75 Jahre Arbeitsgemeinschaft der Kirchen

"Ökumene ist nie eine Einbahnstraße"

Für die Ökumene in Deutschland ist die vor 75 Jahren gegründete "Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen" heute eine wichtige Adresse. Zum Jubiläum ziehen der Vorsitzende und die Geschäftsführerin Bilanz.

Erzpriester Radu Constantin Miron / © Julia Steinbrecht (KNA)
Erzpriester Radu Constantin Miron / © Julia Steinbrecht ( KNA )

 

KNA: Die ACK wird 75 - erreicht sie damit gleichsam eine Altersgrenze, oder ist sie auch noch für jüngere Menschen attraktiv?

Radu Constantin Miron (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen / ACK): 75 ist ein respektables Alter, und zu einer Zeit, in der viele Vereine und Organisationen schlapp machen, sind wir immer noch jung und dynamisch und versprechen, das auch für die nächsten 75 Jahre zu bleiben.

Verena Hammes (Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen / ACK)

"Wenn es die ACK nicht gäbe, müsste man sie erfinden."

KNA: Am Anfang war die ACK stark von der EKD dominiert, dann seit den 1970er Jahren von den, wie es oft heißt, "beiden großen Kirchen". Und in letzter Zeit ist verstärkt von der multilateralen Ökumene die Rede. Wo steht die ACK heute?

Miron: Das Spannende ist ja das Gründungsjahr 1948 - das Jahr, in dem auch der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) gegründet wurde. In einer Krisenzeit nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Zusammenbruch, besinnt man sich auf die Gemeinsamkeiten. Heute sind wir ja auch in einer Krise, aber in einer anderen, in einer Sinnkrise und einer Kirchenkrise. Die Notwendigkeit einer Besinnung auf das, was uns gemeinsam ist, ist genauso vorhanden wie vor 75 Jahren, selbst wenn die äußeren Bedingungen anders sind.

Verena Hammes (Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen / ACK): Wenn es die ACK nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Sie ist das einzige Gremium, in der fast alle Kirchen in Deutschland auf den unterschiedlichen Ebenen zusammenarbeiten - auf der Bundesebene, auf Landesebene und auf der Stadtebene; und sie bringt Menschen sehr verlässlich miteinander ins Gespräch und zusammen.

Das ist so etwas wie der "Unique Selling Point" der ACK, immer in dieser Breite und in dieser Vielfalt zu denken, eben nicht nur einzelne Kirchen in den Blick zu nehmen.

KNA: Findet die ACK mit Ihnen als erstem orthodoxen Vorsitzenden bei der katholischen und evangelischen Kirche genauso Gehör mit ihren Anliegen wie vorher, als ein evangelischer oder katholischer Bischof Vorsitzender war, der in den Konferenzen Mitglied war?

Miron: Die ACK legt seit jeher Wert darauf, dass im Vorstand oder im Vorsitz jemand ist, der Entscheidungsträger seiner Kirche ist, und das ist so geblieben. Wir sind dankbar, dass sowohl die EKD als auch die Deutsche Bischofskonferenz Mitglieder ihres höchsten Leitungsgremiums im Vorstand der ACK haben. Unsere Kommunikationswege sind, Gott sei Dank, kurz.

Radu Constantin Miron (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen / ACK)

"Alle müssen mit ans Ziel kommen, und deswegen beschreibt dieses Unterwegs-Sein sehr schön unsere Aufgabe"

KNA: Oft wird beklagt, dass es den verschiedenen Kirchen an einer gemeinsamen Vorstellung vom Ziel der Ökumene fehlt. Welches Bild von der Einheit der Christen hat die ACK?

Miron: Wir halten es da mit dem alten Spruch: Der Weg ist das Ziel. Ökumene ist ein Prozess und hat immer etwas von einer gemeinsamen Wanderschaft, wo es die Fußkranken und die Schnellen gibt, die Hastigen und auch manchmal die Bremser. Alle müssen mit ans Ziel kommen, und deswegen beschreibt dieses Unterwegs-Sein sehr schön unsere Aufgabe, gemeinsam zu pilgern und natürlich auch uns klar zu werden, was denn das Ziel ist: vom kleinsten gemeinsamen Nenner, der gemeinsamen Sozialstation über die gemeinsamen Feiern von Gottesdiensten, das gemeinsame Abendmahl bis hin zur vollen Einheit der einen Kirche Jesu Christi.

