Warum muss die Bonner Liebfrauenschule schließen?

Keine leichtfertige Entscheidung

Die Nachricht, dass die erzbischöfliche Liebfrauenschule in Bonn 2029 geschlossen werden soll, hat Lehrer, Eltern und Kinder erschüttert, aber auch überrumpelt. Die Entscheidung steht jedoch fest. Wie geht es nun weiter?

Schülerin macht Hausaufgaben / © Pixabay (Pexels)
Schülerin macht Hausaufgaben / © Pixabay ( Pexels )

DOMRADIO.DE: Sind die Schülerinnen und Lehrerinnen mit dieser Nachricht der Schließung ihrer Schule überrumpelt worden?

Dr. Bernadette Schwarz-Boenneke / © privat (privat)
Dr. Bernadette Schwarz-Boenneke / © privat ( privat )

Bernadette Schwarz-Boenneke (Leiterin der Hauptabteilung Schule/Hochschule im Erzbistum Köln): Das ist eine wichtige Frage, für die ich sehr dankbar bin. Wir haben schon seit vielen Jahren zusammen mit der Schule, das heißt mit den dort verantwortlichen Schulleiterinnen, beobachtet, wie die Schule sich entwickelt. In dieser Zeit fanden Beratungen mit den Schulleiterinnen, der Bezirksregierung und dem Schulamt statt. Wir haben auch immer wieder Gespräche mit den Lehrerinnen und Lehrern und mit dem Lehrerrat geführt, weil allen klar war - und sich in den letzten Jahren abgezeichnet hat - dass sich hier etwas verändern muss.

Wenn jetzt bei den Schülerinnen und bei den Lehrern und Lehrerinnen der gerade in der Petition (Eine Petition gegen die Schließung wurde im Internet gestartet, Anm. d. Red.) beschriebene Eindruck da ist, dann kann ich das sehr gut nachvollziehen.

Nach all diesen Beratungsprozessen und Gesprächen, nach dem Ringen und Suchen, wie die Schule besser, stärker zukunftsfähig aufgestellt werden kann, kommt jetzt die Nachricht, dass wir hier die Schließung für den 31. Juli 2029 planen und dass wir das heute schon bekannt geben, damit die Kinder, die Eltern und die Lehrer eine Planungsfähigkeit haben. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass sich die Lehrerinnen, Schülerinnen, aber auch die Eltern, die da gestern auch sehr klar ihre Stimme erhoben haben, sich überrumpelt fühlen.

DOMRADIO.DE: Auch der Bonner Stadtdechant Wolfgang Picken hat öffentlich kritisiert, die Schulgemeinde sei nicht hinreichend in die Beratung mit einbezogen worden. Eine frühzeitige Einbindung wäre nötig gewesen. Was sagen Sie dazu?

Schwarz-Boenneke: Auch da noch mal: Die Eltern, mit denen ich gestern Abend lange zusammensaß und die auch sehr eindrücklich ihre Verärgerung, ihre Wut, ihre Trauer, ihr Kämpfen, ihren Einsatz und damit ja auch ihre Liebe und die Leidenschaft für die Schule zum Ausdruck gebracht haben, die haben uns sehr klar gespiegelt, dass sie die Erwartung hatten, früher einbezogen zu werden.

Wir haben uns, das muss ich sicher konzedieren, daran gehalten, die professionelle Beratung durchzuführen, wie ich sie gerade geschildert habe. Die Eltern, das haben sie gestern sehr deutlich gesagt, hätten sich gewünscht, dass sie wir sie mit der Realität der Schule früher konfrontieren. Deshalb haben wir ja auch gestern einen hoffentlich konstruktiven Ansatz gefunden, um den Eltern und der Schulgemeinschaft insgesamt die Chance zu geben, die Situation der Schule noch mal viel besser nachzuvollziehen und durchdringen zu können.

DOMRADIO.DE: Jetzt hat der Bonner Dechant einen Konsultationsprozess angeregt, die Faktenlage noch einmal zu prüfen und nach Alternativen zu suchen. Wie stehen Sie dazu?

Schwarz-Boenneke: Ja, er hat diese Idee eingebracht und damit in einer sehr konfrontativen Situation die Möglichkeit gegeben, aus der Emotion raus zu kommen und noch mal besser hinzuhören und besser miteinander zu sprechen. Das ist der Auftrag, den die AG sich jetzt erst mal gegeben hat, die dann auch nach den Osterferien beginnen soll. Ich finde, jetzt sollten auch die Schule und wir die Chance bekommen, tatsächlich noch mal genauer hinzuschauen, die Daten, die Fakten wahrzunehmen und dann auch miteinander ins Reden zu kommen. Besser als bisher.

