DOMRADIO.DE: Für Eltern, Lehrkräfte und Schülerschaft ist der Fall der Liebfrauenschule sehr emotional. Können Sie verstehen, dass da so viel Wut und Enttäuschung im Spiel ist?
Dr. Wolfgang Picken (Bonner Stadtdechant): Ja, das ist natürlich nachvollziehbar. Das ist vielleicht für manche von außen erstaunlich, aber die Identifikation der gesamten Schulgemeinde mit der Schule ist extrem hoch. Die Nachricht kam für Eltern und Schülerinnen völlig unerwartet und vielleicht auch etwas unglücklich, wenig begründet und zunächst über einen Brief, sodass man entsetzt und empört war.
In der gegenwärtigen kirchlichen Stimmung und Atmosphäre ist es sowieso eine schwierige Botschaft, die man übermitteln muss, dass Kirche eine Schule aufgibt. Gerade da, wo sie einen besonderen Akzent auf die zukünftige Generation legen muss und vielleicht auch historisch große Fehler durch den Missbrauchsskandal an Kindern und Jugendlichen gemacht hat.
Das passt wenig zusammen und führt zu einer riesigen Welle der Aufregung, der Wut der Enttäuschung in der Stadt, aber auch - und da wird man jetzt sehen müssen, wie sich das weiterentwickelt - zu einer großen Solidarisierung.
DOMRADIO.DE: Von Eltern heißt es, dass den Kindern an katholischen Schulen der Glaube näher gebracht wird und sie so auch an die Kirche gebunden werden können. Ist das für das Erzbistum denn gar kein Argument?
Picken: Ich glaube schon, dass das Erzbistum das als Argument erkennt. Die Problematik ist, dass die Erzdiözese das immer an den Erstanmeldungen festmacht. Das sind relativ wenige, glaube ich, nur 34 oder 35 Schülerinnen, die sich direkt an der Liebfrauenschule angemeldet haben.
Daraus liest das Bistum, dass das primäre Interesse an einer katholischen Schule nicht in der Intensität gegeben ist. Aber es wird vielleicht unterschätzt, dass die vielen, die sich dann doch im zweiten Schritt an der Schule anmelden, diese katholische Schule auch als eine Möglichkeit nutzen, neu mit Kirche und Glaube in Berührung zu kommen.
Jedenfalls war das bei Schülerinnen und Eltern sehr deutlich zu erkennen, dass das ein wichtiges Motiv ist und auch eine deutliche Prägung, die man von dieser Schule erwartet und auch mitgenommen hat.
Das wird als großer Wert angesehen. Das ist für Kirche eigentlich gut, dass wir feststellen: Unser Bildungsauftrag wird positiv, auch unterschiedlich zu anderen Schulen, von den Eltern wahrgenommen.
DOMRADIO.DE: Es gibt Kritik der Eltern, dass das Erzbistum nicht gut mit ihnen kommuniziert hat. Die lief zunächst über einen Brief. Bonns Oberbürgermeisterin Dörner hat den Kölner Kardinal Woelki in einem Brief gebeten, die Schule zu erhalten. Gibt es denn Hoffnung, dass das Kölner Erzbistum seine Entscheidung noch mal überdenkt?
Picken: Das ist schwer zu sagen. Ich durchschaue diese strukturellen Probleme nicht hinreichend. Das ist ja auch das Problem der Eltern. Es gibt nicht wirklich überprüfbare Informationen, die es Dritten auch möglich machen zu sagen: Nein, das ist keine willkürliche, sondern vielleicht auch wirklich eine begründete Entscheidung.
Wichtig ist jetzt zunächst einmal, dass das Defizit an Information ausgeglichen wird. Dafür wird es Konsultationsgespräche geben, in denen das Bistum zum einen deutlich macht: Was hat dazu geführt, dass man die Schule schließen will? Und zum anderen: Hat man Alternativen erwogen und wenn ja, welche? Und warum hat man sie dann verworfen?
Erst wenn diese Zahlen, Daten und Fakten auf dem Tisch liegen, wird man sich auch als Außenstehender ein Urteil bilden können und dann auch eine Prognose wagen. Jedenfalls ist es jetzt erst mal für die Elternschaft, für die Schülerinnen und auch für die Lehrer ein ganz wichtiges Signal, dass man zunächst einmal zu Gesprächen bereit ist. Was sich daraus ergibt, ist noch völlig offen.
DOMRADIO.DE: Diese Konsultationsgespräche, diesen Prozess haben Sie angestoßen. Sie haben gesagt, das ist noch offen. Wie könnte denn eine Lösung aussehen? Hätten Sie da eine Idee?
Picken: Wie gesagt, von außen will ich da nichts zu sagen, weil ich denke, das ist wirklich eine sehr fachliche Frage. Die entsprechende Abteilung "Schule und Hochschule" im Generalvikariat hat das ja über Jahre offensichtlich bearbeitet und auch entsprechende Argumente, die sie vortragen muss. Und da die mir auch nicht im Detail zugänglich sind, will ich nicht vorschnell etwas in den Raum stellen.
Ich persönlich glaube aber, eines ist wichtig: Dass wir nicht nur die Schule separat betrachten. Sie ist hier in der Innenstadt von Bonn ein ganz wichtiger Katalysator für die Glaubenssituation auch in den Kirchengemeinden. Viele aktive Familien der verschiedenen Pfarreien aus der Innenstadt haben dort ihre Mädchen auf der Schule. Das prägt, das fördert das Engagement.
Von daher ist das nicht nur auf die Schule allein betrachtet zu reduzieren, sondern man muss sich auch die Frage stellen: Welche pastoralen Impulse setzt man oder setzt man nicht mehr, wenn man in der Innenstadt diese Schule schließt? Auch das muss eingepreist werden in solche Überlegungen.
Ich als Stadtdechant würde sagen: Was natürlich unter keinen Umständen sein kann, ist, dass wir zum einen hier mit der Schulschließung einen pastoralen Flächenbrand haben, dass enttäuschte Familien sich aus Kirche zusätzlich zurückziehen.
Zum anderen gibt es gegenwärtig keine wirkliche Alternative, wie denn beispielsweise Jugendpastoral geschehen kann. Diese Schule ist ein ganz entscheidender Ort für junge Leute. Wie könnte der kompensiert werden, wenn denn Schule als ein solcher kirchlicher Raum ausfällt?
Alle diese Fragen sind auch mit den Gemeinden hier im Umfeld nicht beleuchtet worden. Und die muss natürlich in einer Gesamtstrategie ein Erzbistum auch hinreichend mit berücksichtigen.
Das Interview führte Katharina Geiger.