Nach dem Inferno musste ein Schuldiger her. In diesem Fall: die Katholiken. Wohl unter Folter gestand ein zugereister Franzose, ein Uhrmacher, er habe das Feuer im Auftrag des Papstes gelegt. Er starb nach kurzem Prozess am Galgen. Später stellte sich heraus, dass er überhaupt erst zwei Tage nach der Katastrophe in London eingetroffen war.
Der große Stadtbrand von London 1666. Trotz offenkundiger Verstöße der Stadt gegen Brandschutzvorschriften über viele Jahrzehnte wurden die Katholiken als Brandstifter beschuldigt. Tatsächlich begann die Katastrophe nahe dem Themse-Ufer, in einer königlichen Backstube in der Pudding Lane. Offenbar hatte Bäcker Thomas Farynor (lat. farina = Mehl) eine kleine Restglut im Ofen übersehen. Mitten in der Nacht jedenfalls stand seine Stube hell in Flammen. Die Dienstmagd wurde zum ersten Todesopfer.
London an anderer Stelle wieder aufbauen?
Die Bilanz: Binnen fünf Tagen Anfang September wurden 13.200 Gebäude zerstört, darunter 87 Pfarrkirchen und die alte gotische St. Paul's Cathedral. Bis zu 80.000 Bewohner wurden obdachlos; vier Fünftel der mittelalterlichen Stadt waren verbrannt. So groß war das Desaster, dass ein Wiederaufbau Londons an anderer Stelle in Erwägung gezogen wurde. Auch König Charles II. sprach sich zunächst dafür aus. Er befürchtete eine Rebellion der verarmten Opfer.
Zu seinem Generalarchitekten und obersten Stadtplaner ernannte der König 1668 den Mathematiker, Astronomen und Baumeister-Autodidakten Christopher Wren. Dessen Hauptwerk ist die zwischen 1675 und 1710 erbaute neue St. Paul's Cathedral, Sitz der anglikanischen Diözese London. Der monumentale Bau in der "City" gehört - wie schon der gotische Vorgängerbau - zu den größten Bischofskirchen der Welt.
An der Stelle der heutigen Kuppelbasilika, etwa 300 Meter nördlich der Themse, stand wohl schon Londons erste Kathedrale aus dem frühen 7. Jahrhundert. Aufeinander folgende Holzbauten wichen schließlich einer steinernen Bischofskirche, die 1314 fertiggestellt war: 181 Meter lang und unglaubliche 149 Meter hoch. Mit dem Panthersprung des Königs auf Englands Kirchenvermögen unter Heinrich VIII. in den 1530er Jahren setzte dann der Verfall ein; 1561 stürzte durch einen Blitzschlag der Turm ein.
Aufbau ab 1675
Beim Wiederaufbau Londons - und der Kathedrale - hantierte Wren mit einer ganzen Palette von Stilen. Bis zum Startschuss für St. Paul's vergingen allerdings fast neun Jahre. Zunächst plante der Architekt einen riesigen Zentralbau mit einer großen Kuppel auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes. Doch der wurde als zu teuer abgelehnt.
Mehrere überarbeitete Entwürfe fielen ebenfalls durch; erst 1675 gab es das Go: für ein lateinisches Kreuz von 158 Metern Länge als Grundriss und einem großen Vierungsturm. Allerdings gelang es Wren, am Ende doch noch seinen ursprünglichen Kuppelplan durchzusetzen. Die Vierungskuppel erhebt sich heute bis auf 111 Meter Höhe. Die wuchtige Westfassade wurde mit zwei Uhrtürmchen bekrönt.
Neben Westminster Abbey ist St. Paul's Londons bekanntestes Gotteshaus. 1981 heirateten hier Prinz Charles und Lady Diana; und 2002 feierte Königin Elizabeth II. ihr goldenes Thronjubiläum. Vor der Corona-Pandemie wurden 2019 mehr als 1,7 Millionen Besucher in der Kathedrale gezählt.
Zahlreiche Persönlichkeiten in der Krypta
Zum Promi-Faktor, der für jedes Touristen-Highlight wichtig ist, gehören natürlich auch jene bekannten Persönlichkeiten aus der Geistesgeschichte, die in St. Paul's Grabdenkmäler erhalten haben. In der Krypta beigesetzt sind zum Beispiel Admiral Lord Nelson (1758-1805), Gegenspieler Napoleons und Sieger in der Schlacht von Trafalgar; der Star-Landschaftsmaler William Turner (1775-1851); und auch der Architekt der Kirche selbst, Sir Christopher Wren, der vor genau 300 Jahren im hohen Alter von 90 Jahren starb.
Der Dichter John Donne (1572-1631; "No man is an island") lag schon in der alten Kathedrale bestattet; sein Grabmonument wurde aus den Ruinen geborgen und in den Neubau überführt. Kriegs-Premier Winston Churchill (1874-1965) und Florence Nightingale (1820-1910), Reformerin der Gesundheitsfürsorge, haben zwar ein Denkmal in der Krypta, sind aber nicht dort beigesetzt.
Neue Prachtgewänder
Und noch mehr Glamour: Zum 300. Jahrestag ihrer Vollendung erhielt die St. Paul's Cathedral 2010 einen Satz von 200 neuen Prachtgewändern. Für die liturgischen Kleidungsstücke, für die rund 2,5 Kilometer Gold- und Silberfäden, 100 Meter Goldsaum sowie etwa 4.000 Swarovski-Kristalle verwandt wurden, mussten 20 Personen lange stricken beziehungsweise weben: über drei Jahre.
In diesen Jahren übrigens nahm eine ganz besondere Kirchenkarriere ihren Ausgang: Sarah Mullally war damals eine der ersten Frauen-Priesterinnen der Church of England. 2018 wurde die Mutter zweier Kinder und gelernte Krankenpflegerin zur Bischöfin von London ernannt. Damit ist sie seither die ranghöchste Frau in der Geschichte des anglikanischen Klerus im Land, die Nummer drei der Kirchenhierarchie - und Hausherrin von St. Paul's. Anders als der Erbauer trägt sie heute keine Perücke, sondern Mitra.