DOMRADIO.DE: Die Schulkonferenz im April, mit der der Entscheidungsprozess offiziell abgeschlossen werden sollte, ist jetzt aber abgesagt. Ist also doch alles wieder offen?

Schwarz-Boenneke: Angesichts der verständlich hochemotionalen Situation gestern habe ich die Entscheidung getroffen, das Datum für die Schulkonferenz, die auf den 18. April terminiert war, abzusagen. Sie findet an dem Tag nicht statt. Damit habe ich auch ganz klar gesagt, dass die Entscheidungen, die die Gremien hier im Erzbistum Köln getroffen haben, nach Beratung mit der Bezirksregierung und dem Schulamt, gefallen sind.

Erzbistum Köln

Das Erzbistum Köln zählt zu den bedeutendsten Diözesen in Deutschland. Mit rund 1,9 Millionen Katholiken hat es die meisten Mitglieder, gefolgt von Münster, Freiburg und Rottenburg-Stuttgart (je rund 1,8 Millionen). Das Vermögen liegt bei rund 3,8 Milliarden Euro. Damit liegt Köln auf Platz drei hinter Paderborn (7,15 Milliarden Euro) und München-Freising (6,1 Milliarden Euro).

Blick auf den Kölner Dom / © saiko3p (shutterstock)

Der formale Prozess ist dadurch aber jetzt nicht abgeschlossen. Ich möchte der Schule in einem noch klar zu definierenden Zeitraum die Möglichkeit geben, dass wir hier auch noch mal sehr klar sehen, wie die Faktenlage ist. Dass wir darstellen, welche Konzepte wir zur Rettung der Schule durchgespielt und geprüft hatten. Und gleichzeitig möchte ich den Eltern die Chance geben, sich tatsächlich für die Schule einzusetzen. Das ist ein ernsthaftes Anliegen. Deshalb haben wir den Termin an dem Tag aufgehoben.

DOMRADIO.DE: Sie haben gestern miterlebt, wie die Schülerinnen und Lehrerinnen mit viel Herzblut für den Erhalt ihrer Schule demonstriert haben. Wie war das denn für Sie?

Schwarz-Boenneke: Sie haben zu Recht gesagt, dass ich die ganze Zeit in der Schule war, weil ich gestern und auch vorgestern diese Nachricht an verschiedene Gruppen gebracht habe: An die Lehrerinnen, die Schülerinnen und die Eltern. Wie war das für mich? Das ist schwer, weil keinem von uns ein derartiger Schritt und eine derartige Entscheidung leichtfällt.

Zu sehen, was dann aufbricht und ausbricht an Liebe zu der Schule, an Verbundenheit mit der Schule, an Wir-Gefühl, wie es ja auch das Motto der Schule ist, ist bemerkenswert. Auch dass die rund 500 Schülerinnen  egal welchen Alters sich zu Wort melden und von jetzt auf gleich eine Demonstration starten, die sowohl im Fernsehen als auch in der Zeitung zu sehen ist, berührt unglaublich. Das lässt keinen kalt. Das macht auch deutlich, wie sehr diese Schule für das "Wir", um das es geht, steht. Das zeigt auch, dass es in den letzten 100 Jahren gelungen ist, hier richtig gut Schule zu machen.

DOMRADIO.DE: Warum muss dann diese Schule geschlossen werden?

Schwarz-Boenneke: Wenn es dafür eine eindeutige Antwort gäbe, dann hätten wir es alle wahrscheinlich irgendwie leichter. Wenn man sagen könnte: Nur die Zahlen oder nur die Fläche in der Innenstadtlage oder nur das Profil der Schule oder nur die Gesamtsituation mit den anderen Gymnasien, mit der Gesamtschulentwicklung in Bonn sind der Grund. Wenn ich schon so ansetze, dann macht es das Dilemma deutlich, in dem wir sind und es macht auch die Komplexität noch mal klar.

Wir haben hier verschiedene Faktoren, die zusammenspielen. Das sind die Fragen der Schülerinnenentwicklung. Und hier interessieren uns als Träger die Schülerinnen, die proaktiv von sich aus sagen: Wir wollen diese Schule. Die sind seit Jahren leider sehr niedrig und sinkend. Wir haben als Träger auch immer wieder Schulentwicklungsplanungen durch externe Institutionen vorzunehmen. Die zeigen uns, dass die Zahlen nicht besser werden. Dann kommt der Raum dazu, und und und.

