DOMRADIO.DE: "Der Mensch liegt in größter Not" – so haben Sie einen Liederabend in Köln überschrieben, der Ihnen ein Herzensanliegen ist. Welche Not meinen Sie, und um was genau geht es Ihnen?
Theresa Klose (Sopranistin): Dieses Zitat stammt aus Gustav Mahlers Lied "Urlicht" und beschreibt die aktuelle Lage der Menschheit für uns sehr zutreffend.
Mit 27 Jahren gehören wir einer Generation an, die die Folgen des Klimawandels in ihrer ganzen Bandbreite erleben wird und irgendwie auch damit umgehen muss. Selbst wenn wir uns seit vielen Jahren mit wissenschaftlichen Studien und Prognosen zu diesem Thema auseinandersetzen, erleben wir alle schon längst Auswirkungen des von Menschen gemachten Klimawandels: nicht nur weit weg von unserem Alltag, sondern auch in unserer unmittelbaren Umgebung.
Extremwetterereignisse wie die Flut im Ahrtal, Zerstörung der Ökosysteme, schwindende Landschaften und die Angst um eine sichere Zukunft bestimmen schon jetzt unser Leben.
In unserem musikalischen Programm verbinden wir Kunstlieder mit dem Thema Klimawandel. Mit Musik und Poesie, aber auch der Benennung wissenschaftlicher Analysen wollen wir die Aufmerksamkeit auf die Dringlichkeit des Klima- und Umweltschutzes lenken und zum Nachdenken anregen, also auf diese Weise sehr bewusst einen Diskussionsbeitrag liefern. Wir sind überzeugt: Kunst kann die Lücke zwischen abstrakten Szenarien und emotionaler Erlebbarkeit schließen.
DOMRADIO.DE: Hinter Ihrem Konzertauftritt verbirgt sich ein demnach gut durchdachtes Konzept. Können Sie das näher erläutern?
Nico Köhs (Pianist): Meine Wahrnehmung ist, dass man Menschen viel besser zum Handeln motiviert, wenn sie emotional angesprochen werden. Wir bauen in unseren Liederabend immer wieder auch kleinere Moderationen ein, bei denen wir uns innerhalb dieser doch inzwischen aufgeregten Debatte sehr gezielt auf objektiv belegbare Fakten zum Klimawandel und seinen verheerenden Auswirkungen stützen.
Und wir zeigen auf, dass sich daraus ganz klar ein Handlungsauftrag ergibt, so dass aus scheinbar Abstraktem konkrete Aufgabenstellungen an uns alle erwachsen. Und das versuchen wir, durch Musik zu emotionalisieren. Meine Erfahrung: In die Aktion zu kommen, zu handeln hilft gegen die Ohnmacht.
Denn Umweltkatastrophen, wie sie sich zum Beispiel regelmäßig in Kalifornien mit großer Dürre und massiven Waldbränden abspielen, wo unzählige Hektar Land abbrennen, oder in den mediterranen Ländern, wo es zunehmend Verteilungskämpfe ums Wasser gibt, weil die Flüsse und Seen austrocknen, haben ein großes Frustrationspotenzial. Von daher tut mir persönlich gut, nicht nur tatenloser Beobachter zu sein, sondern mich zu engagieren.
DOMRADIO.DE: Sie beide sind Musiker und setzen auf die Macht der Kunst, sagen Sie. Glauben Sie, dass sich Ihre Zuhörer, sprich die Gesellschaft, oder auch Politiker von einem solchen – sagen wir mal – "sanften" Auftritt beeindrucken lassen? Braucht es dafür nicht lautere Töne?
Klose: Das eine schließt ja das andere nicht aus. Seit 2019 gehen auch wir bei "Fridays for Future" mit und beteiligen uns an den großen globalen Klimastreiks von Greta Thunberg.
Zuletzt waren wir in Lützerath mit dabei und sind in einem friedlichen Protestzug durch ein völlig verlassenes Dorf mitgelaufen, wohlgemerkt ohne Polizeisperren einzureißen. Das riesige Ausmaß des Tagebaus, dem ganze Ortschaften zum Opfer gefallen sind, ist uns da erst aufgegangen. Von daher versuche ich, mich für mehr Umweltschutz zu engagieren.
