DOMRADIO.DE: In Deutschland wird alle paar Monate eine neue Studie über Missbrauch in der Kirche veröffentlicht. Die Aufklärung in Baltimore ist aber anders gelaufen. Was ist in diesem Fall genau passiert?
Klaus Prömpers (Journalist und Kenner der Kirche in den USA): Der Generalstaatsanwalt von Maryland hat über vier Jahre ermittelt und umfangreiche Zeugeneinvernahmen gemacht, tausende Seiten Dokumente gesichtet, er hat Opfer befragt und er hat jetzt einen insgesamt 463 Seiten starken Bericht vorgelegt.
Dieser besagt, dass in dem Zeitraum der letzten 80 Jahre etwa 600 Kinder von 150 Mitgliedern des Klerus, einschließlich Nonnen und Angestellten der Erzdiözese Baltimore, missbraucht worden sind.
156 Bischöfe, Priester, Diakone, Nonnen und andere kirchliche Angestellte haben das vertuscht. Diese werden dort teilweise namentlich aufgeführt und dort stehen 43 neue Namen im Bericht, die bisher noch nicht öffentlich bekannt sind und 13 von denen leben auch noch.
Dass weiter und umfassend aufgeklärt wird, gibt vor allen Dingen den Opfern Hoffnung. Zumal der Generalstaatsanwalt Frosh gesagt hat, er fürchte, dass mit noch mehr Opfern in der Folge dieser Veröffentlichung zu rechnen ist.
DOMRADIO.DE: Was ist das Besondere an dieser Aufklärung?
Prömpers: Es geht Schritt für Schritt voran. Die Kirche hat hier nicht nur in der Aufklärung im Verbund mit dem Generalstaatsanwalt kooperiert und ihre Akten geöffnet, hat sich transparent gemacht, sondern sie hat eben auch Unterstützung für die Opfer signalisiert.
Und der Erzbischof von Baltimore, William Lori, hat aktuell kurz vor Ostern gesagt, es sei beschämend, was da zu Tage getreten worden sei, und man müsse nun daran arbeiten, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfahre und dass so etwas in der Zukunft wirklich ausgeschlossen sei.
Das, glaube ich, gibt den Betroffenen, soweit man das lesen kann auf den Webseiten der Betroffenenverbände Hoffnung, dass hier mehr geschieht und dass wirklich umfassend aufgeklärt wird.
Denn bisher war es keineswegs so, dass in allen amerikanischen Diözesen wirklich genau hingeschaut wurde, was in den letzten Jahrzehnten wirklich passiert ist und wer in welcher Weise in der Vergangenheit vertuscht hat.
DOMRADIO.DE: Was kann die katholische Kirche in Deutschland von dieser US-Aufklärung lernen?
Prömpers: Eine noch stärkere Kooperation der ein oder anderen Diözese mit den staatlichen Institutionen, als wir es bisher teilweise schon praktizieren.
Verfügbare Beweise auch Polizei und Staatsanwaltschaft zugänglich zu machen um dann nachsehen zu können, was tatsächlich in welchem Umfang passiert ist.
Durch die Untersuchungen in der Vergangenheit haben wir in Deutschland eine ungefähre Vorstellung davon. Aber nicht in jeder Diözese ist vollumfänglich klar, was in der Vergangenheit passiert und was in der Vergangenheit vertuscht worden ist. Häufig genug lautete die Devise: Wir wollen den Schaden von der Kirche abwenden und lieber etwas unter den Teppich kehren.
Das sollte nicht mehr passieren. Die Kirche in den USA ist mit großer Offenheit auf dem Weg dahin. Deswegen kann es tatsächlich auch so etabliert werden, dass in der Zukunft weitere Fälle so weit wie möglich ausgeschlossen werden können.
Das Interview führte Tim Helssen.