Der Typ ist ein Unikat: Er arbeitete schon als Laientheologe in einer Pfarrei, als es das Berufsbild Pastoralreferent noch nicht gab. Er war viele Jahre im baden-württembergischen Gefängniskrankenhaus auf dem Hohenasperg und später Deutschlands erster katholischer Aids-Seelsorger. Petrus Ceelen gehörte zu denen, die immer bereit waren, sich die Hände schmutzig zu machen. Am Samstag wird er 80.
Seit einiger Zeit ist Ceelen schwer an Krebs erkrankt, hat aber die Zuversicht nicht verloren. Er will in die Praxis umsetzen, was die Mitarbeitenden im Hospiz sagen: leben bis zuletzt. Für den Belgier mit der Liebe zu Württemberg heißt das aktuell: Zum Geburtstag zurück in die Heimat fahren, mit Freunden feiern und dabei ein paar belgische Biere trinken: "Ich bin schwerstkrank und doch lebendig."
Nicht zum Zölibat berufen
Eher zufällig kam Ceelen nach Stationen in Speyer, Mainz und Berlin 1971 ins Ländle. Da hatte der studierte Theologe bereits für sich erkannt, dass er sich nicht zum Zölibat berufen fühlte - er schaffte "rechtzeitig vor der Weihe den Absprung", wie er es formuliert. Aber es bedeutete nicht das Ende seiner Idee, mit Menschen arbeiten zu wollen.
Weil er das Gefühl hatte, dass der Hohenasperg nördlich von Stuttgart, in dem später etwa Steffi Grafs Vater Peter inhaftiert war, für ihn "genau der richtige Ort war", blieb er 17 Jahre, sprach fast täglich mit Junkies, Mördern, Vergewaltigern, aber auch mit Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, den beiden Schlüsselfiguren der zweiten Generation der RAF, die nach einem Hungerstreik dorthin verlegt worden waren.
Die konfrontierten ihn damit, dass er in seiner Rolle als kirchlicher Angestellter und Seelsorger im Gefängnis letztlich ein Unterstützer des von ihnen verhassten Systems sei. "Höchst unangenehm" war ihm das, zumal er seine Helferrolle im Knast selbst kritisch sah. Er trug dazu bei, so schreibt er es in einem seiner Bücher, "dass die Vollzugsmaschinerie wie geschmiert läuft".
Kasper ernannte ihn zum Aids-Seelsorger
Irgendwann war es dann genug. Ceelen wollte gehen, sich um Aidskranke kümmern. 1992 hatte er seinen Willen durchgesetzt. Der damalige württembergische Bischof und heutige Kardinal Walter Kasper ernannte den Vater zweier Töchter gegen das Votum der Personalverwaltung zum Aids-Seelsorger in Stuttgart. Und Ceelen konnte seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Widerstände überwinden.
Denn in der Szene war er alles andere als willkommen. Katholisch und Aids - das wurde wie Himmel und Hölle wahrgenommen. Die Kirche galt als die Institution, die den Erkrankten mit einer moralischen Keule begegnete. Hinzu kam, dass HIV-Infizierten medizinisch damals kaum geholfen werden konnte. Ceelen musste viele junge Menschen beerdigen, musste "trösten, wo kein Trost möglich war".
Vertrauen aufgebaut
Doch ihm gelang es, Vertrauen auf- und Vorurteile abzubauen, er schuf Beziehungen. Die Aidshilfe ernannte ihn später zum Ehrenmitglied. Er selbst haderte indes mit seiner Rolle, hatte nach eigenem Bekunden oft ein schlechtes Gewissen, nicht aus der Kirche ausgetreten zu sein. Deren Umgang mit Lesben und Schwulen empfand er als unerträglich. Und auch, dass er sich von einer Institution bezahlen ließ, die den Gebrauch von Kondomen verdammte, bereitete ihm einige schlaflose Nächte.
Zugleich weiß der Mann mit dem grauen Vollbart und den buschigen schwarzen Augenbrauen, dass er genau dieser Kirche sehr viel zu verdanken hat: Sie ermöglichte ihm, sein Verständnis von Christsein zu leben. Durch Papst Franziskus sieht sich Ceelen im Nachhinein bestätigt im Bemühen, an den Rändern zu sein und genau dort zu helfen. Eine Art späte innere Versöhnung mit dem Arbeitgeber: "Was ich anfangs gegen Widerstände gemacht habe - heute sind es offizielle Arbeitsfelder". Ceelen sieht eine "Blickverschiebung".
Jeder Tag ein Unikat
Persönlich hatte er die schon lange vollzogen, zweieinhalb Jahre vor dem Renteneintrittsalter schied er aus. Seine inzwischen verstorbene Frau war krank geworden, und er wollte sich nicht nachsagen lassen, er habe "für alle Zeit, nur nicht für die Lebenspartnerin". In den Jahren danach pendelt der Flame zwischen der Nordseeküste und Schwaben, weil es viele in und um Stuttgart gab und gibt, die von ihm beerdigt werden wollen.
Ceelen weiß, dass auch er "eines Tages in der Kiste" liegt. Bis dahin will er weiter "schon beim Aufstehen jeden Tag in Dankbarkeit annehmen und bewusst leben". Schließlich sei das Leben "ein großes Puzzle" - und auch jeder Tag ein Unikat.