DOMRADIO.DE: Die Erde kommt im Zweifel ohne uns Menschen klar. Wir Menschen haben aber keinen anderen Planeten als diesen einen. Was müsste die Quintessenz aus dieser Erkenntnis sein?
Christian Klepp (Geowissenschaftler, Klimaforscher und Buchautor): Die Quintessenz ist natürlich, dass wir einen kompletten Perspektivwechsel vornehmen. Wir müssen natürlich vorrangig weg vom CO2. Das ist gar keine Frage, das wissen wir auch alle. Wir müssen hin zu regenerativen Energien.
Aber wir müssen uns natürlich auch nachhaltiger verhalten. Eigentlich muss jeder von uns täglich ein bisschen seinen Lebensstil hinterfragen und ein kleines bisschen etwas für das Klima tun. Und nicht nur fürs Klima, sondern auch für die Ökosysteme, die Lebewesen unseres Planeten, die unsere eigene Lebensgrundlage sind.
Unsere Erkenntnis, wie unser Planet funktioniert, wie alles miteinander zusammenhängt, ist eigentlich die Quintessenz. Innere Erkenntnis zu gewinnen, den Planeten lieb zu gewinnen, sich im besten Fall in ihn zu verlieben und einfach mitmachen zu wollen, helfen zu wollen.
Wir sind acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Wenn wir alle jeden Tag ein kleines bisschen mithelfen, können wir wahnsinnig viel erreichen. Und ich sehe ja in meinen Vorträgen im Planetarium mit den Fotografien oder auch in Unternehmen, wie unglaublich gut diese Botschaft ankommt.
Lasst uns nicht diesen Katastrophenblick haben, Weltuntergangsszenarien zeichnen, sondern lasst uns schauen, wie unglaublich schön unser Planet auch heute noch ist. Lasst es uns erhalten, denn ist es unsere eigene Lebensgrundlage.
DOMRADIO.DE: Sie betonen, wie sehr sie die Erde lieben. Was genau meinen Sie? Was genau lieben Sie?
Klepp: Wenn Sie mal in die Natur rausgehen und sich den Elementen mit Leib und Seele aussetzen, dann bekommt man ein ganz anderes Gefühl davon, wie es ist, ein lebendiger Organismus auf diesem Planeten zu sein.
Ich sehe das immer so: Wir haben uns in unseren Städten aus Beton und Technik soweit isoliert, dass wir ein Stück weit ernsthaft glauben, wir könnten unabhängig von unserem Planeten existieren. Und das ist aber ein riesiger Trugschluss.
Wir sind hochgradig von unserem Planeten abhängig. Wir haben kein Backup, das wir aus dem Hut zaubern können. Und wie Sie am Anfang richtig gesagt haben, die Erde braucht uns ja gar nicht. Aber wir sind von den funktionierenden Ökosystemen dieses Planeten hochgradig abhängig.
Genau das sollte unser aller höchstes Gut und Ziel sein, das zu erhalten. Und ich glaube, in die Natur zu gehen und sich den Elementen auszusetzen, lernt und hilft, das zu verstehen. Und deswegen habe ich auch mein Buch "Wunderwerk Erde" geschrieben, um genau diese Funktionsweisen des Planeten zwar wissenschaftlich korrekt zu beschreiben, gleichzeitig aber auch ein Sprachstil zu finden, der allgemein verständlich die Wissenschaft in die Allgemeinheit übersetzt und auch gleichzeitig die Liebe für die Erde mitnimmt. Und ich möchte einfach Menschen für unseren Planeten begeistern.
DOMRADIO.DE: Ein Bestseller ist das Buch "Wunderwerk Erde", mit wahnsinnig schönen Fotos und Texten zur Erdgeschichte. "Wie unser Planet funktioniert", so heißt der Untertitel. Ist das nicht ein Widerspruch? Kann denn ein Wunderwerk wirklich funktionieren?