Das führt dazu, dass es letztlich immer ein Abwägen von Konsequenzen und Faktoren ist, die fragen: Schafft es die Schule an diesem Standort aus eigener Kraft, sei es durch eine pädagogische Transformation, durch bauliche Veränderungen, wieder stark zu werden, sodass wir auch von einer veritablen Zukunftsfähigkeit sprechen? Das ist die zentrale Frage.

Das haben wir nach dem langen Beratungsprozess, den wir vollzogen haben, nicht mehr gesehen. Da ist es unsere Verantwortung, das dann auch zu sehen, damit wir eine starke Schullandschaft im Erzbistum Köln haben.

DOMRADIO.DE: Für viele stellt sich sofort die Frage nach dem Geld. Viele denken, das Erzbistum habe doch so viel Geld. Es hat allein im vergangenen Jahr einen Überschuss von über 80 Millionen Euro erwirtschaftet. Warum dann so eine Schulschließung? Geld ist doch genug da.

Schwarz-Boenneke: Das Argument liegt auf der Hand: Geld ist genug da, nehmen Sie doch einfach mehr Geld in die Hand, kaufen Sie zum Beispiel noch ein Schulgebäude dazu und und und. Das sind genau die Argumente oder die Fragen, die uns entgegengebracht werden.

Wenn es nur eine Geldfrage wäre, dann müssten wir sicher auch noch mal bei anderen Standorten, die wir als erzbischöfliche Schulen haben, genauer hinschauen. Hier ist es das Zusammenspiel von baulichen Entwicklungsmöglichkeiten, die aufgrund von Statik auf einem sehr engen Raum innerhalb dieser Stadtlage sind, von den Zahlenentwicklungen der Erstanmelderinnen und dann auch der Blick auf die Gesamtkonkurrenzsituationen in der Stadt entscheidend.

DOMRADIO.DE: Wenn wir noch mal bei den Anmeldezahlen bleiben. Da sind gerade unterschiedliche Zahlen im Umlauf. Einmal ist die Rede von 39 Anmeldungen, dann von 54. Was stimmt?

Schwarz-Boenneke: Ich kann nachvollziehen, dass das total verwirrt und dass uns da auch vorgeworfen wird, wir würden hier einfach nur die Zahlen nehmen, die uns passen. Deshalb bin ich froh, wenn ich das noch mal ein bisschen darlegen kann. Also: Die 39, das sind die Schülerinnen, die sich proaktiv für die Schule für das kommende Schuljahr 23/24 entschieden haben.

Warum ist die Zahl für uns wichtig? Weil es eben die Schülerinnen sind, bei denen die Eltern und die Schülerinnen selber sagen, das sei ihre erste Wahl. Das sind die 39. Diese Zahl ist in den letzten Jahren auf einem niedrigen und auch sinkenden Niveau gewesen.

Die 54, die zweite Zahl, die im Raum steht, ist der aktuelle Anmeldestand. Der ergibt sich dadurch, dass Eltern, die an anderen Erstwahlschulen keinen Platz bekommen haben, jetzt sagen: Okay, dann schauen wir uns doch mal die Liebfrauenschule an. Dadurch kommen die 54 zustande. Die Irritation ergibt sich aus diesen zwei Blickrichtungen, der Gesamtsumme und den Zahlen, die wir als Träger immer wieder angucken müssen, weil die uns etwas über die Angebotsfähigkeit der Schule in diesen Rahmenbedingungen sagt, die sie hat.

Mir ist es wichtig, klar zu machen, dass wir hier äußere Faktoren haben, die der Schule aus eigener Kraft heraus kaum eine Transformation möglich machen. Die niedrigen Anmeldezahlen spielen da eine wichtige Rolle.

DOMRADIO.DE: Die Schule ist eine reine Mädchenschule. Wäre es nicht eine ganz einfache Möglichkeit, die Schule für Jungen zu öffnen, um die Anmeldezahlen zu steigern?

Schwarz-Boenneke: Wir haben in den letzten Jahren, in diesen ganzen Beratungs- und Sondierungsgesprächen, verschiedene Konzepte mit den Architekten, mit den Genehmigungsbehörden durchgedacht und geprüft. Da gehört zum Beispiel eine koedukative Schule dazu, also Jungen und Mädchen. Da gehört auch zum Beispiel die Frage einer Gesamtschule dazu. Wir haben auch noch ganz andere Ideen gewälzt, wie zum Beispiel eine Kombination von einem beruflichen Gymnasium und dem allgemeinbildenden Gymnasium.

