Moraltheologe begrüßt Wiedereinführung der Sonntagspflicht

Eine "Pflicht" gegenüber Gott

Die Sonntagspflicht war während der Corona-Pandemie oft aufgehoben worden. Jetzt hat auch das Erzbistum Berlin bekannt gegeben, dass sie bald wieder in Kraft tritt. Peter Schallenberg findet das richtig und liefert eine Erklärung.

Gottesdienstbesucher / © Redaktion93 (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Wie finden Sie das denn, dass das Erzbistum Berlin diese Sonntagspflicht nun wieder einführt?

Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz ( KNA )

Prof. Dr. Peter Schallenberg (Katholischer Sozialwissenschaftler und Moraltheologe): Das finde ich zunächst einmal sehr gut, weil es eine bewährte Erinnerung ist, dass wir eine bestimmte Pflicht gegenüber Gott haben. Man kann natürlich jetzt darüber streiten, ob das noch zeitgemäß ist, von der Sonntagspflicht zu sprechen.

Grundsätzlich will ich unterstreichen, dass ich das gut finde, dass die Kirche ihre Aufgabe wahrnimmt, die Gläubigen daran zu erinnern, dass Gott etwas vom gläubigen Christen erwartet und dass er das Recht hat, etwas erwarten zu dürfen. Und dass der Christ eine Pflicht gegenüber Gott hat, eine Pflicht im weiteren Sinne, so wie man Pflichten in der Freundschaft und in der Ehe hat, ohne dass man deshalb vielleicht allzu leichtfüßig von Pflichten in Ehe und Freundschaft sprechen würde.

DOMRADIO.DE: An diesem Wort Pflicht hängt man so ein bisschen. Denn zum Gottesdienst zu gehen, sollte ja eigentlich ein Vergnügen und eine Wohltat sein. Da ist der Ausdruck der Pflicht vielleicht eher unpassend?

Sonntagspflicht / Sonntagsgebot

Die Sonntagspflicht (auch: Sonntagsgebot) verpflichtet jeden Katholiken, an Sonntagen oder Vorabenden die heilige Messe zu besuchen. Im Gesetzbuch der katholischen Kirche (CIC) heißt es in Canon 1248: "Der Sonntag, an dem das österliche Geheimnis gefeiert wird, ist aus apostolischer Tradition in der ganzen Kirche als der gebotene ursprüngliche Feiertag zu halten." Auch für kirchliche Feiertage wie Weihnachten, Ostern, Allerheiligen sowie weitere gilt diese Regelung.

Kalender auf einem Tisch (shutterstock)

Schallenberg: Ja, genau. Wir Theologen sagen dann gerne, wenn wir einen Ausdruck beibehalten wollen, aber er nicht ganz passt, dass das ein analoger Begriff ist. Man kann aber auch gerne sagen, es ist ein etwas unpassender Begriff, so wie man ja auch in der Ehe früher von ehelichen Pflichten gesprochen hat oder von Pflichten in der Freundschaft spricht und von Pflichten gegenüber Menschen, die man lieb hat. Das sind alles analoge Pflichten.

Pflicht hat man seine Steuern zu zahlen. Das ist im engsten Sinne eine Pflicht im Sinne von Immanuel Kant. Aber Immanuel Kant betont eben auch, dass es Pflichten gegenüber sich selber gibt und Pflichten gegenüber den Mitmenschen. Und er hat auch die Meinung, dass man von einer Pflicht zur Freundschaft und sogar einer Pflicht zur Liebe sprechen kann. Das ist aber dann eben in des Wortes weiterer Bedeutung gemeint.

Jetzt kann man sehr kritisch sagen, je mehr von Pflicht gesprochen wird, desto weniger wird von Liebe und Freiwilligkeit gesprochen. Insofern will die Rede von der Pflicht nur eine zaghafte und behutsame Erinnerung daran sein, dass es mehr gibt als das, was man gerade im Moment als angenehm und nützlich empfindet.

DOMRADIO.DE: Dann wollen wir uns nicht festbeißen an dem Begriff Pflicht. Nennen wir es vielleicht ein Gebot. Aber was für einen Sinn ergibt denn jetzt so ein Gebot, was jetzt wegen Corona ausgesetzt war, was nun in Berlin wieder kommen soll, wenn sich sowieso nur noch 15 Prozent der Katholikinnen und Katholiken daran halten und sonntags den Gottesdienst besuchen?

Schallenberg: Ich verstehe, was Sie meinen, aber ich will doch nochmal um des belebten Dialogs willen etwas dagegen sprechen. Ich will sagen, dass selbst wenn sich nur ein Prozent der Menschheit daran halten würde, den Mitmenschen nicht zu beleidigen, dann würde es ja trotzdem sehr sinnvoll sein, an die Pflicht, die Mitmenschen nicht zu beleidigen, zu erinnern. Insofern ist eine Rede von der Pflicht unabhängig, ob das jetzt 100 Prozent oder ein Prozent tun.