Hammes: Mir ist in den letzten Jahren immer mehr das Wort "Vertrauen" wertvoll geworden, also dass wir uns vertrauen, dass wir alle das gleiche Ziel haben, dass wir alle Glieder an einem Leib sind, dass wir - wie es die Einheitserklärung der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen sagt - auf dem Weg der "Ökumene des Herzens" sind. Zu überwinden ist das Misstrauen, dass der andere mir etwas Böses will, dass er mir etwas wegnimmt, dass ich etwas abgeben muss, um ökumenisch zu sein. Ökumene des Vertrauens statt Ökumene des Argwohns. Wir können nur in der Vielfalt die Kirche Jesu Christi abbilden.

KNA: In Deutschland ist in den vergangenen Jahren die orthodoxe Kirche am stärksten gewachsen, nicht erst seit dem Zuzug von einer Million Flüchtlingen aus der Ukraine. Sie bringen damit auch die innerorthodoxen Konflikte mit. Wie wirkt sich das auf die Arbeit der ACK aus?

Miron: Neben meiner Funktion als Vorsitzender der ACK bin ich auch Beauftragter für innerchristliche Beziehungen der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD). Das bedeutet zum einen, die ökumenische Landschaft in Deutschland, die für viele Hinzukommende etwas Neues ist, und auch die ökumenische Selbstverständlichkeit, mit der vieles hier passiert, in die orthodoxen Gemeinden zu tragen; und umgekehrt, die orthodoxen Christinnen und Christen hier angemessen zu vertreten und zu beteiligen. Ökumene ist nie eine Einbahnstraße, sondern eine Bewegung in zwei Richtungen.

Dass wir in der orthodoxen Kirche zur Zeit Schwierigkeiten haben, ist bekannt. Andererseits lerne ich durch die Ökumene auch, dass wir offensichtlich nicht die einzige Kirche sind, die intern mit Schwierigkeiten befasst ist. Vielleicht ist das ja auch das Los von Kirche, immer wieder zu ringen um die Einheit und das gemeinsame Verständnis. Ich glaube, da sitzen wir alle in einem ähnlichen Boot.

KNA: Was heißt das konkret zum Beispiel für die Mitarbeit der russischen orthodoxen Kirche? Sie hat sich ja bei der OBKD zumindest auf der offiziellen Ebene zurückzogen - gibt es eine Zusammenarbeit mit der ACK auf regionaler oder Bundesebene?

Miron: Auf Bundesebene ist die russische orthodoxe Kirche mit ihren Diözesen in Deutschland Mitglied über die OBKD, daran hat sich nichts geändert, selbst wenn die persönliche Teilnahme an Sitzungen zur Zeit ruht. Auf regionaler Ebene sind üblicherweise - wie bei der katholischen oder evangelischen Kirche - die Diözesen Mitglied. Und da gibt es durchaus weiterhin auch die aktive Mitarbeit unserer russisch-orthodoxen Geschwister. Regional ist das unterschiedlich, das hängt aber eher an den Personen beziehungsweise an den Verpflichtungen, die sie haben, und nicht an einer prinzipiellen Ablehnung. Dass der Diskurs mit der Kirche des Patriarchats Moskau in diesen Zeiten des Krieges und der Aggression und der Unwahrheit nicht einfach ist, ist eine Binsenweisheit.

KNA: Die ACK hatte 2021 und dann verlängert bis 2022 zum "Jahr der Ökumene" ausgerufen wegen des Ökumenischen Kirchentags und der Vollversammlung des ÖRK. Hat dieses "Jahr der Ökumene" erbracht, was sie sich davon versprochen haben?

Miron: Das "Jahr der Ökumene" war wie die Ökumene immer für Überraschungen gut und immer vielfältig. Ökumene ist ja etwas, was zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten unterschiedlich passiert. Neben dem laufenden Geschäft war das "Jahr der Ökumene" in seiner Vielfältigkeit ein Erfolg. Und wir sind eigentlich traurig, dass wir nicht jedes Jahr zum "Jahr der Ökumene" erklären können, sonst nutzt sich dieser schöne Titel ab.

Das Interview führte Norbert Zonker.

Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK)

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) ist das wichtigste ökumenische Gremium in Deutschland. Zu ihr gehören 17 Kirchen und Gemeinschaften. Acht weitere haben einen Gast- und fünf einen Beobachterstatus. Als Ziel gilt die Überwindung der Spaltungen der Christenheit.

Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Münster (ACK Münster)
Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Münster / ( ACK Münster )
Quelle:
KNA