Wenn man so will, ist das, was wir tun, musikalischer Umweltaktivismus. Wir wollen Menschen mit unserer Musik berühren und gleichzeitig für diese Thematik sensibilisieren, die uns alle etwas angeht – zumal wir die Generation repräsentieren, die am glaubwürdigsten zeigen kann, was das Thema mit ihr macht. Ein Austausch im Anschluss mit dem Publikum ist von daher auch bewusst Teil des Konzeptes.
Wir müssen diese Gespräche über unsere Verantwortung im Umgang mit den bestehenden Ressourcen unbedingt führen – und zwar jetzt und jeder auf seine Weise. Es geht um nichts Geringeres als darum, unsere Lebensgrundlagen zu bewahren.
Köhs: In meiner Familie wurde immer schon viel über den CO2-Ausstoß und fossile Energien diskutiert. Bei "Fridays for Future" habe ich dann meine Sorgen vertreten gesehen. Daran angelehnt habe ich vor drei Jahren das "Ensemble for Future" ins Leben gerufen, mit dem ich a-cappella-Vokalmusik zur Klima- und Umweltkrise aufführe. Hier habe ich die Möglichkeit, meinen Beruf als Dirigent und Pianist mit Umweltaktivismus zu verbinden.
Eigentlich müsste das ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein, in allen Lebensbereichen auf die Klimaentwicklungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte aufmerksam zu machen. Von daher gilt das natürlich auch für die klassische Musik, selbst wenn sie gemeinhin immer als unpolitisch dargestellt wird.
Aber Kunst hat für mich auch die Aufgabe, gesellschaftliche Prozesse zu reflektieren. Und was die lauten Töne angeht – die Wissenschaft kommt nun mal per se ruhiger oder, wenn Sie so wollen, leiser daher – wir können auch anders. Warten Sie’s ab, wenn es bei unserem Liederabend im zweiten Teil um "Naturgewalt" geht.
Das ist richtig kraftvolle aufwühlende Musik. Die Gefahr besteht doch viel mehr darin, dass "laute Töne" – um im Bild zu bleiben – oft eine komplexe Debatte vereinfachen und damit ein Problem auch verkürzen.
DOMRADIO.DE: Apropos: Wie stehen Sie zu den Forderungen der "Letzten Generation", die gerade an diesem Wochenende mit ihren Protesten halb Berlin lahm legen und sich mit ihren Sitzblockaden und Klebeaktionen medienwirksam, aber eben auch nicht unumstritten Gehör verschaffen will?
Köhs: Inhaltlich bin ich ganz auf deren Seite. Schließlich gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, weil sich die Politik bei der Klimathematik nicht an die eigenen Gesetze hält. Also fühlen sich diese Aktivisten zu ihren Protesten genötigt, da nicht genügend passiert.
Man muss sich mal klar machen – unabhängig davon, ob man Sitzblockaden und diese Klebeaktionen gut findet oder ablehnt – dass die Schäden, die von der Klimakrise hervorgerufen werden, im Verhältnis um ein Vielfaches größer sind als die einer solchen Protestaktion. Allein für die Flut im Ahrtal stehen über 40 Milliarden für Wiederaufbau bzw. Prävention im Raum. Oder nehmen wir eine Dürre – das ist doch immer noch das viel größere Übel im Vergleich zu solchen Demonstrationen.
Eine riesige Kohlgrube zerstört eine ganze Landschaft und radiert mehrere Dörfer einfach aus. Das ist doch ein hoher Preis, den wir da bezahlen. Andererseits: Die Art des Protestes, wie ihn die "Letzte Generation" äußert, ist meine Sache nicht und schadet m. E. eher anderen Protestformen. Für uns ist es der Weg über die Musik, mit dem wir unsere Generationenverantwortung zum Ausdruck bringen wollen. Schließlich geht es darum, die Erde als unseren Lebensraum so weiterzugeben, wie wir ihn übernommen haben.
Klose: Leitend ist für uns ein Wort aus dem Psalm 119, das es auch als Kirchenlied gibt: Ich bin nur Gast auf Erden… Ein solches Selbstverständnis lehrt Bescheidenheit, Verantwortung und Respekt. Es ist schade, dass Umweltaktivismus durch die große mediale Aufmerksamkeit auf die "Letzte Generation" oft auf das Festkleben an Straßen und Gegenständen reduziert wird.