Aber ich weiß, was Sie meinen. Sie meinen, da wir ohnehin in einem Staat leben, der von großer Freiwilligkeit geprägt ist, jedenfalls über die staatliche Gesetzgebung hinaus, im Bereich der Religion und des Glaubens, ist es da sinnvoll von Pflichten zu sprechen? Ja, das gebe ich Ihnen zu. Da würde ich Ihnen Recht geben.

Ich würde vielleicht mehr von der Erinnerung sprechen, also meinethalben von der Sonntagserinnerung oder die Erinnerung daran, dass es eben mehr gibt als nur ausgefüllte Wochentage und dann einen Ausruhtag, sondern dass die Kirche ja gerade als Anwalt Gottes auftritt, als Sprecherin Gottes auftritt, das ist ihre Aufgabe. Und dass sie sagt: Denk doch daran, dass es auch Gott gibt. So wie meine Mama früher sagte: Denk dran, dass du auch noch Tante Hilde besuchen musst.

DOMRADIO.DE: Dann lassen Sie uns doch um des belebten Dialoges willen noch einmal gucken, was denn eigentlich mit den Katholiken passiert, die diese Sonntagspflicht jetzt nicht einhalten können. Sind die sündig?

Eine junge, gläubige Frau in der Kirche (Symbolbild) / © NATNN (shutterstock)
Eine junge, gläubige Frau in der Kirche (Symbolbild) / © NATNN ( shutterstock )

Schallenberg: Na ja, das ist auch ein schönes weiteres weites Feld. Die sind sündig, auch wieder in analoger Bedeutung. Ich würde da nie mit einem Ja antworten, auch wenn das Kirchenrecht sagen würde, es ist objektiv eine Sünde, sonntags die Teilnahme an der Liturgie zu unterlassen.

Was soll das heißen? Es soll heißen, dass uns etwas fehlt. Sünde kann man schön in Verbindung bringen mit einem Abgrund zwischen einem Ufer und einem anderen Ufer, einem Graben, einem Sund, auch wenn die Herkunft des Wortes vielleicht eine andere ist.

Es fehlt uns etwas, wenn wir an Gott nicht denken, wenn wir Gott aus unserem Leben ausschließen, jedenfalls nach Auffassung der Kirche, auch nach meiner Auffassung. Insofern ist es eine Sünde, zu wenig zu trinken, zu wenig zu essen, zu wenig an Freunde zu denken, zu wenig an Gott zu denken. Ob das eine hilfreiche Rede ist, sei dahingestellt. Ich würde auch da wiederum eher positiv sprechen und sagen: Denk doch daran, was dir fehlen könnte, wenn du Gott aus deinem Leben ausschließt. So würde ich eher sprechen und so auch in Bezug auf den Sonntag.

DOMRADIO.DE: Dann lassen Sie uns nochmal von der anderen Seite her gucken. Und zwar kommt es ja auch häufiger vor, dass sonntags immer weniger Gottesdienste angeboten werden, zumindest in der Nähe. Stichwort: Priestermangel. Und manch ältere Person könnte es durchaus auch schwer finden, einen Gottesdienst gut erreichbar zu finden. Wie geht denn das zusammen mit dieser Sonntagspflicht?

Schallenberg: Ganz streng genommen und nach Kirchenrecht gilt die Sonntagspflicht für ein bestimmtes Alter, also für das Alter von der Erstkommunion an bis zu einem Seniorenalter, je nach Bestimmung der Bischofskonferenzen. Das ist natürlich dann schon wieder eine sehr ausgefeilte Kasuistik dahinter und eine ausgefeilte Schematik.

Grundsätzlich ist natürlich jeder entschuldigt, der beispielsweise aus Altersgründen oder aus Krankheitsgründen oder auch – und das ist ein sehr wichtiger Punkt, den wir hier auch unbedingt noch erwähnen müssen – aus Gründen der Werke der Nächstenliebe keine Zeit hat, keine Gelegenheit hat, zur Sonntagsmesse oder zur Liturgie zu gehen.

Insofern ist also zum Beispiel auch jeder entschuldigt und sehr gerecht entschuldigt, der am Sonntag entweder arbeiten muss oder der arbeiten will, freiwillig in einer sozialen Tätigkeit. Und da sagt die Kirche sogar, es ist ein gerechter Grund, dann eben entschuldigt zu sein von der Teilnahme an der Liturgie, obwohl beides – Beten und Nächstenliebe – zusammengehört. Aber auch das ist dann der Entscheidung des Einzelnen noch einmal überlassen.

DOMRADIO.DE: Das heißt, wenn die 85-jährige Frau, die in Berlin und Brandenburg, wo man das Domradio über DABplus empfangen kann, sich dann dort den Gottesdienst, den wir sonntags übertragen, anhört, anstatt selber in die Kirche zu gehen, weil sie nicht kann, weil es zu weit ist, ist der Sonntagspflicht genüge getan?

Schallenberg: Absolut. Das ist ziemlich perfekt in diesem Alter so zu verfahren, besonders wenn es draußen nass, kalt und glatt ist.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Quelle:
DR