Klepp: Ein Wunderwerk funktioniert absolut, und zwar wie ein Uhrwerk. Besser, als wir es jemals hätten konstruieren können. Und deswegen nehme ich in dem Buch ja auch die Leser mit auf eine Reise. Und zwar direkt in die Sterne, ins Zentrum unserer Galaxie und darüber hinaus, weil der Blick in die Sterne zeigt uns auf, wo wir herkommen.
Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes Sternenstaub. Und das klingt immer so pathetisch man das sagt. Aber es ist physikalisch wissenschaftlich komplett korrekt, diese Aussage. Der ganze Planet, alle Lebewesen bestehen aus den ausgebrannten Elementen ehemaliger Sterne und etwa zwei bis drei Sterngenerationen vereinen sich in uns. Und das ist eine ganz faszinierende Sichtweise.
So nehme ich die Leser mit in die Entstehung des Lebens, wie es überhaupt die Erde entstanden, ist das Leben entstanden. Und ich zeige vor allen Dingen auf, wie unglaublich dynamisch unser Planet ist. Ständiger Wandel ist völlig normal auf unserem Planeten, weil wir auf einem Planeten sitzen, der im Inneren glüht, heiß ist und deswegen seine Oberfläche und sein Inneres pausenlos verändert.
Aber er tut das im Laufe von Millionen und Millionen von Jahren. Und für diese Zeithorizonte haben wir überhaupt gar kein Gefühl, mit unserer Lebenserwartung von im allerbesten Fall 100 Jahre. Und das ist eben auch das Gefährliche an dem Klimawandel, den wir betreiben.
Es wird immer gesagt, es gab doch schon viel stärkere Klimaereignisse in der Erdgeschichte als das, was wir machen. Völlig korrekt! Aber die Geschwindigkeit, mit der wir das Klima ändern und eigentlich auch den Raubbau an der Erde betreiben, diese Geschwindigkeit ist so unglaublich hoch, dass sie eigentlich nur noch vergleichbar ist mit dem Einschlag des Asteroiden, der die Saurier umgebracht hat. Für die Erde geht das ungefähr gleich schnell.
DOMRADIO.DE: Sie haben Ihr Buch der Erde gewidmet mit den Worten "Geliebte Erde, ich danke dir für mein Dasein und verbeuge mich voller Demut vor deiner Schönheit". Das klingt so gar nicht naturwissenschaftlich, sondern fast ein bisschen wie ein Gebet. Ist Ihnen bei all Ihren Ausflügen in die Wildnis, bei all Ihrer Beschäftigung mit Erdphänomenen denn eigentlich nie die Frage nach dem Schöpfer dieses Wunderwerk gekommen? Haben Sie sich nie gefragt, wer den Urknall ausgelöst hat?
Klepp: Also ich betrachte die Welt mit Sicherheit durch die wissenschaftliche Brille. Aber wenn ich in der Natur bin und das wird jeder, der sich den Elementen mal ausgesetzt hat, glaube ich, bestätigen, merkt sofort, da ist noch so viel mehr.
Was ist denn Wissenschaft? Wissenschaft ist der Ausdruck dessen, was wir mit unserem Geist durchdrungen haben und verstanden haben und entschlüsselt haben. Und mit Sicherheit ist dieses Buch der Wissenschaft natürlich nicht abgeschlossen, sondern unser Wissen mehrt sich. Und mit jedem Wissen, das sich mehrt, verstehen wir mehr, wie all das zusammenhängt.
Aber ganz sicher ist es so, wenn man draußen in der Natur ist, merkt man, wir haben noch sehr, sehr viel nicht verstanden. Besser geht es nicht mehr, wenn man in der Natur steht und in den Sternenhimmel blickt. Das ist für mich wirklich nicht nur die tiefe Verbindung mit unserer Entstehung und wo wir herkommen, sondern es ist auch einfach die direkte Verbindung mit der Erde, die ich dann spüre. Und ja, ich bin da sehr emotional und sehe auch, dass da noch sehr, sehr viel zu ergründen ist.
Das Interview führte Katharina Geiger.