Anglikanischer Domkapitular sieht Zerreißprobe seiner Kirche

"Lautstarke Diskussionen gibt es bei uns immer"

Steht die anglikanische Kirche vor einer Spaltung? Erzbischof Justin Welby hatte jüngst die Erlaubnis erteilt, homosexuelle Paare zu segnen. Das stößt in Teilen der anglikanischen Welt auf heftigen Widerstand. Auch in Großbritannien?

Anglikanische Bischöfe ziehen zu einem Gottesdienst in die Kathedrale von Canterbury ein (Archiv) / © Sabine Kleyboldt (KNA)
Anglikanische Bischöfe ziehen zu einem Gottesdienst in die Kathedrale von Canterbury ein (Archiv) / © Sabine Kleyboldt ( KNA )

DOMRADIO.DE: Justin Welby, der Erzbischof von Canterbury und Oberhaupt der Anglikaner, hat sich dazu entschieden homosexuelle Paare zu segnen. Das stößt vor allen Dingen im globalen Süden auf Widerstand.

Johannes Arens, Hochschulpfarrer und Domkapitular an der anglikanischen Kathedrale in Leicester (DR)
Johannes Arens, Hochschulpfarrer und Domkapitular an der anglikanischen Kathedrale in Leicester / ( DR )

Johannes Arens (Anglikanischer Domkapitular in Leicester): Das stößt auf massiven Widerstand. Das sind kulturelle Schwierigkeiten. Man muss aber sagen, dass Justin Welby dies nicht persönlich entschieden hat. Vielmehr ist das bei uns ein synodaler Prozess. Da gibt es eine Zweidrittelmehrheit in allen drei Kammern.

Wir haben ein Drei-Kammer-System von Laien, Geistlichen und Bischöfen. Bei wichtigen Fragen müssen alle Kammern zustimmen, teilweise mit Zweidrittelmehrheit, damit man eine möglichst große Einheit hat.

Justin Welby hat das nie persönlich entschieden. Vielmehr ist das ein ganz langwieriger Prozess, der nun so aussieht, dass Priester, Bischöfe und Diakone gleichgeschlechtliche Beziehungen segnen können. Dabei wird ein etwas schwieriger Unterschied zu einer "normalen" Eheschließung hergestellt. Da sind die Grenzen meines Erachtens nicht ganz klar. Aber es gibt demnächst offiziell Partnerschaftssegnungen in der Kirche von England.

DOMRADIO.DE: Was würde es bedeuten, wenn zum Beispiel der Sudan da nicht mitgehen will und sich abspalten möchte? Welche Folgen hätte das?

Johannes Arens (Anglikanischer Domkapitular in Leicester):

"Da ist ihm im Sudan ein eiskalter Wind ins Gesicht gepustet."

Arens: Es hätte erst einmal keine besonders konkreten Folgen. Dann stellt sich auch die Frage, wie heiß das gegessen wird. Da gibt es massive kulturelle Unterschiede. Eine weitere Frage ist auch, wie viel verschiedenes Tempo die Kirche aushält.

Das ist genau dieselbe Frage, die sich auch auf dem Synodalen Weg in Deutschland stellt. Der Papst ist vor ein paar Wochen zusammen mit dem Erzbischof von Canterbury in den Sudan geflogen und hat vorher eine sehr milde Äußerung gemacht, nämlich dass seines Erachtens gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht vom staatlichen Strafrecht betroffen werden sollten. Das ist keine besonders radikale Aussage.

Justin Welby / © Beresford Hodge (dpa)
Justin Welby / © Beresford Hodge ( dpa )

Da ist ihm im Sudan ein eiskalter Wind ins Gesicht gepustet, weil das kulturell dort vollkommen anders ist. Das ist im Strafrecht dort verankert. Teilweise steht in afrikanischen Ländern auf homosexuelle Beziehungen die Todesstrafe. Es wird von den Kirchen jedweder Konfession je nachdem auch immer wieder nach Verschärfung gefragt.

