Vier Mal ist im 144-seitigen Koalitionsvertrag der "Ampel" vom Menschenhandel die Rede.
Gegen eine Versklavung von Menschen etwa zur sexuellen Ausbeutung wollen SPD, Grüne und FDP einen Nationalen Aktionsplan erstellen und eine unabhängige Monitoringstelle einrichten. Bei solchen Vorhaben kann sie auf die Unterstützung der Deutschen Bischofskonferenz sowie katholischer Hilfswerke und Verbände rechnen.
Vielfältiges Bild des Menschenhandels
Deutlich wurde dies in der Berliner Katholischen Akademie bei der ersten Fachtagung der "Arbeitsgruppe gegen Menschenhandel", gegründet von der Migrationskommission der Bischofskonferenz. Unter Leitung des Kölner Weihbischofs Ansgar Puff will das Gremium eine Lobby für Betroffene sein und die kooperierenden Akteure vernetzen.
Vertreten sind unter anderen der Deutsche Caritasverband, die Hilfswerke Renovabis und Missio, der Malteser Hilfsdienst sowie die Frauenhilfsorganisationen Solwodi und In Via wie auch die Deutsche Kommission Justitia et Pax, ein Forum international engagierter katholischer Organisationen.
Ihre Vertreterinnen und Vertreter sowie weitere Fachleute zeichneten ein vielfältiges Bild des Menschenhandels. Denn "Tatorte" sind nicht nur das Bordell und der Straßenstrich, sondern auch der Lebensmittel-Discounter oder der Elektronik-Fachmarkt: Nicht nur, wer die Dienste von Prostituierten in Anspruch nimmt, sondern auch, wer Billig-Fleisch oder ein Smartphone kauft, profitiert oft - auch ungewollt - vom Menschenhandel.
Ausbeuterische Arbeitsverhältnisse
Denn in der Regel stehen Zwang oder zumindest ausbeuterische Arbeitsverhältnisse dahinter, wenn Menschen ihren Körper anbieten oder zu Dumping-Löhnen in deutschen Schlachthöfen oder asiatischen Fabriken schuften. Das Problem reicht bis in Privathaushalte, wenn meist ausländische Pflegekräfte zu einer 24-Stunden-Dauerbereitschaft bei Minimalvergütung genötigt werden.
Bereits 2014 hat Papst Franziskus den Kampf gegen solche Formen von Menschenrechtsverstößen zu einer vorrangigen Aufgabe der katholischen Kirche gemacht. Auf seine Initiative gründete sich die Santa-Marta-Gruppe, ein internationales Netzwerk von Bischöfen sowie
Polizei- und weiteren Strafverfolgungsbehörden. Benannt ist es nach dem päpstlichen Wohnsitz, dem Gästehaus Santa Marta im Vatikan.
Konkrete Empfehlungen vorgelegt
Gemeinsam mit diesem Bündnis legte die Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz bereits im vergangenen Jahr konkrete Empfehlungen vor. So plädiert sie für einen Wiedergutmachungsfonds; der soll Opfer aus illegalen Gewinnen von Menschenhandel entschädigen und unterstützen.
Die Erlöse aus solchen Menschenrechtsverletzungen sind enorm, wie Experten bei der Berliner Tagung bestätigten. Nach Schätzungen belaufen sich allein die Gewinne nichtstaatlicher Täter auf jährlich über 150 Milliarden Euro weltweit - mit steigender Tendenz.
Zugleich werden bislang nur wenige Verbrechen auch geahndet. Und die Aufklärung etwa dadurch erschwert, dass Menschenhandel außer durch mafiaähnliche Organisationen immer öfter durch Täterinnen und Täter erfolgt, die voneinander unabhängig Reise oder Arbeitsplatz organisieren und die Opfer untereinander weiterreichen.
Überdies gibt es bei der Strafverfolgung von Menschenhandel viele weitere Hürden. So wird der Schutz der Betroffenen auch wegen des Personalmangels in der Justiz beeinträchtigt sowie dadurch, dass dort anstelle einer zentralen Instanz mehrere Fachbereiche für unterschiedliche Aspekte von Menschenhandel zuständig sind. Überdies beklagen Fachleute unkoordinierte gesetzlichen Regelungen. "Viele Paragrafen sind nicht in der Praxis umsetzbar", kritisierte Christine Höfele, Menschenhandels-Expertin der Berliner Staatsanwaltschaft.
Auch unterschiedliche Zuständigkeiten der Polizei in den Bundesländern bei Menschenhandel erschweren ein abgestimmtes Vorgehen, wie Dennis Sporleder vom Bundeskriminalamt einräumte.
Deshalb sei es umso wichtiger, Möglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen zur Rechtsberatung und weitere Hilfen zu stärken, forderte Margarete Muresan von der katholischen In-Via-Frauenhilfsorganisation.
Kirchen müssen mit gutem Beispiel vorangehen
Die Kirchen seien jedoch nicht nur gefordert, darauf zu drängen, diese Defizite zu beseitigen, betonte Weihbischof Puff. Sie selbst müssten bei Waren und Dienstleistungen mit gutem Beispiel vorangehen und nur solche akzeptieren, bei denen menschenrechtliche Standards eingehalten werden. "Unsere weltweiten Netzwerke können uns dabei eine wichtige Hilfe sein", warb Puff.
Am Rande der Tagung machte die von ihm geleitete Arbeitsgruppe deutlich, dass sie es nicht bei Analysen des Problems belassen will.
Sie legte ein Diskussionspapier vor, das sich auf eine Selbstverpflichtung der "Ampel" bezieht: "Auch Opfer von Menschenhandel sollen ein Aufenthaltsrecht unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft erhalten", hatten SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Das unterstützt die katholische Arbeitsgruppe nachdrücklich.
Nachzugsrecht für die Familien der Opfer
Opfer aus Nicht-EU-Staaten, denen der Ausstieg gelingt, erhielten eine Aufenthaltserlaubnis bisher meist nur unter strengen Bedingungen, kritisierte sie. Dies sei nur dann der Fall, wenn ihre Anwesenheit in einem Strafverfahren als notwendig erachtet wird und sie sich als Zeugen zur Verfügung stellen. Überdies werde die ohnehin kurz bemessene dreimonatige Bedenkzeit, in der die meist traumatisierten Opfer über eine mögliche Aussage entscheiden müssen, oft von Ausländerbehörden nicht gewährt, weil sie am Tatbestand von Menschenhandel zweifeln.
Angesichts dessen dringt die Arbeitsgruppe darauf, die Aufenthaltserlaubnis nicht mehr an die Aussagebereitschaft zu koppeln. Oder im Falle einer Ausreisepflicht sei die Bedenkzeit auf sechs Monate zu verdoppeln. Auch solle es ein Nachzugsrecht für die Familien der Opfer geben, die im Herkunftsland oft von den Tätern bedroht würden. Auch dürften die Opfer nicht in die Staaten abgeschoben werden, in denen sie wieder in die "Fänge" ihrer Ausbeuter geraten könnten, heißt es in dem Papier.