Outing-Initiative "Out in Church", die viele Unterstützer auch in ihrem Bistum in Essen hat. Dadurch wurde und wird das bislang strenge katholische Arbeitsrecht angepasst. Aber ohne diese Aufsehen erregende Kampagne hätte sich vermutlich noch nichts getan, oder?
Schepers: Ja, ich denke auch, dass das ein ganz großer Anstoß dafür war, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, welches in der Kirche schon auch bewusst war. Ich möchte aber noch mal daran erinnern, dass gerade in der Frage der Aufarbeitung von Missbrauch in der katholischen Kirche, in der Prävention, in der Prävention in den Schulen, es für mich erstmals in der katholischen Kirche möglich war, generationenübergreifend überhaupt über Sexualität zu reden. Auch das will ich nicht klein reden, dass das ein großer Gewinn war und ist, dass wir das so tun konnten und können.
DOMRADIO.DE: Ein großer Gewinn ist möglicherweise auch der Synodale Weg, der Reformdialog von Laien und Bischöfen. Das hat auch ein Umdenken massiv angeschoben, dass eine homosexuelle Orientierung ethisch nicht anders zu beurteilen ist, als die heterosexuelle Orientierung. Aber wie weit ist das bei Ihren Mitbrüdern angekommen? Vom Konsens sind Sie aber noch weit entfernt, oder?
Schepers: Wieweit es jeweils bei den einzelnen Bischöfen angekommen ist, kann ich nicht sagen, weil es außer in der Synodal-Versammlung zu wenige Gespräche über dieses Thema gibt. Wir tauschen bzw. haben uns darüber zu wenig ausgetauscht. Das ist mein Wunsch, dass das mehr geschieht und dass Geschichten wie die, die wir heute hören werden oder die erzählt werden, uns ein neues Denken auch gerade in diesen Dingen möglich machen, uns dafür sensibel machen.
Das Interview führte Tobias Fricke.