Der kulturelle Zusammenhang ist also komplett anders. Es ist auch relativ kompliziert, gerade weil das so ist. Da spielen verschiedene Dinge mit rein.

Teilweise ist das eine Gegenreaktion zur westlichen Bevormundung, dass afrikanische Christen sagen, man habe sie jahrhundertelang bevormundet und man habe ihnen nicht zu sagen, wie man ihre Kultur ändern solle, was meines Erachtens eine Berechtigung hat.

Johannes Arens (Anglikanischer Domkapitular in Leicester):

"Da gibt es eine lautstarke Minderheit hauptsächlich aus dem evangelikalen Zirkel."

DOMRADIO.DE: Wie sieht es in Großbritannien aus? Gibt es da auch viele Gegenstimmen gegen die Segnung homosexueller Partnerschaften?

Arens: Ja, die gibt es. Da gibt es eine lautstarke Minderheit hauptsächlich aus dem evangelikalen Zirkel, für die das überhaupt nicht vorstellbar ist. Es reicht nicht, dass die diese Segnung nicht vollziehen müssen. Die Regeln sagen, dass diejenigen, die das tun wollen, das auch dürfen. Aber die Einschränkung geht denen nicht weit genug.

Das heißt, was hier in den nächsten Monaten und Jahren passiert, ist meines Erachtens nicht wirklich abzusehen. In meinem Bistum in Leicester gibt es einige Pfarreien und einige Pfarrer, die sich massiv querstellen und die bei diesem Thema große Sorgen haben und sagen, sie würden das niemals tun.

DOMRADIO.DE: Wie nah steht die anglikanische Kirche denn vor einer Spaltung? Lässt sich das in irgendeiner Form vorhersagen?

Arens: Meines Erachtens nicht. Diese lautstarken Diskussionen gibt es bei uns immer. Sie gibt es auch in jedem Bereich. Ob da eine offizielle Spaltung kommt, weiß ich nicht. Wie sich das äußern würde und ob sich Gemeinden aus dem Bistumsverband herauslösen und sich einer anderen Kirche unterstellen, kann ich nicht absehen. Gedroht haben die damit natürlich. Aber ob das dann passiert, ist ganz schwer zu sagen.

Das ist exakt die gleiche Frage, die sich im Moment in Deutschland stellt. Wenn der Synodale Weg freie Hand hätte, dann würden die wahrscheinlich eine ganz ähnliche Entscheidung treffen, nämlich dass gleichgeschlechtliche Beziehungen neu bewertet werden müssen, weil es da, wo Liebe hinfällt, nach Gott riecht, sage ich mal.

Mehr sagt das ja nicht aus, als dass das was zum Feiern und zum Freuen ist. Damit hat Rom ein Riesenproblem und bremst massiv.

Aber der deutsche Synodale Weg würde sich ganz ähnlich entscheiden. Auch da gibt es massive kulturelle Unterschiede und unterschiedliche Geschwindigkeiten. Die Frage ist, wie viel Verschiedenheit man aushält, ohne miteinander die Freundschaft oder die Tischgemeinschaft in dem Sinne zu brechen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Anglikanische Kirche

Die anglikanische Kirche entstand zur Zeit der Reformation in England. König Heinrich VIII. brach 1533 mit dem Papst, weil dieser sich weigerte, die Ehe des Königs zu annullieren. Als Oberhaupt einer neuen Staatskirche setzte sich Heinrich VIII. 1534 selbst ein. In Glaubensfragen blieben die Anglikaner zunächst bei der katholischen Lehre; später setzten sich protestantische Einflüsse durch. 1549 erschien das erste anglikanische Glaubensbuch, das «Book of Common Prayer».

Die Kathedrale von Canterbury, Sitz des anglikanischen Erzbischofs / © Sambraus, Daniel (epd)
Die Kathedrale von Canterbury, Sitz des anglikanischen Erzbischofs / © Sambraus, Daniel ( epd )
Quelle:
DR