All diese Konzepte, die auch wirklich eine Chance für die Schule sein sollten, sich zu verändern und stärker zu werden, haben entweder aus gebäudetechnischen Gründen nicht gepasst, weil die Fläche, die eine Schule braucht, an Verkehrsflächen, Klassenräumen und Außenflächen nicht hinreichend ist und deshalb auch nicht genehmigungsfähig ist, oder weil eine Schulform, wie sie angedacht war, keine Genehmigung findet.

Mir ist in dem gestrigen Gespräch mit den Eltern sehr deutlich geworden, dass aktuell die Situation nicht so ist, dass man uns das einfach so auf Hörensagen hin glaubt. Deshalb haben wir auch mit den Eltern vereinbart, dass wir ihnen noch mal sehr klar mit Bezug auf die Prüfungen, die wir vorgenommen haben, darlegen: Was haben wir geprüft? Wer hat was dazu gesagt? Damit auch gesehen wird, dass wir hier nicht leichtfertig irgendeine Entscheidung getroffen haben.

DOMRADIO.DE: Die Schule soll 2029 schließen. Was passiert denn jetzt mit den Schülerinnen, die jetzt eingeschult werden?

Schwarz-Boenneke: 2029 haben wir ganz bewusst gewählt. Wir haben in den letzten Jahren auch immer wieder gesehen, was ist, wenn Schulträger von heute auf morgen, heißt in dem Fall innerhalb von einem oder zwei Jahren, eine Schule schließen. Da bricht etwas los, was wir nicht wollen. Nämlich dass Lehrer einfach nur komplett unkontrolliert abwandern, weil sie einfach Sorge um ihren Arbeitsplatz haben.

Wir haben 2029 gewählt, damit die Schülerinnen, die jetzt ab Klasse sieben in der Schule sind, dort ihr Abitur machen werden und ihre Schullaufbahn abschließen können.

Mit den Klassen fünf und sechs und mit der neuen Eingangsklasse möchten wir jetzt schon dahingehend arbeiten, dass Kontakte geknüpft werden. Sei es in die Kooperationsschulen, die die Liebefrauenschule unter den erzbischöflichen Schulen hat oder in die anderen erzbischöflichen Schulen. Das ist unser Ansinnen, unsere Intention, die vor allem im Blick hat, dass die Eltern, die Lehrer und die Schülerinnen jetzt eine Planungssicherheit haben.

Wir wollen damit dem Vorwurf begegnen, einfach Freundschaften oder Bindungen zu stören. Und zugleich - auch da merken Sie die Gespräche und die Prägungen der vergangenen Tage - sehe ich sehr wohl, dass das jetzt erst mal für die Schule nur heißt: Ihr zerstört das alles.

Wenn wir da auf eine Sachebene kommen wollen, brauchen wir andere Gesprächsformate und dazu haben wir uns gestern einvernehmlich auch bereit erklärt.

Bernadette Schwarz-Boenneke

"Und wäre es nicht schade, wenn da nicht gekämpft werden würde?"

DOMRADIO.DE: Die Schulgemeinde will den Kampf nicht aufgeben. Die wollen ihre Schule retten. Wie gehen Sie vom Erzbistum damit um?

Schwarz-Boenneke: Meine ganz spontane und impulsive Antwort folgende: Dass die Schule, dass die Lehrerinnen und Schülerinnen für ihre Schule kämpfen, zeigt uns doch nur, dass hier von verschiedenen Menschen verdammt viel richtig gemacht wurde. Und wäre es nicht schade, wenn dafür nicht gekämpft werden würde?

Mir wäre es nur wichtig, dass wir bei all diesem Kampf miteinander im Gespräch sind und auch ernsthaft wahrnehmen, wer welche Interessen hat. Ich bin dankbar dafür, dass sowohl die Schülerinnen gestern als auch die Eltern die Bereitschaft hatten.

Ich will dafür mitarbeiten, dass wir auf dieser konstruktiven Ebene unterwegs sind. Die Faktenlage ist, wie ich sie sehe. Und die will ich aber gerne auch in dem jetzt begonnenen Prozess noch mal darlegen.

Das Interview führte Hilde Regeniter

Quelle:
DR