Tatsache ist doch: Am Ende verfolgen wir alle dasselbe Ziel: So oder so zeigt jeder auf seine Weise, dass unser Alltag, wie wir ihn momentan leben, nicht wirklich im eigenen Interesse sein kann.
DOMRADIO.DE: Nach welchen Kriterien haben Sie das Programm für Ihr Konzert am 10. Mai in der Aula des Kardinal-Höffner-Hauses, dem Chorzentrum der Kölner Dommusik, zusammengestellt? Auf was dürfen sich die Zuhörer freuen?
Klose: In der Romantik wurden natürlich noch keine Lieder zur Klimakrise geschrieben. Daher haben wir nach Literatur gesucht, die aber mit dem Thema "Natur" und "Schönheit der Schöpfung" im Zusammenhang steht, und das Ganze in drei Blöcke eingeteilt. Einsteigen werden wir ganz positiv. Mit dem Schubert-Lied "Im Frühling", Alma Mahlers "Laue Sommernacht" oder Alban Bergs "Nacht" aus "Sieben Frühe Lieder" besinge ich, was wir haben, was es zu bewahren gilt und dass wir ein Teil davon sind.
Es geht um für die Romantik typische Sehnsuchtsbilder, in denen die Natur ein Idyll und Heilmittel für die Seele ist. Im zweiten Teil mit der Überschrift "Naturgewalt" steht neben der "Meerfahrt" von Brahms und Gustav Mahlers "Irdisches Leben" aus "Des Knaben Wunderhorn" vor allem der "Feuerreiter" von Hugo Wolf im Zentrum. In der Summe ist das sehr mächtige laute Musik – sowohl sprachlich als auch musikalisch. Da geht es um Sturm, Überschwemmung, Hunger und – wie es der Titel erahnen lässt – die Zerstörungsmacht von Feuer, was unterschwellig die Anspielung impliziert, dass auch wir in der aktuellen Diskussion gerade als Brandstifter fungieren.
Und der letzte Teil ist schließlich der Vergänglichkeit gewidmet mit "Die Mutter Erde" von Schubert, "Die Nacht" von Richard Strauss und – noch einmal Mahler – mit "Ich bin der Welt abhanden gekommen" sowie "Urlicht" – sehr eindringliche Vertonungen von Rückert-Gedichten. Hintergrund ist, dass auch wir vergänglich sind und gerade aus dieser Tatsache eine besondere Verantwortung für die nachfolgenden Generationen erwächst: nämlich die Verpflichtung, dass wir unsere Zeit auf der Erde zu einem kostbaren Umgang mit dem, was uns anvertraut ist, nutzen.
DOMRADIO.DE: Das alles hört sich nach einem intensiven künstlerischen Prozess an…
Köhs: In der Tat erfordert so etwas Zeit. Bezüglich des Programms hatten wir viele Ideen, haben uns viel angehört, gegenseitig Vorschläge gemacht, manches ausprobiert und doch auch am Ende wieder verworfen, um letztlich ein stimmiges Konzept zu haben.
Da wir uns schon lange aus dem Studium an der Kölner Musikhochschule kennen, hat diese gemeinsame Arbeit, bei der wir ja auch Neues einstudieren mussten, viel Freude gemacht. Herausgekommen ist ein Zusammenschnitt aus Bekanntem und Unbekanntem. Wichtig war uns ein Format, das auch flexibel verändert werden kann. Zurzeit sind wir zum Beispiel mit einem jungen Komponisten im Gespräch, der uns für unser Anliegen eigens ein Stück schreiben will, so dass sich ein solcher Liederabend immer auch wieder wandeln wird.
Klose: Im Gespräch mit diesem Komponisten ist noch einmal deutlich geworden, wie sehr der Klimawandel unsere Generation bewegt und auch prägt. Am Ende sitzen wir alle im gleichen Boot und wollen doch nur dasselbe: Nämlich möglichst gut und verantwortungsvoll mit dem Geschenk von Gottes wunderbarer Schöpfung umgehen.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti