DOMRADIO.DE: Fünf Tage in Nürnberg mit einem vollen Programm. Wie groß ist Ihre Vorfreude?
Thomas De Maizière (Präsident des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg und ehemaliger Bundeminister): Riesig groß! Natürlich bin ich ein bisschen aufgeregt, weil ich als Präsident natürlich auch Verantwortung trage. Aber ich freue mich sehr und die Losung "Jetzt ist die Zeit" trifft wirklich den Nagel auf den Kopf. Denn wir leben in besonderen Zeiten, und das wollen wir auch zum Ausdruck bringen.
DOMRADIO.DE: Das ist der erste Evangelische Kirchentag seit der Corona-Pandemie. 2021 gab es einen ökumenischen, der war aber sehr digital. Ist da jetzt mit weniger Besuchern zu rechnen?
De Maizière: Das wissen wir noch nicht. Vor allen Dingen entscheiden sich die Menschen später zu solchen Veranstaltungen zu kommen. Nürnberg ist top vorbereitet, eine großartig gastgebende Stadt, sie ist auch von der Stadtarchitektur bis hin zu der Messe sehr gut geeignet. Wir werden sehen, wie es kommt. Sicher werden wir nicht an die früheren Zahlen vor Corona herankommen. Aber wir freuen uns über jeden und jede, der und die kommt.
DOMRADIO.DE: Die Teilnahme abgesagt hat unter anderem schon Margot Käßmann. Wie finden Sie das?
De Maizière: Margot Käßmann war eingeladen zu einem der zentralen Foren, ein Hauptforum über die Frage der christlichen Friedensethik, also unter welchen Bedingungen ist überhaupt der Gebrauch von Waffen erlaubt? Das führt mitten in die Frage der Waffenlieferungen und vieles andere mehr. Dort wird zum ersten Mal seit Jahrzehnten der oberste Soldat der Bundeswehr diskutieren. Sie sollte die zentrale pazifistische Gegenthese vertreten in einem sehr herausgehobenen Streitgespräch, dazu war sie eingeladen. Das hat sie abgesagt, das bedauere ich.
DOMRADIO.DE: Gucken wir noch mal auf das Stichwort Ökumene. Bei den aktuellen Kirchenaustrittszahlen, wäre es da nicht an der Zeit, die Kirchentage grundsätzlich zusammenzulegen?
De Maizière: Zunächst freuen wir uns, dass wir große ökumenische Akzente setzen, nicht nur durch einen gemeinsamen Gottesdienst, sondern Bischof Bätzing wird eine Bibelarbeit machen. Auch meine Kollegin Irme Stetter-Karp wird eine Bibelarbeit machen. Bei vielen Teilnehmenden, auch auf den Podien, gucken wir gar nicht wer evangelisch und katholisch ist. Das ist eine sehr gute Zusammenarbeit. Übrigens helfen sich auch die Geschäftsstellen gegenseitig aus. Das ist auch eine wunderbar ökumenische Zusammenarbeit.
Was die Frage im engeren Sinne angeht, dazu haben wir ein Gesprächsformat vereinbart mit dem Präsidium des Kirchentages und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Wir haben drei Projektideen im Kopf und werden im Herbst darüber beraten, wie es weitergeht. Wir sind uns der Verantwortung wohl bewusst, gleichzeitig auch der Tradition von Kirchentag und Katholikentag. Ich denke, wir werden Ende des Jahres, vielleicht Anfang nächsten Jahres, vielleicht eine gute Lösung präsentieren.
DOMRADIO.DE: Sie sagen egal ob evangelisch oder katholisch, aber gerade die katholische Kirche befindet sich gerade sozusagen in schwierigem Fahrwasser. Wie guckt die evangelische Kirche auf diese Krise?
De Maizière: Mit Sorge und Sympathie. Mit Sorge deswegen, weil das natürlich ein objektiv schwieriges Thema ist, klar. Diese Vergangenheitsaufarbeitung, was das Thema Missbrauch angeht, ist zentral. Der synodale Prozess ist mit großen Hoffnungen verbunden, die nicht so leicht sind, wegen der Haltung des Vatikan und einiger. Aber da sind wir voller Sympathie, was dort an Kraft, an Laienkraft entsteht in der katholischen Kirche.
Mit Sorge, dass die Selbstbeschäftigung der katholischen Kirche mit sich selbst davon ablenkt, dass sie die Stimme der Christen, der katholischen, der evangelischen, der freikirchlichen, der orthodoxen für zentrale Zukunftsfragen brauchen. Wir können nicht an Kirchen dran schreiben "Wegen Umbauarbeiten geschlossen", sondern wir brauchen die wichtige Kraft der Geistlichen und der Laien aus der katholischen Kirche für die Zeitfragen, die anstehen. Deswegen bin ich etwas besorgt, ein bisschen auch, was unsere Kirche angeht, aber auch, was die katholische Kirche angeht, dass die Selbstbeschäftigung und die Konzentration auf die Organisation von Schrumpfungsprozessen, das, worauf es eigentlich ankommt in dieser Gesellschaft, dass das zu kurz kommt.
DOMRADIO.DE: Dass vielleicht auch die Relevanz der Kirchen noch weiter schwindet in Deutschland?
De Maizière: Wenn man sich mit sich selber beschäftigt, verliert man an Reichweite, wie man das nennt. Dann verliert man an Relevanz. Und die Relevanz bemisst sich nicht an der Frage, ob wir gerade mal etwas über oder unter der Hälfte der Bevölkerung in Deutschland sind, sondern die Relevanz bemisst sich daran, was wir zu sagen haben. Wir haben ein großes Forum, da freue ich mich, das heißt, "Was gibt uns Halt?". Da geht es genau um das, was eigentlich wirklich zählt, wenn es um die christliche Botschaft geht. Das sind nicht Strukturfragen und Organisationsfragen und Institutionskrisenfragen, sondern es geht um unsere Botschaft und was sie heute bedeutet.
DOMRADIO.DE: Auch Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz haben sich angekündigt. Welche politische Tragweite hat der Kirchentag heute noch?
De Maizière: Das weiß man meistens erst hinterher. Wir versuchen - ein großes Wort, sage ich jetzt - eine Zeitendeutung hinzubekommen. Dass wir gemeinsam, natürlich nicht nur der Präsident und das Präsidium, sondern alle, die da sind, dass wir uns fragen, in welchen besonderen Zeiten leben wir? Was macht das aus und wie können wir die Zukunft gestalten?
Deswegen sind die Auftritte des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers, des bayerischen Ministerpräsidenten, von Herrn Merz, von Frau Baerbock und anderen, die werden anders sein als klassische Reden im Bundestag oder Talkshows. Die Atmosphäre eines Kirchentages zwingt alle, respektvoll und grundsätzlich miteinander umzugehen. Das ist eine Riesenchance, die es sonst kaum gibt. Wir glauben schon, dass wir eines der größten zivilgesellschaftlichen Ereignisse sind. Das wollen wir versuchen einzulösen, auch als Beitrag zu einer klugen und respektvollen Debatte in unserem Land.
Das Interview führte Elena Hong.