DOMRADIO.DE: Wo genau erreichen wir Sie gerade?
Tobias Müller (Mitglied der katholischen Laiengemeinschaft Sant‘Egidio): Ich befinde mich gerade in Juba, das ist die Hauptstadt des Südsudan. Der Südsudan ist das jüngste Land der Erde; es hat erst 2011 seine Unabhängigkeit vom Sudan erlangt. Es ist auch von der Bevölkerung her ein junges Land. Über 70 Prozent der Menschen sind junge Menschen, die allerdings oft nichts anderes als den Krieg erlebt haben - und das über Jahrzehnte hinweg.
Es gab zunächst einen Krieg zwischen dem Norden und dem marginalisierten Süden des Sudan, und dann - nach der Unabhängigkeit vom Südsudan - ist ein Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Gruppen im Südsudan selbst ausgebrochen, der dazu geführt hat, dass über vier Millionen Menschen auf der Flucht sind, entweder in den Nachbarländern oder intern vertrieben, weshalb sich das Land auch gar nicht richtig entwickeln konnte.
Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen, dass es viele Jugendliche gibt, die eine unglaubliche Kapazität haben, einen Traum und eine Hoffnung für die Zukunft, um ihr Land aufzubauen. Es ist auch ein überwiegend christliches Land und so wird diese Hoffnung auf eine bessere Zukunft gerade auch angesichts des Besuches des Papstes ungemein bestärkt.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt es für die Menschen, dass der Papst zu Ihnen kommt?
Müller: Die Menschen hier sind wirklich euphorisch, was den Papstbesuch angeht. In diesen Tagen haben wir von der Gemeinschaft Sant'Egidio am einer "Youth Peace Pilgrimage" teilgenommen, also einem Friedensmarsch von Jugendlichen, den wir zusammen mit jungen Mitgliedern der zehn verschiedenen christlichen Konfessionen im Land organisiert haben. Es wurde getanzt, gesungen, sich ausgetauscht und gemeinsam für den Frieden unter dem Motto des Papstbesuchs "I pray that all may be one" gebetet.
So kommt auch diesem Besuch des Papstes, der ein ökumenischer Besuch ist, noch einmal eine große Bedeutung zu, da er auch die Realität im Südsudan widerspiegelt.
Bei diesem "Youth Peace Pilgrimage" hat mir eine Jugendliche, eine Studentin der katholischen Universität in Juba, gesagt: "Der Papst wird nicht von heute auf morgen Frieden im Südsudan schaffen können. Doch er bringt den Frieden in mein Herz. Und der Papst ermöglicht mir mit seinem Besuch, in mir Frieden zu schließen und bereit zu sein für Vergebung. Der Besuch erfüllt mein Herz mit Liebe und das schafft Frieden in mir und mit den Menschen, mit denen ich lebe."
Ich denke, dass genau dieser pastorale, spirituelle Besuch im Vordergrund steht.
Dabei muss man gleichzeitig sagen, dass der Besuch auch auf anderer Ebene in Bezug auf den Friedensprozess bereits im Vorfeld ganz konkrete Früchte hervorgebracht hat.
DOMRADIO.DE: Beim Friedensprozess zwischen Regierung und Rebellen sind Sie als Gemeinschaft Sant'Egidio aktiv beteiligt und versuchen zu vermitteln. Wie kann man sich das vorstellen?
Müller: Hierzu muss man wissen, dass der Konflikt im Südsudan kein Konflikt zwischen der Regierung und einer einzigen bewaffneten Gruppe ist. Vielmehr kämpfen im Südsudan viele verschiedene bewaffnete Gruppen. Und so hat der Konflikt auch eine ethnische Dimension angenommen.
Die gute Nachricht ist, dass bereits ein Friedensabkommen existiert, das auch zu einer Reduzierung der Gewalt beigetragen hat. Allerdings gibt es mehrere ganz entscheidende Gruppen, die noch nicht Teil dieses Abkommens sind, sodass es auch weiterhin Kämpfe im Land gibt. Sant'Egidio vermittelt nun zwischen der Regierung und diesen bewaffneten Gruppen, die noch nicht Teil des Friedensabkommens sind, um eine gemeinsame Zukunft, eine gemeinsame Lösung zu finden.
Diese Vermittlung ist eng verbunden mit der großen Zuneigung, die Papst Franziskus den Menschen im Südsudan entgegenbringt. 2019 hat Papst Franziskus die Leader, die Anführer des Südsudan, zu einer spirituellen Einkehr in den Vatikan eingeladen und hat sie darum gebeten, Frieden zu schaffen und untereinander Versöhnung herbeizuführen.
In einer unglaublichen Geste ist er auf diese Leader des Südsudan zugegangen, ist nieder gekniet und hat ihre Füße geküsst. Man muss dazu sagen, das sind auch alles sehr gläubige Menschen, weshalb diese Geste einen großen Eindruck hinterlassen hat. Man kann sagen, dass das ein wenig die Geburtsstunde der "Rome Initiative" von Sant'Egidio für den Frieden im Südsudan war.
Von da an haben wir angefangen, die Vermittlung zwischen der Regierung und den bewaffneten Gruppen voranzubringen.
Es gab immer wieder Schwierigkeiten, auch in der Zeit von Corona, aber auch aus anderen Gründen, sodass die Gespräche seit Ende letzten Jahres unterbrochen waren. Doch jetzt in Bezug auf den Besuch des Papstes, hat sich der Präsident entschieden, offiziell zu verkünden, dass die Gespräche mit den bewaffneten Gruppen wieder fortgesetzt werden können.
So können wir sagen, dass der Besuch des Papstes, bevor er überhaupt gelandet war, eine große Frucht für den Frieden im Südsudan hervorgebracht hat.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie uns die politischen Hintergründe erklärt. Wie sieht das praktisch aus? Mit welchen Aktionen versuchen Sie, den Frieden zu fördern?
Müller: Sant'Egidio ist ein Freund der Menschen des Südsudan, bereits seit den 1990er Jahren, also schon vor der Unabhängigkeit. So reichen auch die Beziehungen zu einigen heutigen Entscheidungsträgern des Südsudan zurück bis in diese Zeit, weshalb es auch ein großes Vertrauen in die Arbeit, die Vermittlung von Sant'Egidio, gibt. Das macht vieles möglich.
Gleichzeitig ist aber eben auch wichtig, dass es nicht nur einen Prozess auf hoher politischer Ebene gibt, sondern dass das Ganze auch bei den Menschen, bei der Bevölkerung, ankommt. Daher arbeiten wir intensiv mit der Zivilgesellschaft zusammen, sodass der Geist des Dialogs, der Initiative von Sant'Egidio, auch unter den Menschen gelebt wird.
Unter anderem arbeiten wir mit dem südsudanesischen Kirchenrat zusammen, der hervorragende Arbeit leistet, aber auch mit Jugendorganisationen wie einer Gruppe, die sich "Ana Taban" nennt, die mit Kunst, mit Musik, mit Wandmalereien, mit Theater, mit Konzerten im Land, die Botschaft des Dialogs, des Friedens und der Versöhnung verbreitet.
Ich habe anfangs auch die "Youth Peace Pilgrimages" erwähnt, also diese Friedensmärsche, die wir mit den Jugendlichen ins Leben gerufen haben. Diese Jugendliche der verschiedenen Ethnien und Konfessionen, die sich vorher noch nie begegnet sind, tauschen sich aus, reden über die Probleme ihres Landes, über ihre gemeinsame Vision für den Frieden. Sie tanzen, singen zusammen, sie beten für den Frieden und sind ermutigt, das Ganze auch weiterzutragen.
Die Idee ist nun, dass sich diese "Youth Peace Pilgrimages" auf das ganze Land ausweiten und die Botschaft des Friedens überall in allen Ecken des Landes verbreiten.
Das sind nur zwei Beispiele von wirklich ganz vielen positiven Dingen, die im Land passieren und die den Friedensprozess, der auf hoher Ebene stattfindet, auch auf lokaler Ebene unglaublich befördern.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt der Besuch von Papst Franziskus?
Müller: Ich sprach zu Beginn von einer Studentin, die meinte, dass der Besuch des Papstes sie dazu bringt, Frieden mit sich selbst und den Menschen um sich herum zu schließen. Ich habe den Eindruck, dass diese Komponente eine große Ausstrahlung, eine ganz große Wirkung hat. Denn das habe ich von vielen Menschen gehört. Der Besuch des Papstes verändert wirklich die Herzen der Menschen.
Das ist auch einer der Grundgedanken von Sant'Egidio. Denn wenn wir die Welt menschlicher machen wollen, müssen wir das Herz jedes einzelnen Menschen verändern, angefangen mit unserem eigenen Herz. Genau das tut der Papst.
Gleichzeitig gibt er den Menschen im Land auch eine große Würde. Sie merken, dass sie nicht vergessen sind, dass jemand an sie denkt. Denn wie viele Menschen im Ausland wissen überhaupt, dass der Südsudan existiert? Wie viele Menschen wissen von dem Bürgerkrieg, von dem Leid der Menschen im Südsudan?
So ist auch die Hoffnung groß, dass dieser Besuch den Fokus auf den Südsudan lenkt.
Meine große Bitte ist: Vergessen wir den Südsudan nicht, wenn der Papst wieder abgereist ist. Beten wir und arbeiten wir weiter für den Frieden in diesem Land und schließen die Menschen wirklich in unser Gebet und in unser Herz ein. Denn das merken die Menschen und das gibt ihnen Hoffnung.
Wir alle wissen: Nur wer eine Hoffnung hat, kann sich auch eine bessere Zukunft, eine Vision für die Zukunft vorstellen, sodass man auch ermutigt ist, auf diese Weise etwas Neues aufzubauen. Das ist die große Hoffnung, die aus dem Besuch des Papstes hervorgeht.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.