Theologe lobt Franziskus für christlich-islamischen Dialog

"Zunehmende Bedeutung wahrgenommen"

Im Jahr 2019 haben sich Großscheich Al-Tayyeb und Papst Franziskus in Abu Dhabi getroffen. Ein Meilenstein des christlich-islamischen Dialogs, auch wegen der Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung, findet Dogmatiker Dirk Ansorge.

Ahmad al-Tayyeb, Großscheich der al-Azhar-Universität, und Papst Franziskus umarmen sich am 28. April 2017 in Kairo / © Paul Haring (KNA)
Ahmad al-Tayyeb, Großscheich der al-Azhar-Universität, und Papst Franziskus umarmen sich am 28. April 2017 in Kairo / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben Großscheich Al-Tayyeb mit einer internationalen Delegation in Kairo getroffen. Wie kommt denn so ein Besuch bei einer so hohen islamischen Persönlichkeit zustande?

Prof. Dr. Dirk Ansorge (Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt): Seit vielen Jahren engagiere ich mich im christlich-islamischen Dialog. Das geht auf meine Zeit während des Studiums in Jerusalem zurück. Dort hatte ich enge Verbindungen auch mit Muslimen und es sind auch auf akademischer Ebene verschiedene Netzwerke entstanden, die versuchen, die Forschungen zu koordinieren.

Professor Dirk Ansorge, Vorsitzender des Katholisch-Theologischen Fakultätentages, Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in St. Georgen / © Johannes Schröer (DR)
Professor Dirk Ansorge, Vorsitzender des Katholisch-Theologischen Fakultätentages, Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in St. Georgen / © Johannes Schröer ( DR )

Eines dieser Netzwerke ist in Lyon lokalisiert und heißt PLURIEL. Dort werden seit einigen Jahren internationale Tagungen veranstaltet. Die vierte Tagung dieses PLURIEL-Netzwerkes soll nun anlässlich der Unterzeichnung des Schreibens über die menschliche Geschwisterlichkeit durch Großscheich Al-Tayyeb und Papst Franziskus bei ihrem Treffen 2019 in Abu Dhabi im Februar 2024 ebenfalls dort stattfinden.

Wir haben uns, um diese Tagung vorzubereiten, am Forschungsinstitut der Dominikaner in Kairo getroffen. Und wo wir schon in Kairo waren, lag es nah, den Großscheich zu besuchen. Der Leiter dieses Forschungsinstituts, der Dominikaner Emanuel Pisani, hat das Treffen dann möglich gemacht.

DOMRADIO.DE: Spricht man da über theologische Fragen oder eher über persönliche Dinge? Wie muss man sich so ein Treffen vorstellen? Wie ist es abgelaufen?

Ansorge: Es geht natürlich um Einschätzungen der allgemeinen Situation der Gesellschaft und der Rolle der Religion in der Gesellschaft. Mit Blick auf die Thematik des vorzubereitenden Kongresses auch um das Verhältnis von Christentum und Islam.

Der Großscheich hat einige seiner Einschätzungen vor- und zur Debatte gestellt. Zum Beispiel seine eher skeptische Haltung zu den Entwicklungen der Säkularisierung. Dort sieht er mit dem Christentum ein gemeinsames Ziel, die religiöse Dimension des menschlichen Lebens wieder zur Geltung zu bringen.

DOMRADIO.DE: Religionsfreiheit ist in muslimisch geprägten Ländern nicht überall gegeben. Können Sie im Rahmen solcher akademisch geprägten Gespräche auch kritische Punkte wie die Rolle der Christen in muslimischen Ländern ansprechen?

Prof. Dr. Dirk Ansorge (vierter von rechts) hat mit einer internationalen Delegation in Kairo den Großscheich At-Tayyeb (im dunkle Gewand halb links) in seiner Residenz besucht.  (privat)
Prof. Dr. Dirk Ansorge (vierter von rechts) hat mit einer internationalen Delegation in Kairo den Großscheich At-Tayyeb (im dunkle Gewand halb links) in seiner Residenz besucht. / ( privat )

Ansorge: Das kann man schon ansprechen. Der Großscheich hat in diesem Gespräch eine große Offenheit für diese Themen signalisiert. Das Thema ist auch in dem vom Großscheich und Papst Franziskus unterzeichneten Dokument thematisiert worden. Zumindest die vom Großscheich offiziell vertretene Haltung läuft darauf hinaus, dass religiöse Menschen ihre jeweilige Überzeugung praktizieren und leben dürfen.

Es gibt inzwischen in den Vereinigten Emiraten Gotteshäuser und sogar ein gemeinsames Zentrum der abrahamitischen Religionen.

Dass diese Freiheit nicht unbedingt auf Menschen ausgeweitet wird, die gar nicht an Gott glauben, wie Atheisten, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Das würden wir aus unserer Perspektive natürlich anfragen. Dem Großscheich und vielleicht auch dem Papst geht es zunächst um Menschen, die religiöse Überzeugungen haben und diese auch leben wollen.

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus ist jetzt zehn Jahre im Amt. Wie sehen Sie seine Rolle im christlich-islamischen Dialog? Hat er etwas bewegen können?

Ansorge: Ich denke schon. Er hat sich bei verschiedenen Besuchen im Nahen und Mittleren Osten immer wieder auch mit Vertretern des Islams getroffen und sie haben ihn im Vatikan besucht. Da kann man in diesen zehn Jahren eine Entwicklung beim Papst feststellen. Wir sprechen immerhin über die beiden größten Weltreligionen.

Er hat zunehmend die Bedeutung des christlich-islamischen Dialoges wahrgenommen und er versucht ein Einvernehmen zu erzielen. Etwa durch Forschungsinstitute, die zu einzelnen Themen arbeiten; oder über Bildungseinrichtungen, die diese Dokumente aufgreifen, um damit ein tieferes Verständnis der beiden Weltreligionen herbeizuführen.

Letztendlich geht es darum, dass die oft durch die Religion legitimierte Gewalt überwunden wird und ein friedvolles Miteinander möglich wird. Das wird schon im Titel der gemeinsamen Erklärung im Wort der Geschwisterlichkeit deutlich.

DOMRADIO.DE: Sie planen zu dem Dokument im nächsten Jahr eine internationale Tagung in Abu Dhabi. Wie wird die aussehen?

Ansorge: Die soll einen wissenschaftlichen Charakter haben. Dafür haben wir in Kairo aus über 80 Vorschlägen 33 Vorträge ausgesucht. Wir wollen einzelne Aspekte des Textes, auch kritische, diskutieren. Zum Beispiel die Rolle der Frauen.

Im Dokument heißt es, dass Frauen ihre Rechte zugebilligt werden sollen. Wir fragen uns: Was ist mit dieser Formulierung gemeint? Meint "ihre Rechte" auch gleiche Rechte? Welche Stellung haben Frauen in den islamischen Gesellschaften, aber auch nach christlichem Verständnis? Das wäre ein Thema, das dort eine Rolle spielen soll.

Das Interview führte Mathias Peter.

Wichtige Stationen aus zehn Jahren Papst Franziskus

Franziskus ist der erste Papst der Kirchengeschichte aus Lateinamerika. Seine Wahl löste vor zehn Jahren weltweit einen regelrechten Papst-Hype aus. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zeichnet die zentralen Stationen seiner bisherigen Amtszeit nach:

2013

Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR